Wie aus „Feinden“ über Nacht Freunde werden können

Im Jahr 1954 entdeckten Psychologen eine Methode, mit der selbst die ärgsten Rivalen zu Freunden werden konnten.
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Konkurrenzdenken spaltet, während ein gemeinsames Ziel eint.Foto: The Epoch Times
Von 13. Juli 2024

1954 versammelten Psychologen 22 Fünftklässler, teilten sie in zwei Lager auf und beobachteten, wie sich Rivalen in Freunde verwandelten.

Dies war das berühmte Robbers-Cave-Experiment. Die Jungen wurden im Robbers Cave State Park in Oklahoma einquartiert. Dabei gab es eine interessante Wendung: Keine der beiden Gruppen wusste von der Existenz der anderen. In der ersten Woche verbanden sich die Gruppen in der Isolation durch Aktivitäten wie Schwimmen, Wandern und Spielen. Schließlich dachten sich die Jungen Gruppennamen aus – die „Eagles“ (Adler) und die „Rattlers“ (Klapperschlangen) – und trugen ihre neuen Namen stolz auf ihren Hemden und Fahnen.

Nachdem die Gruppen gebildet waren, begann die zweite Phase des Experiments: Die Forscher erzählten den „Eagles“ und den „Rattlers“ von der Existenz der jeweils anderen. Das Ergebnis? Die Kinder trafen sich und begannen sofort zu konkurrieren. Sie veranstalteten Spiele wie Tauziehen, Touch-Football (dem Rugby ähnlich, aber ohne harten Körperkontakt) und Schnitzeljagd. Während sie miteinander wetteiferten, eskalierte ihre Feindseligkeit.

Der Konflikt begann mit Beschimpfungen und verschärfte sich schnell. Die Jungen zündeten gegenseitig ihre Fahnen an, bewarfen sich mit Steinen und bereiteten sich auf eine regelrechte Schlägerei vor. Die Versuchsleiter mussten eingreifen und die Jungen trennen.

Versöhnung durch gemeinsame Ziele

Als Nächstes kam die Herausforderung der Versöhnung. Dies markierte den Beginn von Phase drei. Zunächst ermutigten die Forscher die Jungen durch Filme und Spiele zur Interaktion. Dieser Ansatz des „bloßen Kontakts“ erwies sich jedoch als unzureichend und führte häufig zu weiteren Konflikten.

Dies erforderte einen neuen Ansatz. Die Experimentatoren führten kooperative Aufgaben ein, bei denen beide Gruppen für gemeinsame Ziele zusammenarbeiten mussten. Eine Aufgabe bestand darin, einen Wasserhahn zu öffnen, um den Wassermangel zu beseitigen. Bei einer anderen Aufgabe ging es darum, Geld für einen Film zusammenzulegen, den beide Gruppen sehen wollten. Am Abend waren die Eagles und die Rattlers Freunde – sie schüttelten sich die Hände, aßen gemeinsam zu Abend und während sie den Film anschauten, tranken sie sogar gemeinsam ein paar Malzbiere.

„Menschen, die sich für ein übergeordnetes Ziel zusammentun, können Hindernisse oder Unterschiede, die angesichts einer Herausforderung weniger wichtig erscheinen, überwinden“, meinte dazu Robert Backer gegenüber Epoch Times. Er ist promovierter Psychologe und Neurowissenschaftler aus den USA.

Wie das Robbers-Cave-Experiment zeige, haben diese gemeinsamen Ziele Feindseligkeit wirksam reduziert und die Gruppenbeziehungen drastisch verbessert. Die Ergebnisse hätten auch das Verständnis hinsichtlich Gruppendynamik verändert und veranschaulicht, wie sich Stolz sowohl negativ als auch positiv äußern kann, so Backer.

Die zwei Arten von Stolz

Wissenschaftlern zufolge gibt es zwei Arten von Stolz: den authentischen und den überheblichen. Diese haben unterschiedliche Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen und die psychische Gesundheit.

Authentischer Stolz ist in echtem Selbstwertgefühl verwurzelt und steht in positiver Beziehung zur sozialen Bindung und psychischen Gesundheit. Er zeigt sich in Gedanken wie: „Ich habe es gut gemacht, weil ich mich angestrengt habe.“ Dieser Stolz beruht auf den eigenen Bemühungen, der eigenen Leistung und den eigenen Fähigkeiten. Er fördert positive Beziehungen und das Wohlbefinden.

Überheblicher Stolz beruht auf einem übersteigerten Gefühl der Selbstherrlichkeit und äußert sich in Gedanken wie: „Ich habe es gut gemacht, weil ich großartig bin.“ Diese Art Stolz ist schädlich und führt zu Aggression, schlechten Beziehungen, Bindungsangst und Angstzuständen.

Darüber hinaus steht authentischer Stolz mit positivem Verhalten wie Zusammenarbeit, Fairness und Anerkennung der Beiträge anderer in Verbindung.

Im Gegensatz dazu führt überheblicher Stolz – angetrieben von Arroganz und Egoismus – zu Betrug, Täuschung und dem Untergraben der Leistungen anderer. Unter der Auswirkung dieses Stolzes prahlen Menschen ausdrücklich mit ihren Fähigkeiten und Leistungen. Innerlich sind sie allerdings unzufrieden, fühlen sich in der Gesellschaft anderer unwohl, haben Angst vor Beziehungen und sind unsicher, ob sie gemocht werden.

„Wenn sie [Menschen mit überheblichem Stolz] Dinge sehen, die mit ihnen selbst in Verbindung gebracht werden, leuchten die Gehirnregionen, die normalerweise eine angenehme Reaktion zeigen, nicht auf dieselbe Weise auf“, erklärte Backer. „Es gibt diese Diskrepanz, bei der die Menschen versuchen, sich ein hohes Selbstwertgefühl zu erarbeiten oder so zu tun, als ob sie es erreichen wollten. Doch sie scheitern, weil sie keine wirklich positive Einstellung zu sich selbst haben“, so der Neurologe.

Gesunder Stolz – positive Folgen für die Gruppendynamik

Er vermutet, dass sich diese Unterschiede im Stolz – authentisch oder überheblich – in einer breiteren Gruppendynamik zeigen und positive oder negative Folgen haben können.

Menschen würden von Natur aus eine kognitive Voreingenommenheit aufweisen, die Dinge bevorzuge, die ihnen zugehörig seien, so Backer. „Innerhalb von 300 Sekunden kategorisiert das Gehirn zwischen ‚meiner Gruppe‘ und ‚deiner Gruppe‘.“

Wenn man Gemeinsamkeiten mit einer anderen Person oder Gruppe feststelle, betrachte man sie wohlwollender, erachte die anderen Menschen als wichtig und entwickle ein Gefühl von allgemeinem Stolz. Diese Eigenschaften seien ein Zeichen für authentischen Stolz, meint der Neurologe.

Umgekehrt kann überheblicher Stolz innerhalb einer Gruppe zu Selbstüberschätzung und Risikobereitschaft ohne Rücksicht auf andere führen. Außerdem schmälert eine Person unter der Wirkung dieses Stolzes den Wert der anderen Gruppen und ist ihnen gegenüber unachtsam.

Darüber hinaus fördert diese Art von Stolz ein Konkurrenzdenken, bei dem sich die Gruppen so sehen, als würden sie um begrenzte Ressourcen kämpfen, anstatt gemeinsam an der Schaffung von mehr Möglichkeiten zu arbeiten.

Mit authentischem Stolz „hat man die Einstellung, den Kuchen zu vergrößern, von dem jeder ein Stück abhaben will. Im Gegensatz dazu steht die Aufteilung eines begrenzten Kuchens, wobei entweder ich oder du etwas bekommen“, so Backer.

Wie die Eagles und die Rattlers erlebt jeder Mensch Phasen der Spaltung und der Einigkeit. Diese können zu Hause, am Arbeitsplatz oder in einem breiteren sozialen Kontext auftreten. Sie bieten allemal Gelegenheiten für gegenseitiges Verständnis und eine tiefgreifende Versöhnung. 

Am Ende des Robbers-Cave-Experiments bemerkte ein Mitglied der Rattlers zum Anführer der Eagles: „Niemand hätte gedacht, dass wir mal zusammen essen würden.“ Der Eagle lachte, was die unerwartete und freudige Lösung ihrer Konflikte verdeutlichte.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „A Famous Experiment Shows How ‘Enemies’ Can Become Friends Overnight“. (redaktionelle Bearbeitung as)



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