Vereine, Unis, Promis und Politiker verlassen X – Nutzerzahlen steigen
„eXit von Twitter“ war der Titel eines offenen Briefes, mit dem Ende vergangenen Jahres einige Journalisten, Abgeordnete, Gedenkstätten, Wissenschaftler und Autoren ihren Rückzug von Elon Musks Social-Media-Plattform X verkündeten. Die laut RBB prominentesten Persönlichkeiten waren die Moderatorin Dunja Hayali und die frühere Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) sowie der Chefredakteur des Internetportals „FragDenStaat“ Arne Semsrott.
Institutionen wie das Haus der Wannsee-Konferenz oder das Jüdische Museum München hatten sich angeschlossen, insgesamt stehen 66 Namen auf der Liste. Als Grund für das Verlassen der Plattform wurden die „Zunahme von Hassrede, Desinformation und die intransparente Moderationspolitik“ seit der Übernahme durch Elon Musk genannt. Twitter sei seitdem kein Ort mehr für freie und faire Meinungsäußerung und einen offenen Austausch.
Schlimmer noch, Twitter ist ein Ort der Zensur, des Rassismus, Antisemitismus und des rechten Agendasettings geworden.“
Elon Musk: Es geht um Meinungsfreiheit
Elon Musk hatte immer wieder betont, dass ein zentrales Motiv für seinen Kauf von Twitter die Förderung der Meinungsfreiheit ist. In einem Tweet vom 26. April 2022 verdeutlichte er:
Unter ‚freier Meinungsäußerung‘ verstehe ich einfach das, was dem Gesetz entspricht. Ich bin gegen eine Zensur, die weit über das Gesetz hinausgeht.“
Demnach ist es Absicht von Musk, die Plattform im Einklang mit gesetzlichen Bestimmungen zu betreiben und übermäßige Zensur zu vermeiden. Gegenüber der Europäischen Kommission erklärte der Social-Media-Gigant, danach zu streben, „der Marktplatz des Internets zu sein, indem er die freie Meinungsäußerung fördert und schützt“, schreibt „Politico“.
Elon Musk hatte Twitter am 27. Oktober 2022 für einen Kaufpreis von 44 Milliarden US-Dollar übernommen. Seitdem hat er die Plattform in X umbenannt und als Politikkommentator international Aufmerksamkeit erregt.
Musk mischt sich ein
Der Tech-Milliardär kommentiert inzwischen auch deutsche Themen und Politik. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte er beispielsweise im Herbst 2024 als „inkompetenten Idioten“ bezeichnet. Seine Prominenz und Reichweite hatte Musk dafür genutzt, eine Wahlempfehlung für die AfD auszusprechen: „Nur die AfD kann Deutschland retten“ war sein Kommentar auf X, bevor er Alice Weidel zum Video-Live-Gespräch auf seiner Plattform lud. Dort wiederholte er am 9. Januar 2025 vor einem Millionenpublikum seine Wahlempfehlung.
Kurz nach dem Gespräch kündigten ver.di und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an, nach 15 Jahren auf der Plattform ihre Accounts bei X zu löschen. In einer Mitteilung heißt es: „Beide Arbeitnehmerorganisationen kritisieren die Plattform als Forum für die Verbreitung von rechtsextremistischen Positionen, von Hass und Hetze, von Demokratiefeindlichkeit und Desinformation.“
Zudem werde immer offensichtlicher, dass die Algorithmen der Plattform demokratiefeindliche Narrative bevorzugt behandelten und diese Marginalisierung der überwiegenden Mehrheit im öffentlichen Diskurs als Meinungsfreiheit bezeichneten.
63 Hochschulen verlassen geschlossen X
Am Tag, nachdem Musk und Weidel sich im X-Space getroffen hatten, kündigten 63 deutschsprachige Hochschulen und Forschungsinstitutionen ihren Ausstieg bei X an. Sie begründeten dies in einer gemeinsamen Erklärung damit, dass die Ausrichtung der von US-Milliardär Elon Musk kontrollierten Plattform mit ihren Grundwerten nicht vereinbar sei. „Die Werte, welche die Vielfalt, Freiheit und Wissenschaft fördern, sind auf der Plattform nicht mehr gegeben“, heißt es in der Mitteilung. Dies mache eine weitere Nutzung der Plattform unvertretbar.
Unterstützt wurde die Erklärung unter anderem von der TU Dresden, der Freien Universität Berlin und der Berliner Humboldt-Universität sowie dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde und der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft.
Kirche, Justiz und Sportvereine verabschieden sich
Die Positionen von X-Eigentümer Elon Musk sind auch für die Nordkirche nicht tragbar. Mit diesem Argument kehrte sie X den Rücken und verzichtete auf die täglichen Segenswünsche für ihre 7.000 Abonnenten, wie die „Welt“ im November berichtete. Die Kirche möchte sich lieber auf andere Netzwerke konzentrieren, wie auf Instagram, das zum Meta-Konzern von Mark Zuckerberg gehört.
Auch Sportvereine wie der FC St. Pauli und Werder Bremen sind in den vergangenen Monaten bei X ausgestiegen. Ein X-Ende gab es auch bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). „Die BVG folgt mit ihrem Exit den 47 deutschen Organisationen, die im Juni aus Protest gegen den Anstieg von Hassrede den Kurznachrichtendienst mit dem letzten Hashtag ‚Bye Bye, Elon‘ verlassen hatten“, schreibt das Online-Magazin „Kom.de“. Der Schritt wurde damit begründet, dass das Kommunikationsumfeld auf X nicht mehr zu den Werten des Unternehmens passe.
Bundesgerichtshof zieht sich zurück
Am Tag des Gesprächs zwischen Weidel und Musk teilte auch der Bundesgerichtshof mit, X nicht mehr zu nutzen.
Wir stellen diesen Kanal ein. Sie können uns über unseren Newsletter (https://t.co/f8BkMb07To) oder auf Mastodon (https://t.co/fUlEaAqcAG) folgen.
— Bundesgerichtshof (@BGH_Bund) January 9, 2025
Dazu kommentierte @mz_storymakers, dass der Bundesgerichtshof selbst festgestellt habe, dass sogar „Hassrede“ eine zulässige Meinungsäußerung und einer Zensur unzulässig sei.
Der Rechtswissenschaftler und Jura-Professor der Uni Bielefeld, Martin Schwab, schrieb, dass zurzeit eine breitere Bewegung zu sehen sei unter öffentlichen Institutionen, die ihre Präsenz auf X aufgeben, mit der offen kommunizierten Begründung, dort herrsche „Desinformation“. „Inhaltlich kann ich jene Institutionen, die sich wegen angeblicher ‚Desinformation‘ von X abwenden, nicht verstehen“, so Schwab. Gerade wenn dort angeblich Fake News verbreitet werden, müsste es doch „ein zentrales Anliegen jener Institutionen sein, die aus ihrer Sicht richtigen Informationen mit maximaler Reichweite zu platzieren!“
Die meisten Politiker bleiben auf X
Ferda Ataman, die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung und auch die Antidiskriminierungsstelle hatten X bereits im Oktober 2023 den Rücken gekehrt. Dies sei keine seriöse Plattform mehr und Kanzler Olaf Scholz, Minister und Ministerien werteten diese durch ihre Präsenz auf, so Ataman. X sei „ein politisches Machtbeeinflussungsinstrument des reichsten Mannes der Welt geworden“.
Aber „keine und keiner der Spitzen- und Kanzlerkandidaten will auf eine Präsenz auf der Plattform verzichten“, befindet die „Tagesschau“. Die Bundesregierung nutze weiterhin täglich X als eine von mehreren Social-Media-Plattformen, um Nachrichten und Informationen zu verbreiten.
Habecks Twitter-Comeback
Vielmehr gibt es auch strategische Rückkehr auf die Plattform, wie Robert Habeck. Der Grüne-Kanzlerkandidat hat nach fast sechs Jahren Abstinenz seinen Account reaktiviert. Habeck hatte 2019, so die „Welt“, innerhalb kurzer Zeit „gleich mehrere Shitstorms in den sozialen Netzwerken mit seinen Äußerungen ausgelöst“ und sich dann aus den sozialen Medien zurückgezogen.
Kurz nach dem Ampel-Bruch, am 7. November 2024 postete er einen ersten, neuen Tweet mit der Nachricht „Back for good“. Frei übersetzt: „Zurück, um zu bleiben.“ Kurz darauf erklärte er in einem zweiten Tweet, dass es zu leicht wäre, diesen Raum den „Schreihälsen und Populisten“ zu überlassen, vor allem so kurz vor der Wahl.
Auch eine Neujahrsrede postete der Grünen-Politiker auf X, in der er (hier anzusehen auf Youtube) sagte, wenn Elon Musk „nicht nur mit Milliarden und Abermilliarden, sondern auch mit ungebändigter Kommunikationsmacht zur Wahl der AfD in Deutschland“ aufrufe, sei das nicht aus Unkenntnis der AfD. „Es hat Logik und System, und es stärkt die, die Europa schwächen.“ Ein schwaches Europa sei im Interesse von jenen, für die Regulierung eine unangemessene Begrenzung ihrer Macht ist. Aber es brauche eine Begrenzung der Macht, forderte Habeck:
Kein Geschäftsmodell darf unsere Demokratie zerstören. Dafür muss Europa wiederum seine Macht jetzt konsequent zu nutzen wissen.“
Musk entgegnete am 3. Januar 2025 knapp auf seiner Plattform X : „Habeck is a traitor to the German people.“ Auf Deutsch: „Habeck ist ein Verräter am deutschen Volk.“
X hat dennoch steigende Nutzerzahlen
Mit Material von Agenturen
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