„So einfach wie Pizzabestellung“: Wie Fentanylpillen Amerikas Jugend töten
Am Morgen des 25. Juli 2020 nahm Matthew Thomas eine Tablette ein, von der er glaubte, es sei das verschreibungspflichtige Schmerzmittel Percocet. Kurz darauf starb er an einer Überdosis Fentanyl. Am 26. Januar 2019 nahm Austen Babcock Kokain ein. Was er nicht wusste: Es war mit dem stark synthetischen Opioid gestreckt. Auch er starb kurz darauf. Nur 2 mg – eine kaum sichtbare Menge der Droge – ist für die meisten Menschen tödlich.
Die Mütter der beiden Verstorbenen, April Babcock und Wendy Thomas, sind mittlerweile als Anti-Drogen-Aktivisten bekannt. Babcock ist die Gründerin der gemeinnützigen Organisation „Lost Voices of Fentanyl“ (Verlorene Stimmen von Fentanyl), die Aufklärungsarbeit über Fentanyl betreibt, und Thomas die Initiatorin von „Matthew’s Voice“ (Matthews Stimme).
In einem Interview mit Epoch Times beschreiben die beiden engagierten Mütter, dass die Beschaffung von illegalem Fentanyl heutzutage genauso einfach ist wie eine Pizzabestellung. Die Drogen bestellen die Kinder im sozialen Netz. Geliefert werden sie meist über den Uber Connect Dienst. Da die Uber-Fahrer die Pakete nicht öffnen dürfen, wissen sie gar nicht, was sie transportieren.
Drogen auf Knopfdruck
„Ich habe Kontakt zu vielen Müttern. Ihre Kinder bestellen Drogen in den sozialen Netzen, genau wie eine Pizza. Es läuft genau wie bei Uber Eats. Nur werden Drogen geliefert“, sagt Babcock. Einige der Eltern in der Gruppe haben selbst miterlebt, wie ein Auto auf ihr Gelände fuhr und ihr Kind aus dem Haus rannte. „Diese Pillen kosten fast nix.“
„Wir haben gefälschte Adderall-Pillen (Amphetamine) in den sozialen Medien gefunden. Gefälschtes Xanax. Gefälschtes Percocet. Die Pillen werden illegal produziert. Diese Kinder merken gar nicht, dass sie buchstäblich den Tod kaufen. Sie wissen es nicht“, sagt Babcock.
Thomas berichtet, dass ihr Kinder bei ihren Vorträgen in den Schulen erzählt haben, dass sie in Musikvideos von Percocet und Xanax erfahren. Wenn sie die Pillen im Internet kauften, glaubten sie auch, genau das zu bekommen. „Aber das tun sie nicht“, sagt Thomas. „Sie müssen wissen, dass sechs von zehn Pillen … potenziell tödlich sind“, sagt sie und beruft sich dabei auf die Daten der Drug Enforcement Agency (DEA).
Die unterschätzte Gefahr
Der Organisation „Families Against Fentanyl“ (Familien gegen Fentanyl) zufolge war im Jahr 2021 die häufigste Todesursache bei Amerikanern im Alter zwischen 18 und 45 Jahren eine Überdosis Fentanyl. Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC starben im Jahr 2021 genau 4.765 Kinder und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 23 Jahren nach dem Konsum von Fentanyl – mehr als das Doppelte als im Jahr 2018. Damals waren es 1.984 Todesfälle.
Babcock ist der Meinung, dass die Zahl der Todesfälle durch eine Überdosis Fentanyl viel zu niedrig angegeben wird. „Es gibt eine Familie, die ziemlich sicher ist, dass ihr Kind an Fentanyl gestorben ist, weil man bei ihm Fentanyl zuhause gefunden hat. Aber wissen Sie was? Er wurde nie getestet!“, sagt Babcock der Epoch Times. „[Auf dem Totenschein] steht, dass er an Kokain gestorben ist. Nein, das ist er nicht. Er starb an Fentanyl.“
Mittlerweile setze sich die Familie im Bundesstaat Maryland dafür ein, dass die Regierung per Gesetz vorschreibt, dass jedes Krankenhaus Drogentote auf Fentanyl testen muss. „Ich weiß, dass es Orte gibt, die immer noch nicht auf Fentanyl testen“, sagt Babcock. „Aber ich wusste, dass das in meinem eigenen Bundesstaat so ist. Das ist kriminell! Diese Zahlen in den Statistiken sind viel zu niedrig angesetzt!“
„Immer wieder höre ich: ‚Sie haben nicht auf Fentanyl getestet.‘ Wie sollen wir da jemals die richtigen Daten bekommen?“, fragt Babcock. Die Aktivistin hat im Jahr 2020 die Facebook-Gruppe „Lost Voices of Fentanyl“ gestartet. Die Gruppe hat inzwischen über 24.000 Mitglieder. Täglich erfährt sie von Eltern, die ein Kind durch eine Fentanylvergiftung verloren haben.
Zu wenig Aufklärung über Fentanyl
„Warum warnt unsere Regierung die Öffentlichkeit nicht? Warum warnen sie nicht!“, so Babcock weiter. „Ich weiß, dass bestimmte Staaten das tun. Ich habe in meinem Bundesstaat Maryland zwei Fentanyl-Werbespots gesehen und das ist gut, aber es ist bei Weitem nicht genug. Wissen Sie, Teenager sehen sich das sowieso nicht an. Unsere Regierung müsste auf Fentanyl ähnlich reagieren wie auf COVID.“
Im Jahr 2020 gab es laut Gesundheitsbehörde CDC insgesamt 91.799 Drogentote in den USA. Im Jahr 2021 stieg die Zahl auf 106.719 an. In rund 82 Prozent der Todesfälle war mindestens ein Opioid beteiligt. Fentanyl kam dabei am häufigsten vor.
Thomas beschloss gleich nach dem Fentanyl-Tod ihres Sohnes, im Rahmen von „Matthew’s Voice“ Kinder in Highschools im Bundesstaat North Carolina über die Gefahren von Fentanyl aufzuklären. „Matthew war erst zwanzig Jahre alt und er dachte, dass er Percocet einnimmt“, sagt sie im Interview. Was sie am meisten überrasche, sei, dass die meisten Kinder noch nicht einmal von illegalem Fentanyl gehört haben. „Ich denke immer, wenn Matthew früher davon gehört hätte, dann…“
Babcock stimmt zu. Sie erlebe auch, dass die meisten Menschen und Eltern gar nichts über Fentanyl wissen. „Sie bekommen die toxikologischen Berichte ihrer [verstorbenen] Kinder zurück und sie hatten nicht einmal die Möglichkeit, ihre Kinder vor Fentanyl zu warnen.“ Beide Mütter weisen beide darauf hin, dass es sich nicht um das Schmerzmittel Fentanyl handelt, das häufig nach Operationen und bei Krebs im fortgeschrittenen Stadium verschrieben werde. Stattdessen gehe es um illegales Fentanyl in gefälschten Pillen.
Tödliche Pillen von mexikanischen Kartells
Im Jahr 2022 gab die DEA eine Warnung heraus, wonach sechs von zehn gefälschten verschreibungspflichtigen Pillen „eine potenziell tödliche Dosis Fentanyl“ enthielten. „Mehr als die Hälfte der mit Fentanyl versetzten gefälschten verschreibungspflichtigen Pillen, die in Gemeinden im ganzen Land gehandelt werden, enthalten eine potenziell tödliche Dosis Fentanyl“, sagte DEA-Administratorin Anne Milgram.
Diese Pillen würden vom Sinaloa-Kartell und dem Jalisco-Kartell in Mexiko in großen Mengen hergestellt. „Nehmen Sie niemals eine Pille, die Ihnen nicht direkt verschrieben wurde. Nehmen Sie niemals eine Pille von einem Freund an. Nehmen Sie niemals eine Pille ein, die Sie über soziale Medien gekauft haben. Schon eine einzige Pille ist gefährlich und kann tödlich sein“, lautet die offizielle Warnung der Behörde.
Trotz dieser Warnung hat die gemeinnützige Initiative „Song For Charlie“ (ein Lied für Charlie) herausgefunden, dass nur 36 Prozent der Teenager wissen, dass sich Fentanyl in illegal gehandelten Pillen befindet. Nach Angaben der Organisation, die von den Eltern des an Fentanyl verstorbenen Charlie Ternan ins Leben gerufen wurde, sei die Zahl der Drogentoten unter Teenagern seit 2018 dreimal schneller gestiegen ist als in allen anderen Altersgruppen. Die meisten Todesfälle sind auf Fentanyl zurückzuführen.
„Letztes Jahr habe ich einen Vortrag vor einer Gruppe von etwa 200 Studenten gehalten. Bevor ich anfing, fragte ich sie, wie viele von ihnen schon von Fentanyl gehört hatten, und nur etwa ein Viertel von ihnen hob die Hand“, sagt Thomas. „Das ist ziemlich beängstigend.“ Nicht nur Jugendliche seien sich der Gefahren von Fentanyl in gefälschten Arzneimitteln nicht bewusst, sondern auch die meisten Erwachsenen.
Wenn die Sucht überhand nimmt
Im Jahr 2018 starb der 25-jährige Sohn von Tracy Ritter an einer versehentlichen Überdosis Drogen. Ritter erzählt im Gespräch mit Epoch Times, dass sie und ihr Mann sich in jungen Jahren ebenfalls ausprobierten und glaubten, dass ihr Sohn Evan damals eine ähnliche Phase durchlief. „Viele Eltern haben in der Mittel- und Oberstufe am stärksten mit dem Drogen- und Alkoholkonsum ihrer Kinder zu tun“, sagte Ritter.
„Wir glaubten, dass sich das im Laufe der Zeit ändern würde.“ Nach der Highschool würde Evan aufs College gehen, erwachsen werden und damit hätte sich das Problem erledigt. „Jeder junge Mensch macht so etwas.“ Bei Evan war es jedoch anders. Auch an der Universität hatte er weiter mit Drogen und Alkohol zu tun und suchte sogar Hilfe in einer Drogenberatungsstelle. Am Ende erlag er seiner Sucht und starb.
Ritter arbeitet jetzt als Fachberaterin auf diesem Gebiet und unterstützt Familien bei Advocates for Recovery Colorado. Sie ist Co-Vorsitzende einer Arbeitsgruppe der staatlich organisierten Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene, dem Colorado Consortium for Prescription Drug Abuse Prevention. Die Regierung hat die Maßnahme als Reaktion auf die zunehmende Drogenkrise im Bundesstaat ins Leben gerufen.
Kein Einzelfall
Ritter zufolge sei ihre Geschichte kein Einzelfall. Die Eltern in ihrer Arbeitsgruppe für „Betroffene Familien und Freunde“ berichten oft, dass sie zuerst dachten, dass ihr Sohn oder ihre Tochter nur einmal Erfahrungen sammeln wollen, um dann festzustellen, dass die Sucht außer Kontrolle geraten war. „Es bricht einem das Herz, wenn man merkt, dass die Suchtkrankheit so mächtig ist, dass sie die Süchtigen, obwohl sie die besten Absichten haben, sie immer wieder kontrolliert“, so Ritter.
Babcock stimmt zu: „Wir haben 13- und 14-jährige Kinder, die süchtig nach [Fentanyl] sind und es nicht einmal wissen – aber auch Erwachsene. Wenn sie merken, dass sie tatsächlich süchtig nach Fentanyl sind, ist es einfach zu spät.“ Wenn man einmal davon abhängig sei, grenze es fast ein Wunder, wenn man davon loskommt. „Es ist viel stärker als Heroin. Sie meinen, dass ein Heroinentzug schlimm ist? Das ist nichts im Vergleich zu einem Fentanylentzug“, sagt Babcock.
Ritter glaubt, dass jeder Mensch andere Gründe für den Drogenkonsum hat. Aktuell befasse sie sich mehr mit dem Thema der psychischen Gesundheit. „Ich höre von vielen Familienangehörigen, dass ihre Söhne oder Töchter oft, so wie Evan, während der Schulzeit im Alter von etwa 13 Jahren damit anfangen. Manchmal haben Kinder oder Erwachsene, die Drogen konsumieren, etwas Traumatisches erfahren.“
Bei Kindern sei das Risiko süchtig zu werden jedoch größer, warnt sie. „Wenn man in jungen Jahren mit Drogen anfängt, ist das Gehirn noch nicht ganz ausgereift. Erst mit 25 Jahren ist es voll entwickelt. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit größer, als wenn man später im Leben damit anfängt.“
Bewusstsein als Schlüssel
Um den eskalierenden Drogentrend umzukehren, müssten die Schulen laut Ritter in Schulungen investieren und Kampagnen durchführen, um das Problembewusstsein zu schärfen. Eine sehr wirksame Maßnahme sei der Kurs „Mental Health First Aid for Youth“ (Erste Hilfe bei psychischen Problemen für Jugendliche). In ihm wird Schülern beigebracht, jemanden zu erkennen, der psychische Probleme hat oder süchtig ist.
„Es ist besonders wichtig, dass alle Schüler den Kurs besuchen, damit sie erste Anzeichen erkennen und sie wissen, wie sie solche Problem ansprechen können. Denn Drogensucht gilt immer noch als Tabuthema. Das würde helfen, solche Probleme proaktiv anzugehen“, sagt Ritter.
Babcock fordert, dass die Regierung mehr auf die Gefahren von Fentanyl hinweist. Sie wünscht sich eine Aufklärungskampagne auf Social-Media-Plattformen wie Snapchat und Instagram. „Sie haben es für COVID getan. Warum tun sie nichts gegen Fentanyl, obwohl es für die meisten Todesfälle unter Jugendlichen verantwortlich ist? Das ist unsere zukünftige Generation, die vom Planeten Erde ausgelöscht wird“, so Babcock.
Für die Jahre 2022 und 2023 liegen aktuell noch keine Statistiken über Drogentote vor. Allerdings teilte die Colorado Behavioral Health Administration Epoch Times per E-Mail mit: „Nachdem wir die akute Phase der Pandemie hinter uns gelassen haben, besteht Einigkeit darüber, dass der Drogenkonsum [unter Jugendlichen] wieder zunimmt.“
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: ‘As Easy as Ordering Pizza’: How Fentanyl-Laced Pills Are Killing America’s Youth (deutsche Bearbeitung nh)
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