Thüringer Marktfrau: Seit Corona gehts bergab
Seit 32 Jahren ist Sabine Wilfert (62) als selbstständige Marktfrau in Sachsen und Thüringen unterwegs. Doch seit der Banken- und Finanzkrise von 2008 geht das Geschäft immer mehr abwärts, so die Ostthüringerin. Nach Corona habe sich die Situation nochmals verschärft, berichtet sie. An ihrem Kunstgewerbestand verkauft sie „feine englische Seifen“, arrangierte Trocken- und Seidenblumen „und alles, was man zum Leben eigentlich nicht unbedingt braucht“.
„Mein Stand sieht wirklich wunderschön aus und ich bekomme auch viele Komplimente, dass ich immer tolle Sachen mitbringe oder zusammenstelle. Aber die Leute haben das Geld nicht mehr.“ Die Kunden begründen dies beispielsweise mit steigenden Strompreisen.
In der Finanzkrise 2008 hätten sehr viele Leute Geld verloren und daraufhin einen rigorosen Kaufstopp eingelegt. Das habe dazu geführt, dass viele Markthändler nichts mehr verkaufen konnten und auf Arbeitslosengrundsicherung zurückgreifen mussten – was man später zurückzahlen musste. „Und von da an ging es eigentlich stetig bergab.“
Kaufverhalten je nach Ware unterschiedlich
Alles, was Lebensmittel, Essen und Gärtnerei betrifft, das werde noch nachgefragt. Aber alles, was Textilien, Handtaschen oder Schuhe angeht, da würden alle am Limit kämpfen. Allgemein seien die Kunden auf den Wochenmärkten zurückhaltender geworden.
„Wenn wir Glück haben, erwischen wir ein paar schöne Sonderveranstaltungen, wo es mal ein bisschen besser mit dem Umsatz ausschaut, dort treffen wir noch Kunden, die auch was ausgeben können.“
Lange liefe es auch auf den Weihnachtsmärkten noch richtig gut. Doch der islamistische Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz im Jahr 2016 habe dem Geschäft einen Abbruch getan.
„Ich hatte danach wirklich Angst gehabt, in Gera auf dem Weihnachtsmarkt weiterzuarbeiten.“ Ihr Stand lag damals direkt neben dem Eingang. „Wir haben auch unseren Augen kaum getraut, als wir dort sahen, dass wir eine Polizeibewachung mit Maschinenpistolen hatten.“
Insgesamt sei die Situation „wirklich brenzlig“, so die Marktfrau. An fünf Tagen ist die 62-jährige Thüringerin mit ihrem Stand unterwegs, dreimal während der Woche auf Wochenmärkten und Samstag und Sonntag auf Wochenendmärkten.
Viele Händler haben bereits aufgegeben
Durch die allgemeine wirtschaftliche Lage hätten einige Markthändler bereits aufgegeben. Die gehen jetzt woanders arbeiten. Sie selbst war kürzlich auch schon Probearbeiten in einem Betrieb, so Wilfert. „Die, die einen Job finden, wo es einigermaßen funktioniert, die verschwinden vom Markt“, berichtet sie.
Wilfert ist gelernte Facharbeiterin, die vor der Wiedervereinigung beim Optikhersteller VEB Carl Zeiss Jena arbeitete.
Aber den Stand aufgeben will sie nicht. „Nur macht es die wirtschaftliche Situation notwendig, ein zweites Standbein aufzubauen“, so die Herzblut-Markthändlerin.
„Schwer zu schaffen“ gemacht hat ihr die Rückzahlung der Corona-Hilfen. 4.000 Euro musste sie zurückzahlen. Da half auch kein Brief an die für die Corona-Kredite zuständige Landesaufbaubank in Erfurt, der sie ihre schwierige Situation geschildert hatte. Gerade die Markthändler seien genau wie die Schausteller besonders von den strengen Corona-Maßnahmen betroffen gewesen.
Auch gebe es jetzt deutlich weniger Stände – egal ob es in Altenburg, Gera oder in Zwickau sei. Dafür rücken viele „arabische Stände“ nach, die deutlich preisgünstiger seien. „Aber da muss man auch mehr auf die Qualität achten.“
Unabhängig davon schwanke der Kundenstrom saisonbedingt. „Bis Ostern kann ich eigentlich immer nicht klagen und dann nach Pfingsten bricht das immer ab. Dann haben die Leute mit ihren Gärten zu tun.“ Auch jetzt in der Urlaubszeit seien weniger Kunden da. Oder bei Hitze und Gewitter sei es auch schwierig. „Insgesamt ist es alles schwieriger geworden.“
Gesamtsituation im Land solle sich ändern
Mit einer Anekdote veranschaulicht sie das Bild, das sich manche von den Händlern machen: „Auf dem Weihnachtsmarkt in Gera ist eine junge Mutti mit einem circa achtjährigen Kind vorbeigekommen. Das Kind hatte einen Wutanfall. Die Mutti schimpfte daher mit dem Kind und sagte: ‚Wenn du nicht ordentlich lernst, dann wirst du auch auf dem Markt mit einem Stand enden.‘“
„Manche Kunden wissen nicht, dass die Markthändler alle wie die Verrückten arbeiten und sich auch ein gutes Leben aufgebaut haben.“ Hier sei kein Markthändler, der keine fundierte Berufsausbildung habe, erklärt die 62-Jährige. „Viele von uns besitzen ein Eigenheim, und sie glauben, wir sind irgendwelche Zigeuner, die draußen umherziehen.“ Diese Händler gebe es auch, aber alle hätten „straff zu tun“, um über die Runden zu kommen.
Sie wünscht sich, dass sich an der Gesamtsituation im Land etwas ändere. „Es muss einiges korrigiert werden, damit es auch den Bürgern wieder besser geht und sie sich ihre Wünsche erfüllen können.“
Das würden die Markthändler am Kaufverhalten der Menschen sehen. „Wir können unseren Kunden keinen Vorwurf machen. Sie erzählen uns, in welcher Lage sie stecken.“
Familiäre Atmosphäre, soziale Funktion
Anders als in anderen Bereichen der Gesellschaft sei es auf den Märkten nicht rauer geworden. „Es ist nach wie vor familiär“, so die Kunstgewerbehändlerin.
Die Händler hätten mit ihren Ständen auch eine soziale Funktion. So mancher Kunde bleibe auch schon mal länger zum Gespräch am Stand, um private Sorgen preiszugeben, berichtet sie. „Da überlegt man schon mal, wie man helfen kann.“
Zudem erfüllten die Wochenmärkte eine wichtige Funktion, indem sie das Stadtzentrum belebten. „Damit das Zentrum nicht zum Zentralfriedhof wird“, spaßt sie.
Denn wenn kein Markt stattfände, käme auch keiner in die Geschäfte. „Auch wenn wir für viele Geschäftsinhaber vielleicht eine Konkurrenz darstellen, bringen Märkte oder Marktveranstaltungen, die Leute in die Stadt.“
Man habe eine soziale und kommunikative Funktion, nicht nur mit den Stammkunden, sondern auch für völlig Anonyme. Besonders betreffe dies alleinstehende Frauen, bei denen vielleicht der Mann gerade gestorben ist. „Da umarmt man auch schon mal jemanden.“
Wie die Zukunft aussehe, das sei ein großes Fragezeichen. Doch sie behalte das jetzige Geschäft auf jeden Fall. „Aber ich brauche ein zweites Standbein, wo regelmäßig Geld zusätzlich hereinkommt.“ Aus diesem Grund baut sie sich gerade einen Imbissstand in Zwickau auf und sucht dafür händeringend noch einen Koch.
„Weniger auf dem Wochenmarkt, sondern mehr im Discounter“
Dass die Situation von Wilfert kein Einzelfall und auch nicht auf Thüringen beschränkt ist, zeigen andere Berichte. „Gerade ist eher eine schwierige Zeit, weil die Leute so viel sparen“, erklärte beispielsweise Anke Fischer (62) eine langjährige Händlerin auf dem Bauernmarkt am Berliner Wittenbergplatz gegenüber „tagesschau.de“ im April. Sie verkauft auf verschiedenen Wochenmärkten frische Nudeln. „Die Menschen haben weniger Geld in der Tasche und kaufen deswegen weniger auf dem Wochenmarkt, sondern mehr im Discounter.“
Ein ähnliches Bild hat Sebastian Stahl als Vorstand der Deutschen Marktgilde, eines privatwirtschaftlichen Unternehmens, das deutschlandweit an 125 Standorten rund 250 Märkte betreibt, berichtet „tagesschau.de“ weiter. Nach Stahls Aussage hätten viele Händler in den vergangenen zwei Jahren einen Umsatzeinbruch erlebt, wobei es jedoch regionale Unterschiede gegeben habe.
Anders sieht es Olaf Lenz, Bundesvorsitzender der Fachgruppe Wochenmärkte im Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute. Bei der Mehrheit liefen die Geschäfte gut. Die Kaufkraft sei da. Corona habe den Händlern in die Karten gespielt. Sie konnten damals größere Abstände zwischen den Ständen herstellen, was in Supermärkten nicht der Fall gewesen sei. In der Zeit hätten die Märkte geboomt, so Lenz. Jetzt sei man wieder auf dem Niveau von 2019. „Das aber stabil“, zitiert ihn „tagesschau.de“.
Er sieht ein anderes Problem für die schrumpfende Zahl von den noch rund 30.000 Markthändlern in Deutschland. Dies sei die zunehmende Bürokratie. Dazu würde die regelmäßige Protokollierung von Temperaturkontrollen bei Lebensmitteln oder der regelmäßigen Reinigung zählen. Die Belastung habe enorm zugenommen. Das und auch der harte Job als Markthändler würden es schwierig machen, Nachfolger, aber auch Verkaufspersonal zu finden.
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