Weiter rückläufige Geburtenrate in Deutschland – seit 2007 auch Anstieg von Fehl- und Totgeburten

Die Geburtenrate ist in Deutschland weiterhin deutlich rückläufig. Auch der vorübergehende Effekt, den Migration in den 2010er-Jahren bewirkt hatte, verpufft. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) spricht von einem „ungewöhnlichen“ Tempo des Rückgangs.
In Deutschland sind in den vergangenen zwei Jahren weniger Kinder geboren worden.
In Deutschland sind in den vergangenen zwei Jahren weniger Kinder geboren worden.Foto: Stefan Puchner/dpa
Von 20. März 2024

Mit 1,36 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter war die Geburtenrate in Deutschland im Herbst 2023 so niedrig wie seit 2009 nicht mehr. Dies geht aus den jüngst präsentierten Zahlen des „Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung“ (BiB) hervor. Am Mittwoch hatte die Einrichtung diese in Wiesbaden vorgestellt.

Beunruhigende Dynamik bei Geburtenrate auch in anderen Ländern

In einer Presseerklärung weisen die Forscher darauf hin, dass nach einer vorübergehenden leichten Erholung noch während der Corona-Zeit der Abwärtstrend noch deutlicher geworden sei. Nach stabileren Zahlen zu Beginn der Pandemie sank die Geburtenrate ab Januar 2022 auf 1,4 und erholte sich im darauffolgenden Sommer nur unwesentlich auf 1,5 Kinder pro Frau.

Anschließend war ein deutlicher Rückgang der Fertilität zu beobachten. Dieser sei „deshalb ungewöhnlich, da sich Phasen sinkender Geburtenraten in der Vergangenheit eher langsamer vollzogen haben“. Innerhalb von nur zwei Jahren sei der Rückgang besonders auffällig gewesen.

Der drastische Rückgang seit 2022 ist unterdessen kein spezifisch deutsches Phänomen. In Schweden stürzte die Geburtenrate ebenfalls ab. Bereits zuvor war sie von etwa zwei Kindern pro Frau in gebärfähigem Alter im Jahr 2011 auf 1,67 im Jahr 2021 zurückgegangen. Anschließend fiel sie jedoch auch dort auf nunmehr nur noch 1,45.

Viele Krisen ein Grund für Geburtenrückgang?

Die Forscher sehen in der Häufung der Krisen, die sich an die Corona-Pandemie angeschlossen haben, als einen Grund für den weiteren Einbruch. Der Ukraine-Krieg und die Inflation haben nach Ansicht des BiB zur Verunsicherung beigetragen. Seit Mitte der 1970er-Jahre wies Deutschland im europäischen Schnitt eine der niedrigsten Geburtenraten auf.

Eine leichte Erholung gab es ab Mitte der 2010er-Jahre, als auch die Geburten von eingewanderten Frauen zu einem Anstieg von etwa 1,3 auf bis zu 1,6 beitrugen. Die höhere Geburtenrate von Eingewanderten spielt – wie Langzeituntersuchungen zeigen – nur in den ersten Jahren eine signifikante Rolle. Perspektivisch gleicht sich auch diese dem allgemeinen Trend an.

Ausnahmen gibt es nur bei sehr kleinen Gemeinschaften mit starkem Identitätsempfinden und einer gewissen Neigung zur Selbstabschottung – etwa manchen religiösen Gemeinschaften oder Minderheiten wie den Sinti und Roma. Insgesamt fallen diese jedoch nicht ins Gewicht.

Nur noch 59 Millionen Einwohner in Europa bis 2300

Weltweit war die Geburtenrate bereits zuvor von durchschnittlich 3,2 Kindern pro Frau in gebärfähigem Alter im Jahr 1990 auf 2,3 im Jahr 2021 gesunken. Dies zeigt der „World Population Data Sheet“ der UNO auf.

Selbst der Niger als das Land mit der weltweit höchsten Geburtenrate befindet sich im Abwärtstrend. Einen drastischen Rückgang bereits in den vergangenen Jahrzehnten hatten Länder wie Katar zu verzeichnen. In Ländern wie Japan oder Südkorea ist die Situation bereits jetzt noch prekärer als in Deutschland.

Einem 2021 in „The Lancet“ veröffentlichten Bericht zufolge wird die derzeit bei 7,96 Milliarden Menschen liegende Weltbevölkerung bis etwa 2050 noch in absoluten Zahlen auf etwa 9,7 Milliarden anwachsen. Bis 2100 wird sie jedoch auf 8,8 Milliarden gesunken sein.

Besonders stark wird Europa der Rückgang treffen: Der UN-Bericht „World Population to 2300“ prognostiziert bis 2300, insbesondere für Europa, einen möglichen Bevölkerungsrückgang auf nur noch 59 Millionen Einwohner.

Sinkende Geburtenrate – mehr Tot- und Fehlgeburten

Was die rückläufige Geburtenrate in Deutschland noch dramatischer macht, ist die steigende Zahl an Fehl- oder Totgeburten, die seit 2007 zu beobachten ist. Zwischen jenem Jahr und 2021 hatte diese sich von 3,5 auf 4,3 je 1.000 Geburten gesteigert – mit einem deutlichen Sprung im Jahr 2021 gegenüber beiden Jahren zuvor.

Ein Teil der Steigerung liegt an der veränderten Zählweise ab dem Jahr 2019. Seither gilt als tot geborenes jedes Kind, das bei der Entbindung mindestens 500 Gramm gewogen oder die 24. Schwangerschaftswoche erreicht hatte. Zuvor mussten beide Merkmale vorliegen. Dadurch, dass nun auch Kinder mitgezählt wurden, die nach der 24. Woche keine 500 Gramm gewogen hatten, stieg der Anteil um 0,3 auf 4,11.

Von 2019 bis 2021 stieg der Anteil der tot geborenen Kinder in absoluten Zahlen von 3.180 auf 3.420, was einem Plus von 7,5 Prozent entsprach. Dazu kommt ein statistisch nicht erfasster Anteil an Fehlgeburten, bei denen die Kinder weder 500 Gramm wogen noch die 24. Schwangerschaftswoche erreichten.

Jede sechste Schwangerschaft soll auf diese Weise enden, berichtet der SWR. Krankenhausdaten zufolge lag die Zahl der bekannt gewordenen Fälle in den vergangenen Jahren jeweils in der Größenordnung um die 40.000. Wie hoch die darüber hinausgehende Dunkelziffer ist, lässt sich schwer einschätzen.

Zahl der Totgeburten Ende 2021 und im Jahresverlauf 2022 „ungewöhnlich hoch“

Im Juli 2023 forderten führende Ärzte und Forscher Aufklärung über eine überdurchschnittliche Verstärkung dieser besorgniserregenden Dynamik im vierten Quartal 2021 und im Jahr 2022. In ihrer Analyse fanden sie heraus, dass allein in den letzten Monaten des Jahres 2021 die Zahl der Totgeburten um 19,4 Prozent angestiegen war. Auch 2022 sei sie „ungewöhnlich hoch“ geblieben.

Das Statistische Bundesamt bestätigt einen Anstieg – abschließende Daten für 2023 liegen in diesem Bereich noch nicht vor. Es zeichnet sich jedoch ab, dass zumindest das Tempo des Geburtenrückgangs im Verlaufe des Jahres 2023 sich leicht verlangsamt habe.

Der Anstieg der Zahl der Totgeburten in den vergangenen Jahren hatte eine Vielzahl an Spekulationen ausgelöst. Je nach Standpunkt wurden Corona-Infektionen oder die Corona-Impfung als vermeintlich entscheidende Faktoren dafür ausgemacht.

Der ehemalige Chefarzt des Evangelischen Amalie Sieveking Krankenhauses in Hamburg, Wolf Lütje, hatte Corona-Infektionen und eine höhere Anzahl an künstlichen Befruchtungen sowie Kaiserschnitten in der Corona-Zeit als mögliche Faktoren genannt. Diese würden das entsprechende Risiko erhöhen.

Spekulationen über Korrelation zwischen Anstieg von Totgeburten und Impfkampagne

Der Regensburger Psychologie-Professor Christof Kuhbandner und der Osnabrücker Mathematiker Matthias Reitzner sahen hingegen akuten Klärungsbedarf mit Blick auf die Corona-Impfung. In ihrer Studie deuten sie eine Korrelation zwischen dem Beginn der Impfkampagne, bis zu der viele Schwangere ihren Kinderwunsch aufschieben wollten, und der Zahl an Totgeburten neun Monate später an.

Allerdings erklärten sie auch – im Einklang mit Faktencheckern –, dass eine zwingende Kausalität daraus nicht abzuleiten wäre und eine Vielzahl weiterer potenzieller Faktoren Einfluss gehabt haben könnte. Die zweite Hälfte des Jahres 2021 war auch von einem starken Anstieg der Corona-Infektionen und dem Auftreten multipler Varianten desselben gekennzeichnet. Zudem begann die Impfkampagne für Frauen in gebärfähigem Alter erst deutlich später als Anfang 2021 – es sei denn, sie wiesen relevante Vorerkrankungen auf.

Des Weiteren würden mögliche negative Effekte der Impfung den weiteren Rückgang der Geburtenrate mit Fortdauer des Jahres 2023 nicht erklären. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Jahres 2022 war die Zahl der Impfungen oder Auffrischungen rapide eingebrochen.



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