Streit um sexuelle Übergriffe und Rassismus-Vorwürfe dauert an

Ein Schreiben des AStA der Freien Universität Berlin zum korrekten Verhalten bei sexuellen Übergriffen sorgt für immer mehr Aufsehen. Während der „Referent*innenRat" der Humboldt-Uni seine Solidarität erklärte, sind die Berliner Polizei und eine Feministin alles andere als begeistert.
Titelbild
Sexuelle Übergriffe an Universitäten finden eher weniger im Hörsaal statt, sondern irgendwo am Rand des Campus. Ein Fall sorgt bundesweit für Aufsehen.Foto: iStock/gorodenkoff
Von 15. Februar 2023

Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Freien Universität Berlin (FU) hatte kürzlich in einem Schreiben vor einem Mann gewarnt, der mehrere Frauen auf dem Unigelände belästigt haben soll. Der AStA empfahl, im Fall eines Übergriffs nicht die Polizei zu rufen, damit der Mann keinem „Rassismus“ ausgesetzt wird. Nach Ansicht des AStA ist es besser, den Sicherheitsdienst der Uni einzuschalten. Der AStA der FU wies in seinem Schreiben „unbedingt“ darauf hin, „dass Polizeieinsätze für von Rassismus betroffene Menschen grundsätzlich mit einem erhöhten Risiko einhergehen, Polizeigewalt zu erfahren“.

Der „Referent*innenRat“ (RefRat) der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) unterstützt die Sichtweise des FU-AStAs ausdrücklich, wie aus einem aktuellen Schreiben an die HU-Studenten hervorgeht. Demnach „solidarisiert“ sich der HU-RefRat „mit dem AStA FU und verurteilt die Instrumentalisierung von Opfern sexualisierter Übergriffe durch rechte Kräfte.“

Polizei: Opferschutz muss garantiert sein

Die Polizei Berlin ist von dem FU-Schreiben dagegen wenig begeistert. „Wer in Gefahr oder von einer Straftat betroffen ist bzw. auf eine Notsituation anderer aufmerksam wird, sollte sich von Nichts und Niemandem abhalten lassen zu handeln. Rufen Sie uns – wählen Sie den #Notruf 110! Wir sind für Sie da“, hieß es auf dem offiziellen Twitter-Account der Behörde.

Als Antwort auf den Polizei-Tweet schrieb die FU, dass sie „jegliche Form von Gewalt und sexualisierter Belästigung“ verurteile. Der persönliche Hintergrund des Täters spiele dabei keine Rolle. Insofern betont die FU, dass der Notruf der Polizei gewählt werden solle, falls Gefahr in Verzug sei oder wenn andere Personen in eine Notsituation gerieten. Die FU verwies allerdings auch auf bereits etablierte Strukturen, die es zum Schutz vor sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt gebe: „Dazu gehören die Arbeitsgruppe und Richtlinien zu sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt und die Beratungen für Betroffene.“ Auch die in der FU „ansässigen Wach- und Pförtnerdienste“ seien „dafür sensibilisiert, Hilfe zu leisten“.

Polizei-Pressesprecherin Beate Ostertag dagegen stellt klar: „Opfern von sexueller Gewalt von einer Strafanzeige abzuraten, kann langwierige Folgen für die Psyche der oder des Betroffenen haben.“ Das Ohnmachtsgefühl und die Hilflosigkeit, die bei den Betroffenen entstünden, könnten sich verfestigen. Es sei außerdem wichtig, weitere Opfer vor Übergriffen zu schützen. Dafür gebe es Möglichkeiten aus dem Gefahrenabwehrrecht.

Nachdem der AStA der Freien Universität auf mehrere Gesprächsangebote der Berliner Polizei nicht reagiert hatte, landete die ganze Geschichte nun auch auf dem Schreibtisch der Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik. Sprecherin Ostertag forderte den FU-Studierendenausschuss zum Dialog auf: Bei der Polizei gebe es den dringenden Wunsch, „in einen konstruktiven Diskurs zu treten“.

Übergriffe an der FU

Den Anlass für die Auseinandersetzung hatte ein Mann gegeben, der seit mehreren Wochen an verschiedenen Orten der FU Frauen gegenüber sexistisch aufgetreten sein soll. In der AStA-Warnung wird er mit Foto und Namen abgebildet. Bisher habe es keine körperlichen Übergriffe gegeben. Gewaltandrohungen sollen Frauen allerdings schon erfahren haben.

Die FU bestätigte, „dass es in der Vergangenheit mehrfach zu Beschwerden von Universitätsmitgliedern über Belästigungen auf dem Campus durch eine nicht universitätsangehörige Person gekommen ist“. Der Mann habe daraufhin Hausverbot erteilt bekommen. Die Universität könne sich aus Datenschutzgründen allerdings nicht dazu äußern, ob es sich dabei um den in dem Schreiben erwähnten Mann handelt.

Der Polizei hingegen ist der Mann bereits bekannt: Schon im Dezember habe es eine Anzeige wegen sexueller Belästigung gegeben.

AStA-Empfehlung: Sozialpsychiatrischen Dienst statt Polizei rufen

Der AStA verwies in seinem Schreiben auf mögliche Wissenslücken der Polizei: Es könne sein, dass Beamte „nicht ausreichend im Umgang mit psychischen Ausnahmesituationen geschult“ seien. Einsätze würden oft „durch unnötigen Einsatz von Gewalt eskaliert werden“.

Daher empfahlen sie Studenten, sich besser an den Campuswachdienst oder den sozialpsychiatrischen Dienst zu wenden. Der sozialpsychiatrische Dienst könne allerdings nur tätig werden, wenn das Einverständnis der betroffenen Person vorläge. Bisher aber habe sich der Mann nicht einsichtig gezeigt und wolle sein Verhalten auch nicht ändern, gab der AStA in seinem Schreiben zu. „Manchmal ist es kaum möglich, mit ihm zu reden“, heißt es.

RefRat unterstützt AStA in Schreiben

Der HU-RefRat hält die Mahnung des FU-AStA, die Polizei außen vorzulassen, für richtig: „Diese Empfehlung sollte angesichts der anhaltenden Vorfälle von Polizeigewalt und Tötungen durch die Polizei eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Von Rassismus Betroffene, Personen in psychischen Ausnahmesituationen oder wohnungslose Personen sind nur einige Beispiele für Personengruppen, für die die Polizei keine Sicherheit darstellt.“ Wenn man die Polizei rufe, verstärke dies für diese Personengruppen regelmäßig die Gefahrenlage, heißt es in dem Schreiben weiter.

„Die Entscheidung darüber, zu welchen Mitteln Betroffene von Übergriffen greifen, [liegt] einzig und allein bei ihnen selbst“, stellte der FU-AStA in einem weiteren Statement klar. Der RefRat der Humboldt-Uni erachtet es ebenfalls für notwendig, „als Studierendenvertretung potenzielle Betroffene nicht nur vor Täter*innen zu warnen, sondern sie auch über alle verfügbaren Anlaufstellen zu informieren“. So könnten Übergriffsituationen „deeskalativ und ohne zusätzliche Risiken für die Betroffenen entschärft werden“.

Kritik ist rassistische Verzerrung der Fakten

Für den RefRat steht bei der aktuellen Berichterstattung zum Fall nicht die Sorge um die Betroffenen im Mittelpunkt. Viel mehr sehen sie eine „rassistische, anti-emanzipatorische Verzerrung der Fakten“. Demnach würden die öffentlichen Stimmen Opfer sexualisierter Gewalt instrumentalisieren, um Kritik an der Polizei zu delegitimieren. „Springermedien, neofaschistische Blogs, die wahlkampfhungrige CDU, die Polizei Berlin und natürlich auch die Gewerkschaft der Polizei sind Instanzen, die keine Chance verstreichen lassen, emanzipatorisch-feministische Politik zu unterbinden und einen Ausbau von Anlaufstellen für Betroffene, Anerkennung und Gerechtigkeit zu verhindern“, heißt es in dem Schreiben weiter. In der Universität würden Übergriffigkeiten keinen Raum haben.

Das derzeitige Interesse an dem Fall sei ein Indiz für einen politischen Angriff auf einen linken AStA. Der RefRat beschrieb ihn als „Produkt einer rassistischen, patriarchalen Medienlandschaft, welche die zahlreichen Vorfälle von Polizeigewalt gegen migrantisierte Menschen in den letzten Jahren nicht nur ignoriert, sondern scheinbar auch verdrängt hat“.

Feministischer Verein: FU-AStA-Empfehlung „zutiefst frauenfeindlich“

Die Vorsitzende des feministischen Vereins „Frauen für Freiheit“, Rebecca Schönenbach, hält die Sorge der Studierendenvertretungen grundsätzlich für berechtigt, aufgrund der Hautfarbe von der Polizei diskriminiert zu werden. „Seltsam ist aber, dass die Sicherheit der Frauen der des Mannes untergeordnet wird. Damit sagt man, Frauen sind weniger wert als der Mann“, so Schönenbach. Das halte sie für „zutiefst frauenfeindlich“.

Die „emanzipatorische-feministische Politik“ des FU-AStA, von der das HU-RefRat schrieb, stellt Schönenbach damit infrage. Und sie ist überzeugt: „Wir leben in einem Rechtsstaat und können gegen rassistisches Handeln bei der Polizei vorgehen.“



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion