Sprachwissenschaftler übers Gendern: „Sprache ist weder gerecht noch ungerecht“
Gendern und Einfache Sprache – passt das zusammen? Über das Thema unterhielt sich die Epoch Times mit dem Sprachwissenschaftler Dr. Mansour Neubauer. Sein Themengebiet: Fachinhalte sollen betont verständlich vermittelt werden – mündlich und schriftlich, analog und digital.
Das Gendern entstand im Zuge der Frauenbewegung und sollte eigentlich Diskriminierung minimieren. Die Sprache an sich ist allerdings nicht diskriminierend, sagt Neubauer. Viel mehr wird sie heute zwangssexualisiert und instrumentalisiert.
Herr Mansour Neubauer, Ihr Fachgebiet liegt bei der Einfachen Sprache. Was hat das Gendern mit Einfacher Sprache zu tun und wie passt das zusammen?
Ob das zusammenpasst, muss noch beurteilt werden. Einfache Sprache bedeutet aber, betont verständlich zu kommunizieren. Das heißt, sprachliche Schwierigkeiten oder sprachliche Barrieren werden gezielt herausgefiltert.
Viele dieser Barrieren haben überhaupt nichts mit dem Gendern zu tun. Es geht unter anderem um Fachdeutsch. Bestimmte Fachbegriffe müssen erklärt werden. Aber ein Teil von Sprachbarrieren ist Gendern. Denn das Gendern ist neu und viele sind damit überfordert.
Bei Einfacher Sprache hält man sich an die Regeln der deutschen Rechtschreibung. Das heißt: Alles, was regelkonform ist, wird angewandt. Alles, was nicht regelkonform ist, wird nicht angewandt. Gendern mit Sternchen beispielsweise verstößt gegen die Regeln für deutsche Rechtschreibung und muss nicht angewandt werden. Alle Wörter aus dem Wörterbuch sind erlaubt. So empfehlen es auch die seriösen Sprachinstitutionen wie die Gesellschaft für deutsche Sprache oder der Rat für deutsche Rechtschreibung.
Es gilt also: Gendern – ja; Wörter mit Satzzeichen trennen – nein.
Welche Form zu Gendern wäre das genau? Ist das beispielsweise eine gesprochene Pause bei Student*innen? Oder würde von Studierenden gesprochen werden?
Es würde gegen die Regeln für deutsche Rechtschreibung verstoßen, Student mit einem Satzzeichen und in zu schreiben (Beispiel: Student*in) und sollte nicht gemacht werden. Dafür kann von Studierenden gesprochen werden, allerdings auch nur bedingt. Denn: Bei dem Prinzip der Einfachen Sprache sind Geschlechtergerechtigkeit, Gendersensibilität und so weiter immer zweitrangig. An erster Stelle steht die Verständlichkeit.
Das heißt, die Zielgruppe mit ihren fachlichen und sprachlichen Kenntnissen steht an erster Stelle. Bei jedem Wort in Einfacher Sprache wird gefragt: „Würde meine Zielgruppe das problemlos verstehen?“
Ein Studierender ist jemand, der gerade in diesem Moment studiert. Ist diese Verwendung grammatikalisch immer richtig?
Menschen, die an einer Universität oder Hochschule einem Studium nachgehen, heißen in korrektem Deutsch „Studenten“. Das Wort „Studierende“ als Ersatz hierfür zu nehmen, wäre falsch. Denn „studierend“ ist ein Partizip I und drückt nur eine im Moment des Geschehens stattfindende Tätigkeit aus.
Es ist vergleichbar mit „Backende“ und „Bäcker“. Ein Backender ist ein Mensch, der gerade im Moment des Geschehens backt. Das macht den Menschen noch nicht zum ausgebildeten „Bäcker“.
Das Verb „studieren“ hat nichtsdestotrotz andere Bedeutungen, wo die Benutzung des Partizips „studierend“ richtig ist. Man kann beispielsweise ein Lied studieren (einüben) oder die Miene des Gegners studieren (genau untersuchen). In solchen Fällen – und nur in solchen Fällen – wäre „Studierende“ richtig.
Sprache ist im Wandel und Regeln fürs Schreiben und Sprechen verändern sich. Letzten Endes setzt sich aber durch, was bei den Menschen am meisten Anklang findet. Wie ist Ihre Prognose fürs Gendern?
In der Welt der Kommunikation gibt es das „Prinzip der sprachlichen Ökonomie“. Das heißt, Hörer und Sprecher versuchen in der Kommunikation unbewusst, mit möglichst geringem Aufwand das Verständnis zu sichern.
Ich glaube trotzdem nicht, dass Gendern mit Sternchen in Gänze verschwindet. Es wird sich das durchsetzen, was bei den Menschen am Ende für weniger Arbeit sorgt. Die Menschheit ist – salopp gesagt – faul und entscheidet sich immer für das Einfachere.
Wörter wie Lehrer*innen werden sich eher nicht durchsetzen, wenn man stattdessen das einfachere Wort Lehrer benutzen kann. Wenn Menschen aber von Expertinnen und Experten sprechen, würden sie eher dazu neigen, Expert*in zu sagen. Sie sehen darin eine Erleichterung im Vergleich zu dem Ausdruck Expertinnen und Experten.
Ich habe mir mal die Mühe gemacht und geschaut, wie viele neue Schreibweisen es für das Wort „Lehrer“ gibt. Allein für „Lehrer“ kam ich auf über 300 neue Schreibweisen.
Können Sie Beispiele nennen?
Zum Beispiel: Lehrer/in, Lehrer:in, Lehrer*in, Lehrer„in“, Lehrer(in), Lehrer_in, LehrerIn, Lehrer(-in) und so weiter und so fort. Dieselben Formen gibt es auch im Plural. Es gibt auch neue Wörter wie Lehrerschaft oder Lehrkraft, Lehrkraft*in. Es geht so weit, dass manche Menschen dazu schreiben: Lehrkraft (Mensch) und betonen wollen, alle Menschen anzusprechen.
Wenn Personen von Lehrer*innen sprechen: Haben sie dann eher ein Bild von Männern, Frauen oder Divers vor Augen?
Studien legen bisher nahe, dass Menschen bei der gegenderten Form mit Sternchen eher nur an Frauen denken. Es müssen aber weitere Studien abgewartet werden.
Das Gendern führt also anscheinend dazu, dass Menschen Frauenbilder im Kopf haben. Auf der anderen Seite entsteht bei den meisten Menschen ein Bild von Männern im Kopf, wenn nicht gegendert wird. Kann beides integriert und ein Mittelweg gefunden werden?
Ich fürchte, es wird niemals der Fall sein, dass sich mit einem Wort alle angesprochen fühlen. Und das sollte meiner Meinung nach nicht unser Anspruch sein.
Ich sehe Begriffe wie zum Beispiel Gendersensibel, Geschlechtersensibel und so weiter eher kritisch. Zum einen vermitteln sie den Eindruck, dass Geschlechtergerechtigkeit mit der Schreib- und Sprechweise des Genderns schon bewiesen ist. Aber in Wahrheit ist das nur ein Ziel und kein Ist-Zustand.
Zum anderen kann die Sprache an sich, also Wörter und Buchstaben, weder gerecht noch ungerecht, diskriminierend oder diskriminierungsfrei sein. Das können nur Menschen sein.
Sie sagen, dass die grammatikalische Form nicht wertend ist und kein Geschlecht hat. Gibt es keinen Unterschied, ob über Menschen oder Dinge gesprochen wird?
Dass Artikel biologische Geschlechter repräsentieren, ist ein weitverbreiteter Irrtum der letzten zwei, drei Jahrzehnte. Das hat sehr viel damit zu tun, dass Frauen im Zuge des Feminismus sagten: „Wir wollen auch in der Sprache sichtbar sein“. Die Sprache war vorher nichts Sexuelles. Mit der Zeit wurden Geschlechter in die Sprache hineininterpretiert.
„Das Mädchen“ zum Beispiel ist weiblich, trotzdem spricht man von „das“ Mädchen – von einer Sache. Das heißt, Artikel haben nichts mit Geschlecht zu tun.
Früher sagte man „Lehrer“ und es waren alle gemeint. Dann sollte von „Lehrerinnen und Lehrern“ gesprochen werden. „Lehrerinnen“ führt aber dazu, dass mit „Lehrer“ immer weniger beide Geschlechter assoziiert werden und lediglich das männliche. Wir entwickeln die Sprache selbst, indem wir etwas auf die Sprache projizieren.
Es werden also Geschlechter auf die Sprache projiziert, die in der Sprache primär gar nicht vorhanden sind?
Genau. Die Funktion der Sprache ist von Anfang an das Sichern von Verstehen – sie wurde aber für ganz andere Kämpfe missbraucht. Es gibt viel Ungerechtigkeit in der Welt – die Bekämpfung dieser versucht man heutzutage auf dem Rücken der Sprache auszutragen. Das ist bedauerlich.
Das Gendern ist eine Sexualisierung der Sprache, und das führt am Ende zu Konflikten. Und dabei bewegen wir uns erst einmal nur im Bereich der Geschlechter.
Könnte es durch das Gendern auch zu einer Diskriminierung von Männern kommen?
Ja, auf jeden Fall. In der Gesellschaft herrscht ein Eindruck, dass die Sprache Frauen benachteiligen würde. Schaut man sich aber nur die Sprache an, ohne den politisch-sozialen Konflikthintergrund, werden weder Frauen noch Männer oder diverse Geschlechter diskriminiert.
Dieser Eindruck ist subjektiv. Er entsteht nur, wenn man sich bewusst nur bestimmte Bereiche der Sprache anschaut und alles andere ausblendet. Man könnte schließlich auch behaupten, dass es eine sprachliche Diskriminierung von Männern gäbe und gute Beweise dafür liefern.
Es ist also die Frage, welche Argumente man sich in welcher Intensität anschaut. Ich als Mann fühle mich in der deutschen Sprache nicht diskriminiert. Ich denke auch, dass sich viele Frauen in der Sprache nicht diskriminiert fühlen. Auch diesen Frauen sollte man Gehör verschaffen.
Umfragen zeigen, dass besonders Frauen die Genderdebatte für wichtig erachten. Glauben Sie, dass Frauen sich doch eher diskriminiert fühlen? Was sind die Gründe dafür?
Die Forschung weiß schon länger, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind. Zum Beispiel haben sie ein unterschiedliches Sprachregister. Das bedeutet: Frauen sprechen über andere Themen als Männer.
Auch im Thema Gendern gibt es natürlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Aber man sollte nicht der Illusion hinterherlaufen, dass es eine geschlechtergerechte Sprache gäbe, die man verwirklichen könne. Bei solchen Fragen entscheidet letzten Endes nicht der Buchstabe, sondern das Empfinden des Menschen.
Zum Autor
Mansour Neubauer ist promovierter Germanist. Er schrieb im Jahr 2017 seine Doktorarbeit in der linguistischen Äußerungsanalyse. Heute entwickelt er zusammen mit weiteren Wissenschaftlern das Konzept „Einfache Sprache“ weiter, einen betont verständlichen Sprachstil des Deutschen. Neubauer führt zu dem Thema Beratungen und Workshops durch und „übersetzt“ komplizierte Fachtexte in betont verständliches und ansprechendes Deutsch. Zudem publiziert er Fachbücher, darunter „Einfache Sprache – Grundregeln, Beispiele, Übungen“.
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