Studie stößt Debatte zur Elterngeldreform an – Mehrheit wünscht sich freie Betreuungswahl für unter Dreijährige
„Bemutterung ist out. Kinderbetreuung ist in. Wir bezahlen beinah jeden, um nach den Kindern zu sehen, außer die eigenen Mütter.“ Diese Worte stammen von dem australischen Kinder- und Familienpsychiater Peter S. Cook. Wie groß das Interesse jedoch an einer Betreuung der Kinder im eigenen Haushalt ist, zeigt eine aktuelle Umfrage.
Im Juni 2022 widmete sich das Meinungsforschungsinstituts INSA dem Thema Kinderbetreuung. 55 Prozent der 2.082 befragten Personen sprach sich für eine Wahlfreiheit der Eltern in Bezug auf die Kinderbetreuung aus und setzten damit ein klares Signal gegen die einseitige finanzielle Förderung von Fremdbetreuung in Krippen und Tagespflege. Sie stimmten für die Einführung eines Erziehungsgeldes in den ersten drei Lebensjahren des Kindes. Öffentlich diskutiert wird diese Frage jedoch bislang kaum.
Mit einem solchen freien Modell würde sich die Frage nach dem Einkommensausfall des betreuenden Elternteils nicht mehr stellen. Eltern könnten frei wählen: Wollen sie ihr Kind in eine Fremdbetreuung, zu einer Tagesmutter oder in eine Krippe geben? Oder wollen sie, dass ihr Kind im familiären Umfeld aufwächst und so eine individuelle Eins-zu-eins-Betreuung genießt?
Breites Spektrum der Befragten
Die Mehrheit, die für eine freie Wahl der Eltern stimmte, setzt sich aus einem breiten Spektrum der Befragten in allen Altersstufen zusammen. Von 18 bis über 60 Jahren waren jeweils über 50 Prozent der Meinung, dass ein Elterngeld eingeführt werden sollte, damit Eltern – unabhängig von ihrer finanziellen Situation – den geeigneten Betreuungsrahmen ihres Kindes wählen können.
Gefragt nach ihrer politischen Gesinnung führten Anhänger der Linken (72 Prozent) die Liste an, gefolgt von den Grünen (62 Prozent), SPD (57 Prozent), FDP (55 Prozent), AfD (51 Prozent) und CDU/CSU (50 Prozent). Es ist also ein Thema, das alle Parteien interessieren sollte.
Für 57 Prozent der Umfrage-Teilnehmer steht fest: Der Staat sollte die ausschließliche Betreuung von Kindern im Krippen-/Kita-Alter durch die Familie zu Hause stärker finanziell fördern. In diesem Punkt sind sich auch die Befragten aus Ost (59 Prozent) und West (57 Prozent) einig.
Rechtsanspruch auf Kitaplatz
Durch den derzeit gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf „frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege“ wird es Eltern ermöglicht, ihre Kinder vom ersten bis zum dritten Lebensjahr außerhalb des Haushaltes betreuen zu lassen. Wer sein Kind jedoch zu Hause betreuen will, benötigt ein finanzielles Polster. Ist dieses nicht vorhanden, sehen viele Eltern nur noch eine Lösung – den Weg einer Fremdbetreuung und damit zurück ins Berufsleben.
Der Verband Familienarbeit e. V. kritisiert die einseitige Subventionierung der Kinderbetreuung. Dies stehe im Widerspruch zu Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz, in dem es heißt: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
In dem aktuellen Konzept, bei dem das Elterngeld als Lohnersatz gezahlt wird, sieht der Verband einen von vornherein falschen Ansatz. Das Mutter- und Vaterdasein spiele demnach nur „eine unbedeutende Nebenrolle“. Da das Elterngeld sich am Einkommen orientiere, würden besser verdienende Eltern mehr Geld bekommen als beispielsweise Eltern, die sich gerade in einer Ausbildung befinden oder weniger verdienen.
Frühe Fremdbetreuung umstritten
Dr. Johannes Resch, Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für Arbeitsmedizin mit Zusatzbezeichnung Sozialmedizin, verwahrt sich gegen die weitläufig geltende und in Medien propagierte Meinungen, dass frühe Fremdbetreuung Kindern zugutekomme – auch wenn Studien diese Auffassung stützen.
„Leider ist es heute so, dass unabhängige Forschungen an Unis, die früher die Regel waren, immer mehr zur Ausnahme werden, weil der normale Haushalt meist nur zur Routine reicht“, schreibt er in einem Beitrag, der auf der Website des Verbands Familienarbeit e. V. im Jahr 2018 veröffentlicht wurde. Insoweit konnte er einer Studie von der Uni-Klinik Dresden aus dem Jahr 2016 nichts abgewinnen, in der behauptet wurde, dass frühe Krippenbetreuung späteren psychischen Störungen entgegenwirke. Zwar könnten Studien bei Untersuchung von Krankheiten, psychischen Störungen und dergleichen wertvolle Hinweise geben, wenn man wichtige Regeln nicht beachtet, käme es aber zu „völlig falschen Schlüssen“.
Das sehe man beispielsweise an der Dresdener Studie, die zur Krippenpolitik passt, erklärt Resch. Der Studie von Veit Roessner, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni-Klinik Dresden, lag eine Untersuchung von 4.000 Kindern im Einschulungsalter zugrunde. Das Fazit: „Je früher die Kinder in eine Einrichtung kamen, desto niedriger war das Risiko für psychische Störungen.“
Bei Kindern, die erst im Alter von drei oder vier Jahren fremdbetreut werden, sei die Wahrscheinlichkeit für Auffälligkeiten wie Hyperaktivität doppelt so hoch, erklärte Roessner in einem „Stern“-Interview. Dabei spiele der soziale Hintergrund keine entscheidende Rolle. Positiv bewertet wurden in der Schule auch eine bessere Sprachkompetenz, Körperkoordination, weniger Probleme beim Zählen und seltener Übergewicht – alles Aspekte, die durch eine frühzeitige Kita-Betreuung erreicht werden könnten.
„Wer forschen will, braucht meist Geldgeber aus Wirtschaft oder von staatlichen Stellen. Solche Gutachtenaufträge sind dann meist mit bestimmten Erwartungen verbunden“, erklärt Dr. Resch. Viele Wissenschaftler würden dazu neigen, diese Erwartungen möglichst zu erfüllen, schon um Folgeaufträge an Land zu ziehen. Daher sollte immer hinterfragt werden, wer die Studie finanziert. Gleichzeitig betonte er, dass viele Wissenschaftler zu ihren Erkenntnissen stehen, auch wenn sie die Erwartung der Auftraggeber nicht erfüllen. Aber solche Ergebnisse würden „meist in den Schubladen der Auftraggeber verschwinden“.
Von den untersuchten Kindern waren 94 Prozent in einer Krippe, der Rest besuchte erst ab drei Jahren einen Kindergarten. Es könnte sein, dass diese Kinder schon von vornherein auffälliger waren, führte der Mediziner an. Eine derartige Behauptung ohne eine Untersuchung der Kinder vor Krippeneintritt aufzustellen, hielt er in keiner Weise für gerechtfertigt.
„Jedem ist das Beispiel bekannt, dass der Rückgang der Geburten gleichzeitig mit dem Rückgang der Störche erfolgt ist. Aber das ist eben noch kein Beweis dafür, dass Störche die Kinder bringen“, so Resch. Zudem seien die Fragen zu psychischen Auffälligkeiten ausschließlich von Eltern erfragt worden. „Auch hier wären Untersuchungen durch geeignete Psychologen, die gleiche Maßstäbe anlegen, aussagefähiger gewesen. Aber das hätte freilich höhere Kosten verursacht.“
Experten fordern Richtungswechsel
Der renommierte Psychiater, Psychoanalytiker und Bindungsforscher Hans-Joachim Maaz wies in einer in der Leopoldina am 23. November 2019 abgehaltenen Tagung darauf hin, dass es heutzutage üblich sei, Kinder in überfüllten Krippen mit zu wenigen Erziehern unterzubringen und sie fremdbetreuen zu lassen, anstatt sie daheim zu behalten.
Bereits im Mai 2018 forderten Fachleute, unter ihnen auch Maaz, dass die Politik die optimalen Entwicklungsbedingungen für Kinder fördert – im Sinne einer Familienpolitik, die es den Eltern erlaubt, ihre Kleinkinder selbst zu betreuen. Unterstützt wurde diese Forderung von dem bekannten Neurobiologen Dr. Gerald Hüther, dem Leitenden Arzt des Sozialpädiatrischen Zentrums Bielefeld Bethel Dr. Rainer Böhm, dem Psychotherapeuten Professor Hans Sachs und anderen.
„Das soziale Verhalten eines Erwachsenen wird wesentlich von den frühen Entwicklungsbedingungen geprägt“, heißt es in der Begründung. Aus umfangreicher Forschung sei bekannt: Bindung gilt als wichtigste Voraussetzung für Bildung. „Die Fähigkeit für demokratisches, freiheitliches und tolerantes Verhalten wird durch die frühe Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kind gewonnen!“, so die Befürworter der neuen Familienpolitik.
Elterngeld für die ersten drei Jahre
Zu den Forderungen der Fachleute gehörten: ein Grundgehalt für Eltern in den ersten drei Lebensjahren des Kindes, das alternativ auch zur Finanzierung einer außerhäuslichen Betreuung verwendet werden kann; Teilarbeitszeit für Eltern bei gleichzeitigem Karriereschutz und kostenlose Angebote für sogenannte Elternschulen, die die Beziehungsfähigkeit von Eltern verbessern und zur besseren Konfliktbewältigung beitragen.
Kinderkrippen für unter Dreijährige sollten nach Ansicht der Psychotherapeuten nur aus Not- und Ausnahmegründen vorgehalten werden. Dabei müssten optimale Betreuungsmöglichkeiten durch einen hohen Personalschlüssel gegeben sein, den die Experten mit zwei bis drei Kindern pro Betreuer angeben. Derzeit variiert der Personalschlüssel für diese Altersgruppe je nach Bundesland von drei bis sechs Kindern pro Betreuer.
Der Verband Familienarbeit e. V. sieht in der derzeitigen Befristung des Elterngeldes auf 12 bis 14 Monate einen Grund, warum viele Eltern ihre Kinder zu diesem Zeitpunkt in eine Fremdbetreuung geben – „oft gegen die eigene Überzeugung“. Eine Elterngeld-Reform müsse her: „Wir wollen ein Elterngeld, das die elterliche Kindererziehung und -betreuung als eigenständige Leistung anerkennt und honoriert“, so der Verband. Die Beitragshöhe solle sich an dem Betrag orientieren, mit dem der Staat einen Krippenplatz finanziert. Vorgeschlagen wird, den Eltern-Grundbeitrag für jedes Kind unter drei Jahren auf mindestens 600 Euro festzusetzen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 56, vom 6. August 2022.
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