Wann ist eine Frau eine Frau? Olympisches Ringen um Deutungshoheit

Der Olympia-Boxkampf der Frauen zwischen Angela Carini und Imane Khelif hat die alte Debatte um Testosterongrenzwerte im Leistungssport neu entfacht. Geht es um Fairness, um Gendergerechtigkeit oder gar um Betrug? Epoch Times spricht mit der Biologin Prof. Ulrike Kämmerer.
Der schnelle Sieg von Boxerin Imane Khelif (l) zum Olympia-Auftakt löste eine heftige Debatte um ihre Zulassung aus.
Der schnelle Sieg von Boxerin Imane Khelif (l) zum Olympia-Auftakt löste eine heftige Debatte um ihre Zulassung aus.Foto: Joel Carrett/AAP/dpa
Von 3. August 2024

Ein olympischer Frauenboxkampf endet schon nach 48 Sekunden. Die unterlegene italienische Boxerin ist in Tränen aufgelöst. Die algerische Siegerin entfacht die Debatte, ob es sich bei ihr tatsächlich um eine Frau handelt.

Geht es um Fairness, um Gendergerechtigkeit oder gar um Betrug? Im Gespräch mit Epoch Times nähert sich Biologin Prof. Ulrike Kämmerer der Thematik aus ihrer Fachperspektive an.

Ist es noch zeitgemäß, Sportler bei Wettkämpfen in männlich und weiblich zu unterteilen? Was wäre eine Alternative? Und warum wird das überhaupt diskutiert?

Wenn man vom Genotyp und vom Phänotyp ausgeht, wird das über die Geschlechtschromosomen und die Hormone definiert. Jemand hat einen höheren Testosteronspiegel, wenn er ein funktionelles Y-Chromosom hat oder damit dopt. Testosteron ist das häufigste Dopingmittel überhaupt. Unter Testosteron entwickelt man eine andere Muskulatur, andere Knochen. Beides wird stärker, stabiler und leistungsfähiger. Testosteron macht auch aggressiv, weniger schmerzempfindlich und risikobereiter. Zudem sorgt ein höherer Hämoglobinwert für eine bessere Sauerstoffversorgung.

Insofern macht es tatsächlich schon Sinn, das zu überprüfen beziehungsweise einzuteilen. Das wurde auch lange entsprechend durchgeführt, um Doping auszuschließen. Es wurden Hormontests gemacht, um etwa zu schauen, ob Testosteron zugeführt wurde.

Ältere erinnern sich noch an die Schwimmerinnen aus der DDR, die plötzlich männliche Stimmen und Körperbehaarung hatten, die auch unter Östrogen normal nicht so wäre. Insofern macht es tatsächlich schon Sinn, in Sportarten, wo es auf Kraft und Ausdauer ankommt, zu sortieren.

XY-Frauen – nennen wir es mal so – würden nie in solchen Sportarten wie Rhythmischer Sportgymnastik oder ähnlichem antreten, denn da hätten sie wiederum mutmaßlich einen Nachteil.

Das heißt, Sie würden sagen, die Aufteilung in männlich und weiblich nehmen wir vor allem deshalb vor, damit Frauen nicht einer Reihe von Sportkategorien deutlich im Nachteil sind?

Diese ganze Gender-Debatte ist zunächst soziologisch und richtet sich nicht nach Chromosomensatz oder Phänotyp, der ja durch den Hormonspiegel bestimmt wird. Wenn hier Männer und Frauen in einer gemeinsamen Kategorie wären, dann sollte man Frauen etwa beim Boxen raten, überhaupt gar nicht erst anzutreten, denn dann werden sie zu Brei geschlagen.

Jetzt war zu lesen, Boxerin Imane Khelif sei nicht transgender, sie leide an Hyperandrogenismus. Was bedeutet das?

Es kann natürlich sein, dass jemand einen extrem hohen Testosteronspiegel hat. Das gibt es in seltenen Fällen tatsächlich auch bei Frauen angeboren oder aber häufig als sogenanntes PCO-Syndrom (Polyzystisches Ovar-Syndrom). Da bilden die Ovarien sehr viele Zysten aus, die Frauen haben oft starke Probleme mit Bartbildung, Akne und vor allem einen Prädiabetes oder Diabetes. Das würde man aber, wenn sich die Betroffene dadurch belastet fühlt, tatsächlich sogar hormonell behandeln. Andererseits wird das natürlich für solche Sportarten, wo ein hoher Testosteronspiegel vorteilhaft ist, gern in Kauf genommen. Deswegen wurde es ja bei Frauen in diesen Kraft- oder Schnellkraftsportarten – Diskuswerfen, Schwimmen, Sprint und das alles – als Dopingmittel eingesetzt.

Wenn man beim Sport unterscheidet in Mann und Frau, ist das heute eine zu schwarz-weiße Einteilung? Warum soll es nicht Menschen geben, die irgendwo dazwischen liegen? Aber wie dann im Sport zuordnen?

Das ist genau das Problem. Diese Menschen gibt’s ja auch. Die gab’s immer schon. Das Problem ist tatsächlich, wo treten die an. Wenn man es ganz kritisch ausdrücken will, müsste man sagen, wenn es jemand ist, der einen sehr hohen Testosteronspiegel hat und vom Chromosomensatz mit XY her eher nicht weiblich ist – dann müssten Sportler, auf die das zutrifft, eigentlich in der Männer-Kategorie antreten. Wo ist das Problem?

Jetzt hieß es in einer weiteren Meldung, Hyperandrogenismus könne auch zum Vorhandensein eines XY-Chromosoms führen. Aber ist das nicht von Geburt an festgelegt?

(Lacht) Das geht definitiv nicht. Der Chromosomensatz wird bei der Befruchtung festgelegt. Die Eizelle bringt immer das X mit und das Spermium entscheidet darüber, ob ein zweites X quasi eingebracht wird oder das Y. Das heißt, ab der Befruchtung ist der Genotyp festgelegt.

An anderer Stelle heißt es, Imane Kehlif sei eine „Cis-Frau“. Was bedeutet das in dem Kontext? 

Gute Frage! Soweit ich das verstanden habe, heißt es, das ist jemand, der eben den Genotyp XX hat, was eine Frau definiert, also nicht XY, und der den Phänotyp dann entsprechend auch ausbildet und die primären Geschlechtsorgane, also Ovarien, vorhanden sind und diejenige keine Hoden hat. Da kann es zwar auch Anomalien geben, aber das Entscheidende wäre: XX plus Ovarien versus XY und Hoden.

Ich kannte diesen Begriff Cis und Trans ursprünglich auch nicht. Aber wenn jemand jetzt wirklich Frau ist – genotypisch und phänotypisch  –, dann muss derjenige in jeder Körperzelle XX haben und entsprechende Eierstöcke ausgebildet haben.

Welche Bedeutung haben Testosteron und Hämoglobin für die Geschlechterzuordnung?

Testosteron bilden Frauen letztendlich genauso wie Männer, aber in geringerer Menge, denn der Hauptbildungsort sind die Hoden und die haben Frauen halt nicht. Und wie schon gesagt, dieses Testosteron hat sehr viele Wirkungen im Körper wie Muskelwachstum, Knochenfestigkeit, Aggressivität und auch den höheren Hämoglobinwert.

Das ist alles determiniert dadurch, dass mit dieser Geschlechtsaufteilung – um hier den Begriff „Cis“ einzuführen – Cis-Männer in der Evolutionsgeschichte die aggressiveren Tätigkeiten gemacht hatten, weiter gelaufen sind, mehr Beute erkämpft haben und ähnliches, und das sind alles die Punkte, da nützt ein hoher Testosteronspiegel.

Und das Hämoglobin?

Hämoglobin bindet den Sauerstoff. Das heißt, wenn ich einen höheren Hämoglobinwert habe, kann ich mehr Sauerstoff pro Einheit Blut durch den Körper transportieren. Das ist bei Ausdauer ein ganz erheblicher Vorteil. Deswegen gab es ja im Radsport lange Zeit das sogenannte Blutdoping. Da wurden die Hämoglobinwerte angehoben. Das kann jeder nachvollziehen: Wenn Sie Blut verloren haben und einen niedrigen Hämoglobinwert haben, dann keuchen Sie bei der einfachsten Treppe.

Wenn der Hämoglobinwert dann auf 10 oder 15 hochgedrückt wird, dann können sie die Treppe einfach mal locker flockig hochlaufen. Es gibt genetische Dispositionen. Claudia Pechstein hatte das zum Beispiel, soweit ich weiß. Der wurde immer Doping vorgeworfen, aber die Eisschnellläuferin soll diese Werte wohl auch aufgrund eines natürlich hohen und besonders bindungsfreudigen Hämoglobins gehabt haben. Das ist tatsächlich ein extremer Vorteil, weil so einfach eine sehr viel bessere Sauerstoffversorgung möglich ist und die Muskeln besser arbeiten können.

Was würden Sie einem 60-Jährigen empfehlen? Lohnt hier eine Art Hämoglobinauffrischung?

Wenn Sie Blutdoping machen, dann hält das nicht sehr lange vor. Aber Sie können Ihren Hämoglobinwert auch auf natürliche Art hochbringen. Sie müssen ihren Eisenhaushalt gut versorgen und dann die klassische Höhenanpassung. Deswegen gehen viele Ausdauersportler ins Höhentraining.

Wenn sie bei einem niedrigen Sauerstoffpartialdruck auf 4.000 Meter Höhe trainieren, dann müssen sie sich anpassen. Das heißt, die ganzen Bergvölker haben per se schon einen höheren Hämoglobinspiegel. Nachteil ist aber: Sie kriegen eher Thrombosen, weil dadurch das Blut dickflüssiger wird.

Die Gender-Debatte hat auch eine politische Bedeutung. Haben Sie eine Antwort, woher diese Entwicklung kommt?

Ehrlich gesagt nicht. Mir ist es auch ein Rätsel, weil ich einfach von den banalen biologischen Dingen ausgehe. Ich kenne auch persönlich echte Transgender, die aber nicht wollen, dass das bekannt wird.

Transgender, die jetzt kein Theater darum machen, sondern die einfach für sich persönlich beschlossen haben, auch unter viel Mühen und Schmerzen diese Therapien über sich haben ergehen lassen und die jetzt halt entsprechend in ihrem neuen „Gendertyp“ unauffällig leben wollen. Die also gar nicht wollen, dass irgendjemand weiß, dass der mal bis zum Studium eine Frau war, ein Mädchen war.

Vielleicht ein Gegenargument: In den 50er-Jahren wollte auch niemand, dass jemand weiß, dass er homosexuell ist. Das hatte aber andere Gründe. Das war teilweise kriminalisiert, es gab einen enormen gesellschaftlichen Druck. Darum geht es ja aktuell oft, hier den gesellschaftlichen Druck zu verringern und offener damit umzugehen. Es ist womöglich knifflig …

Ja, es ist ganz knifflig, weil auch viele aus der älteren Schwulenszene – auch da kenne ich etliche Männer – sagen, sie haben sich das erkämpft, sie seien froh, dass sie heiraten können und alles. Aber die wollen dieses Theater nicht. Sie wollen einfach normal leben und nicht provozieren.

Ich glaube, das ist das Entscheidende. Es gibt ja diese Menschen. Und die meisten wollen auch nicht politisieren. Sondern sie wollen einfach, dass sie ihr normales Leben leben. Und die würden sich auch nie auf die Straße setzen und sagen: Ich bin schwul oder lesbisch. Oder sagen: Hallo, ich war mal ein Mädchen, und jetzt bin ich ein Mann oder umgekehrt. Sondern die haben das gemacht, um ihre Lebensrolle zu haben, aber ohne jetzt damit hausieren zu gehen.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht eine Empfehlung für das Olympische Komitee (IOC), damit zukünftig umzugehen?

Sie müssten klare Regeln festlegen, so wie es früher auch war. Früher gab es diese Diskussion gar nicht. Sondern da wurde gesagt, XY plus hoher Testosteronwert: Ausschluss. Oder es wird eben gesagt: Gut, wir lassen es ganz offen, und dann müssen die Unterlegenden, in dem Fall die XX-Frauen, sagen, wir treten nicht an.

Sie erwähnten, dann könnten die Betroffenen auch bei den Männern mitmachen. Aber wenn ich mich als Frau definiere, ist das doch auch wieder schwierig …

Wenn ich mich als Frau definiere oder sogar eben potenziell tatsächlich Frau bin, mit einer Anomalie im Hormonhaushalt und dadurch einen biologischen Vorteil habe, und der mich dann quasi phänotypisch gleichstellt mit Männern, dann müsste ich mich auch trauen, bei den Männern anzutreten.

Danke für das Gespräch!

Das Interview führt Alexander Wallasch.



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