Tempolimit auf Autobahnen: Mehrheit für 130 – kaum jemand für 100
Mit seiner Aussage, ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen finde in Deutschland keine Akzeptanz, hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing die Debatte zu diesem Thema neu entfacht. Faktisch ist das Tempo zumindest bis zur Bundestagswahl 2025 vom Tisch. Im Koalitionsvertrag hat die FDP durchgesetzt, dass es keine solche Maßnahme in dieser Legislaturperiode geben wird.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft dem Minister in diesem Zusammenhang vor, mit Falschaussagen zu operieren. Gegenüber den Zeitungen der „Funke-Mediengruppe“ hatte Wissing am Dienstag, 2. April, geäußert:
„Wenn flächendeckend auf Autobahnen ein Tempolimit 120, auf Landstraßen von 80 und innerorts von 30 gilt, hat das in Deutschland keine Akzeptanz. Das wollen die Leute nicht.“
DUH deutet Akzeptanz ihrer Maximalforderungen an
Wie die Bereichsleiterin Verkehr bei der Deutschen Umwelthilfe, Dorothee Saar, gegenüber der „Neuen Westfälischen“ (NW) erklärt, sei dies eine unzutreffende Aussage:
„Die Mehrheit der Deutschen ist für ein Tempolimit auf Autobahnen – selbst die Mehrheit der ADAC-Mitglieder.“
Nicht nur die Zustimmung zu Tempolimits auf Autobahnen, auch zu Tempo 30 im Ortsgebiet sei hoch. Dies zeige das Interesse an der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“, der sich mittlerweile 1.068 Städte und Gemeinden angeschlossen hätten.
Deren Ziel sei es, innerhalb geschlossener Ortschaften mehr Tempo-30-Zonen zu schaffen. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) sei bezüglich der Voraussetzungen jedoch restriktiv. Ein Bremser hinsichtlich einer möglichen Erweiterung von Anwendungsmöglichkeiten sei dabei auch Wissing.
Zustimmung zu Tempolimit steigt – aber nur für 130 km/h
Im Grunde lassen es beide Seiten in ihren Aussagen an Präzision vermissen. Tatsächlich ist die Akzeptanz der Idee einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen in der Bevölkerung zuletzt gestiegen. Dies zeigt etwa eine ADAC-Umfrage aus dem Januar 2023. Dieser zufolge waren 54 Prozent einer solchen Maßnahme gegenüber aufgeschlossen.
Auch eine Umfrage des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2021 ergab, dass eine deutliche Mehrheit von 64 Prozent ein Tempolimit billigen würde. Bei einer Umfrage von Allianz Direct aus dem Jahr 2021 favorisierten 71 Prozent der Deutschen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen.
Auf die ADAC-Umfrage hatte sich auch die DUH berufen. Was sie nicht dazusagt: Es ging in all diesen Fällen um ein allgemeines Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. Ein solches kennen die meisten Mitgliedsländer der EU, beispielsweise Österreich.
Nur jeder Zehnte würde geringere Höchstgeschwindigkeit akzeptieren
Über die Akzeptanz von 120 km/h als Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen sagt dies aber noch nichts aus. Erst recht nicht über das Paket, das der DUH für allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkungen vorschwebt. Diese möchte Tempo 100 auf Autobahnen, Tempo 80 auf Landstraßen und flächendeckend Tempo 30 in Ortschaften.
Die DUH verweist auf weniger Verkehrstote oder Verletzte und eine geringere Anzahl an Unfällen, wo es striktere Geschwindigkeitsbeschränkungen in ihrem Sinne gebe. Vor allem aber würde das Konzept der Umwelthilfe „mindestens 11,1 Millionen Tonnen CO₂ jährlich“ einsparen. Dies helfe, das Klimaziel von 65 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 zu erreichen – gemessen an 1990.
Bei Allianz Direct sprachen sich etwa 33 Prozent für Tempo 130 aus, weitere 32 Prozent wollten ein höheres Tempolimit von 140 Kilometern pro Stunde wie in Polen oder von 150. Nur jeder Zehnte wünscht sich ein Tempolimit unter 130 Kilometern pro Stunde.
Das Kalkül mit der Einsparung von CO₂ relativieren die Angaben der Befragten ebenfalls: Sollte es zum Tempolimit auf deutschen Autobahnen kommen, würde ein Viertel der Umfrageteilnehmer häufiger auf Inlandsflüge zurückgreifen.
Länder mit flächendeckendem Tempolimit nicht zwingend sicherer
Auch zeigen Unfalldaten, dass die Unfallneigung im Straßenverkehr und die Zahl der Verletzten und Toten in Ländern mit allgemeinem Tempolimit nicht immer geringer ist. Die Daten des International Transport Forum (ITF) der OECD zeigen, dass Deutschlands Straßen in den vergangenen Jahren kontinuierlich sicherer geworden sind.
Im Jahr 2021 lag Deutschland unter allen untersuchten Ländern auf Platz 8 mit etwa 3,8 Verkehrstoten pro Milliarde mit Fahrzeugen zurückgelegter Kilometer. Sicherer als Deutschland sind einige Länder mit strengeren Tempolimits wie Norwegen (1,8), Dänemark (2,2) oder die Schweiz (2,5).
Allerdings stehen Länder wie Japan (4,3) und Südkorea (8,1) trotz Tempolimits von 100 bis 110 auf Autobahnen deutlich schlechter da. Ebenso Österreich (4,2) und Tschechien (9,9) mit verbindlichen 130er-Beschränkungen. In Tschechien gilt auf Landstraßen zudem ein Tempolimit von 90 km/h. Dies ist insofern bedeutsam, als sich in Deutschland nur zwölf Prozent aller tödlichen Unfälle auf Autobahnen, aber 58 Prozent auf Landstraßen ereignen.
Erzwungene Schleichfahrten schaffen ebenfalls Risiko
Auch bezogen auf die Einwohnerzahl stehen einige Länder mit allgemeinen Tempolimits von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen oder noch strengeren Vorschriften schlechter da als Deutschland. Mit 2,7 Verkehrstoten auf 100.000 Einwohner im Jahr 2022 liegt Deutschland auf Platz 9 der untersuchten Länder.
Norwegen (2,1) und Schweden (2,2) sind diesbezüglich sicherer. Hinter Deutschland liegen Länder wie die Niederlande, wo tagsüber Tempo 100 auf Autobahnen gilt, oder auch restriktivere Länder bezüglich der Geschwindigkeit wie Österreich, Israel, Südkorea, Belgien, Argentinien und viele mehr. Dies zeigt, dass die Fahrgeschwindigkeit nicht der einzige Sicherheitsfaktor im Straßenverkehr ist.
Der Autofahrerklub AvD weist darauf hin, dass es am deutschen Straßennetz lediglich 1,4 Prozent an Straßen ohne gesetzliche Geschwindigkeitsbegrenzung gibt. Auf 30 Prozent der Autobahnen gibt es demnach eine verbindliche Tempobeschränkung, sonst gilt 130 als Richtgeschwindigkeit – oder es gibt situationsangepasste Empfehlungen.
DUH mit Lockdown-Logik für den Straßenverkehr
Die Unfallgefahr steigerten zudem auch zu geringe Geschwindigkeiten. Nach Einschätzung der Unfallforschung der Versicherer (UDV) ist auch eine Unterforderung der Autofahrer ein Gefahrenpotenzial. Die Lenker würden unkonzentriert, nachlässig, schläfrig und lenkten sich mitunter gar mit anderen Tätigkeiten ab.
Im Ergebnis trifft es zweifellos zu, dass, sobald ein Tempolimit niedrig genug ist, um die effektive Fahrtgeschwindigkeit weit genug zu drosseln, die Wahrscheinlichkeit tödlicher Verkehrsunfälle entsprechend weit sinkt. Mit einem vollständigen Verbot des motorisierten Individualverkehrs wäre sie nahe oder gleich null.
Dies würde im Kern der Anwendung der Lockdown-Logik aus Corona-Zeiten gleichkommen, als Regierungen versuchten, durch die weitgehende Ausschaltung des öffentlichen Lebens die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 zu unterbinden.
Abgesehen von der Frage der politischen Durchsetzbarkeit einer solchen Maßnahme ist jedoch davon auszugehen, dass Tempolimits im äußersten Fall der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen. Immerhin stellt es eine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 GG dar, die Fortbewegung auf eine Weise einzuschränken, die offenkundig eher der Schikane oder ideologisch begründeten „Erziehung“ von Autolenkern dient als dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer.
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