Sozialverband Deutschland: Bürgergeldempfänger dürfen nicht diskreditiert werden
Der SOVD setzt sich für soziale Gerechtigkeit und für den Erhalt sowie den Ausbau der sozialen Sicherungssysteme ein. Juristen des SOVD führen jährlich zehntausend Rechtsstreitigkeiten für Mitglieder vor den Sozialgerichten und gewinnen dabei 80 Prozent dieser Prozesse.
Wie denkt der SOVD über eine aktuelle INSA-Umfrage, wonach eine Mehrheit der Deutschen Bürgergeldleistungen ganz streichen will? Wie beurteilt der Verband die aktuelle soziale Entwicklung? Epoch Times im Interview mit Pressesprecher Peter-Michael Zernechel.
Aktuell wird die Frage diskutiert, Bürgergeldempfängern, die nicht arbeiten wollen, das Bürgergeld zu streichen. Darf der Staat ein Minimum zum Leben weiter kürzen oder ganz streichen? Wozu dann überhaupt ein Minimum festlegen?
Hier kommen mehrere Sachen zusammen. Und wir haben die Schwierigkeit, das zu kommunizieren: Die Einführung von Hartz IV hatte schon dafür gesorgt, dass sich für Menschen, die in Langzeitarbeitslosigkeit sind, die Lebensverhältnisse stark verändert haben.
Das wurde jetzt zum Teil durch die Einführung des Bürgergeldes revidiert. Demgegenüber hatten wir Preissteigerungen, die im zweistelligen Bereich lagen. Die sind ja nicht zurückgenommen worden.
Energie, Lebensmittel, das Wohnen – alles ist teurer geworden. Die Lebensumstände haben sich stark verteuert. Und diese Anpassung – gerade beim Bürgergeld – muss jetzt einfach durchgeführt werden. An Krisen kann man sich nämlich nicht alle zwei Jahre anpassen. Die Krisendichte hat ja einfach zugenommen.
Ergibt die Frage überhaupt rechtlich Sinn, denjenigen das Bürgergeld zu entziehen, die nicht arbeiten wollen? Darf die Grundsicherung als existenzielles Minimum überhaupt angetastet werden?
Das muss man politisch festlegen. Wir sind nun mal ein Sozialstaat. Wir haben einen starken Sozialstaat, der nicht weiter ausgehöhlt werden soll. Und der fußt natürlich auf Solidarität, dass diejenigen, die eine Arbeit haben, die arbeiten und arbeiten können, eben einen Teil ihres Gehaltes abgeben. Und das ist dann für diejenigen da, die zum Beispiel übergangsweise keinen Job haben.
Wer das System ausnutzt – und ich glaube, da wird es keine zwei Meinungen geben –, da muss man überlegen, wie weit man versuchen muss, diesen Menschen eine Hilfestellung zu bieten, doch wieder in Arbeit zu kommen: durch Umschulungsmaßnahmen, durch Sprachkurse und Eingliederungsgeschichten.
Aber was wir immer wieder bemängeln, ist, dass diese sehr, sehr wenigen, die dieses System ausnutzen, auch nachweislich hergenommen werden, um alle Menschen, die gerade keinen Job haben und von staatlichen Zuwendungen leben müssen, zu diskreditieren.
Und da sagen wir: Das geht auch nicht! Es ist ja nachgewiesen, dass nicht einmal drei Prozent aller Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger sanktioniert werden. Und von denen halt auch nur wenige wirklich richtig scharf. Das wird sich ein bisschen ändern, jetzt wohl nach der Ankündigung vom Bundesarbeitsminister.
Aber hier wird eine Scheindebatte geführt. Es wird ja einfach so getan, als würden alle, die Bürgergeld bekommen, in der berühmten sozialen Hängematte liegen. Das ist überhaupt nicht der Fall. Wir haben ja auch sterbende Industrien. Wir haben sicherlich Berufsfelder, die nicht mehr so zukunftsorientiert sind.
Und Menschen, die in diesem Berufsfeld gearbeitet haben, die haben es schwer, ein neues zu finden. Vor allem auch ab einem bestimmten Alter. Und diesen Menschen muss man helfen. Zum einen das Geld geben, um leben zu können, zum anderen sie aber auch nachschulen und weiterbilden, damit sie dann fit gemacht werden für den Arbeitsmarkt.
Überall hört man, es gibt einen Fachkräftemangel, und dann gibt es aber auf der anderen Seite Arbeitslose. Irgendwie passt das nicht zusammen.
Derzeit haben wir die sogenannte Massenzuwanderung. Wir haben den Ukraine-Krieg mit über einer Million Flüchtlingen, die direkt ins Bürgergeld gekommen sind. Wie schaffen Sie es als Verband, das alles zu trennen und auseinanderzuhalten?
Das ist ja das, was ich eben sagte: Es sind diese Scheindebatten, die man immer wieder aufzieht, egal aus welcher politischen Ecke man jetzt kommt. Das macht die FDP zum Teil innerhalb der Koalition. Das macht die Union. Das machen natürlich die rechten Parteien, egal ob es die Freien Wähler sind oder vor allem die AfD.
Gerade die AfD, die in den ostdeutschen Bundesländern so stark ist, betont ja immer wieder, dass wir nicht mehr Zuwanderung brauchen. Die Zuwanderung oder die Aufnahme von Zugewanderten ist in ostdeutschen Bundesländern deutlich geringer, um ein Vielfaches geringer als in den westlichen Bundesländern. Also auch wieder die nächste Scheindebatte.
Wir sind bei Menschen, die zu uns kommen, wenn sie „Asyl“ an der Grenze sagen, aufgrund unserer gesetzlichen Lage verpflichtet, sie zunächst aufzunehmen. Aber ich denke – und das ist auch unsere Verbandsmeinung –, die Menschen, die bei uns sind, denen muss man dann auch helfen und sie fördern, damit sie so schnell wie möglich in sozialversicherungspflichtige Arbeit kommen.
Noch mal zur Eingangsfrage: Ist es nicht so, dass der Sozialstaat gesetzlich verpflichtet ist, ein Minimum zum Leben zu garantieren? Dennoch sind wieder Sanktionen in der Diskussion. Sogar bis dahin, das Bürgergeld komplett zu streichen.
Es wird ja nur sanktioniert insofern, als es übergangsweise zeitlich begrenzt einen Abzug gibt. Also eine Nullzahlung – da kann ich jetzt nur aus meinem eigenen Erlebnishorizont berichten –, davon habe ich nichts gehört und solche Fälle sind mir auch nicht bekannt.
Aber wie kann man 30 Prozent von einem Minimum abziehen? Ist es da nicht ein Minimum unter dem Minimum und schon wieder ungesetzlich?
Was ich auch nicht genau weiß, ist, wie viele Menschen, die im Bürgergeld sind, wirklich ausschließlich Bürgergeld bekommen. Wenn das zum Beispiel Familien sind, dann bekommen die auch noch Wohngeld, Kindergeld.
Aufstocker quasi?
Ja, das addiert sich schon auf. Und wie dort dann sozusagen die Reglementierung ausschließlich läuft. Die Kinder kann man ja nicht dafür bestrafen; die brauchen etwas zu essen, die brauchen Kleidung, die brauchen Schulsachen.
Aber das Prinzip des Förderns und Forderns ist ja erst einmal ein anderes Wort für ein Solidarsystem und für Solidarität. Und für das solidarische Verhalten steht auch unser Verband. Wir haben teilweise auch wertkonservative Mitglieder, auch Mitglieder, die sagen: Sicherungssysteme und ein funktionierender Sozialstaat sind super, dürfen aber auch nicht ausgenutzt werden durch Schwarzarbeit, durch Geldwäsche zum Beispiel.
Ich bringe jetzt mal ein Beispiel: Jemand hat einen kleinen Laden, macht sich in der eigenen Abrechnung ärmer. Der hat zudem nur eine Bargeldannahme. Keiner weiß danach, wie viel er wirklich eingenommen hat. Dann ist es so wenig, dass er halt noch on top unterstützt wird über die Behörden, also vom Steuerzahler. Das sind natürlich Systeme, das spricht bei jedem das Unrechtsbewusstsein an.
Zuletzt gab es Berichte über eine ukrainische Familie, die wieder in die Heimat gefahren ist, nachdem sie Zehntausende Euro Steuergelder erhalten hat. Wie ist es in diesen Fällen mit dem von Ihnen angesprochenen Unrechtsbewusstsein und der Solidargemeinschaft?
Die Unterstützung der Personen und Familien, die aus der Ukraine hergekommen sind, hat mit der eigentlichen Bürgergelddebatte auch nichts zu tun, weil es wieder eine Sondersituation ist.
Die Bundesregierung hat entschieden: Diese Menschen können zu uns kommen als Teil der europäischen Familie. Und wenn sie hier sind – idealerweise kommen sie schnell in Arbeit.
Aber das hat offenbar nicht funktioniert.
Das ist eine politische Entscheidung, die mit der grundsätzlichen Bürgergeldidee und der Absicherung davor, dass, wenn man in Arbeitslosigkeit kommt, erst einmal versorgt ist, nichts zu tun hat.
Das ist ein eigener Kreis, der natürlich Steuergelder kostet, keine Frage. Und diese Beispiele werden natürlich auch populistisch genutzt.
Friedrich Merz etwa hat sich kritisch zum Bürgergeld für Ukrainer geäußert. Ist das populistisch oder Wahlkampf?
Na klar, es ist immer Wahlkampf. Ich habe ja auch nicht „rechtspopulistisch“, sondern „populistisch“ gesagt. Aber was Wahlkampfauftritte angeht, gerade vor der Europawahl etwa auf Marktplätzen – sagen wir mal, in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und so weiter –, was da von der AfD gesagt wurde, das geht schon in diese Richtung.
Da wurde aufgezählt: Asylanten ohne Ende, unkontrollierte Migration ohne Ende, das seien ja keine Fachkräfte, und dazu noch die wahrscheinlich anderthalb bis zwei Millionen Menschen aus der Ukraine.
Das wurde immer wieder alles in einen Topf geworfen, um natürlich für sich Stimmung zu machen. Da fällt mir jetzt kein besserer Begriff ein als Populismus.
Die Grüne Katrin Göring-Eckardt sprach 2015 begeistert von Fachkräften, die kämen. Daimler-Boss Dieter Zetsche rief schon das nächste deutsche Wirtschaftswunder aus. Und die Arbeitsagentur entwarf zusammen mit der Bertelsmann Stiftung das Programm „MYSKILLS – Berufliche Kompetenzen erkennen“, das später aus Mangel an Kompetenzen eingestellt wurde, wie eine Pressesprecherin damals eingestand.
Wer ist Mitglied im Sozialverband Deutschland? Das sind Menschen, die ein sehr geringes Einkommen haben. Sie haben eine sehr, sehr kleine Rente, sie sind Erwerbsminderungsrentner, weil sie eine Behinderung oder Krankheit haben, das sind zum Beispiel auch Menschen mit Behinderung.
Also Menschen, die zumeist sehr, sehr wenig Einkommen haben. Diese Menschen vertreten wir und für sie stehen wir. Wir verleihen ihnen eine Stimme in der Öffentlichkeit und vertreten deren Interessen.
Dazu gehört beispielsweise auch der Bereich Gesundheit und Pflege. Und wir wissen, gerade im Pflegebereich, dass wir seit bald 40 Jahren– und das weiß jeder – eine langsame Überalterung der Gesellschaft haben. Wir haben einen demografischen Wandel, dem nie entgegengewirkt worden ist. Wir haben immer mehr Ältere im Verhältnis zu Jüngeren.
Ist das eine Kritik an der Familienpolitik der letzten Jahrzehnte?
Moment, der nächste Schritt kommt: Gerade im Bereich Pflege brauchen wir ja sehr, sehr viele Menschen, die bereit sind – nur 20 Prozent aller zu Pflegenden werden ja tatsächlich in Pflegeeinrichtungen gepflegt – diese 1,6 Millionen Menschen zu betreuen. Wir brauchen dringend Pflegekräfte, weil wir nicht genügend haben.
Der Pflegeberuf ist einer, den man unter Umständen im Ausland sehr gut akquirieren kann. Wir sollten Menschen, die aus dem Ausland herkommen, die schnell versuchen, die Sprache zu lernen, an diesen Pflegeberuf heranführen. Das wäre ein Bereich, wo man auch Menschen, die vielleicht nicht mit der Top-Qualifikation wie unsere bestehenden Pflegekräfte zu uns kommen, schnell in das Pflegesystem einbringen kann.
Aber das wurde doch in den vergangenen zehn Jahren mit wenig Erfolg versucht.
Absolut, das sehen wir leider genauso.
Wie kann Ihr Verein helfen? Was erwarten Ihre Mitglieder?
Wie haben quasi ein Drei-Säulen-Prinzip. Wir sind zum einen dafür da, mit politischer Lobbyarbeit die Interessen unserer Mitglieder zu vertreten. Dafür arbeite ich als Pressesprecher sozusagen in Berlin.
Dann haben wir unsere Landesverbände. In den Landesverbänden gibt es auch eine Sozialrechtsberatung in den einzelnen Geschäftsstellen der Ortsverbände, wo Menschen, die bei uns Mitglied sind, eine Rechts-, eine Sozialberatung oder sogar eine Sozialrechtsberatung bekommen können, wenn zum Beispiel die Rentenstelle die Rente unberechtigterweise kürzt oder wenn es mit der Pflege hakt.
Wir versuchen, die Menschen zu beraten, begleiten sie aber auch vor den Sozialgerichten. Also auf allen drei Ebenen: auf der lokalen Ebene, auf der regionalen – also in den Bundesländern – und auch auf der Bundesebene.
Für Sie zur Einordnung: Wir haben derzeit etwa 620.000 Mitglieder. Und unsere Juristen vertreten jedes Jahr vor den Sozialgerichten über 10.000 Fälle. Oder sie begleiten diese Fälle, von denen wir über 80 Prozent gewinnen. Das heißt: In diesen vielen Fällen versuchen Krankenversicherer oder die Rentenversicherung, die Menschen um ihr gutes Recht zu bringen.
Sind denn seit Beginn der Massenzuwanderung mehr Menschen mit einem ausländischen Hintergrund bei Ihnen Mitglied geworden? Oder gibt es da Hürden?
Nein, es kann jeder bei uns Mitglied werden, der Mitglied werden möchte. Aber dass es da mathematisch eine Korrelation mit der Zuwanderung gibt, ist mir unbekannt. Diese Statistik kenne ich nicht.
Haben Sie denn einen Anteil an Migranten? Ist das mehr geworden? Einfach, um zu spiegeln, ob die Probleme mehr geworden sind.
Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Da müsste ich erst bei der Mitgliederverwaltung nachf
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Alexander Wallasch.
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