Selbstlos bis egoistisch: Warum manche Menschen Unwissenheit vorziehen
Möchten Sie wissen, welche Auswirkungen Ihre Handlungen auf Ihre Mitmenschen haben? Wenn ja, dann gehören Sie zu den 60 Prozent der Menschen, die dies interessiert. Die anderen 40 Prozent entscheiden sich lieber für die Unwissenheit – etwas, das laut Forschern häufig eine Ausrede für egoistisches Handeln ist.
„Situationen für solche vorsätzliche Ignoranz gibt es im Alltag viele. Beispielsweise, wenn Verbraucher die Informationen zur problematischen Herkunft der von ihnen gekauften Produkte ignorieren“, erklärte Linh Vu von der Universität Amsterdam, Niederlande. „Wir wollten wissen, wie weitverbreitet und wie schädlich vorsätzliche Unwissenheit ist und warum die Menschen sich darauf einlassen.“
Unwissenheit und Egoismus
Vu und ihre Kollegen führten eine sogenannte Metaanalyse, also eine erneute zusammenfassende Auswertung von 22 Forschungsstudien mit insgesamt 6.531 Teilnehmern durch. Alle Studien zielten darauf ab, die Probanden vor eine Entscheidung zu stellen. Während die eine Hälfte über die Folgen der Handlungen direkt informiert wurde, konnte der andere Teil entweder Unwissenheit oder Auskunft frei wählen.
In einem Beispiel mussten sich die Teilnehmer entscheiden, ob sie eine kleinere Belohnung (5 Euro) oder eine größere Belohnung (6 Euro) erhalten wollten. Wenn sie sich für die kleine Belohnung entschieden, erhielt ein anonymer Gleichaltriger ebenfalls 5 Euro. Wenn sie sich jedoch für die höhere 6-Euro-Belohnung entschieden, erhielt der andere Empfänger nur 1 Euro.
Anschließend erhielt die eine Gruppe die Möglichkeit, die Konsequenzen ihrer Entscheidung zu erfahren, während die andere Gruppe die Auswirkungen automatisch mitgeteilt bekam. In allen Studien fanden die Forscher heraus, dass 40 Prozent der Teilnehmer die Konsequenzen ihres Handelns nicht erfahren wollten, wenn sie die Wahl hatten.
Die Schlussfolgerung der Analyse: Vorsätzliche Unwissenheit war mit weniger Altruismus – selbstlosem Verhalten – verbunden. Wurden die Teilnehmer stattdessen über die Folgen ihrer Entscheidung informiert, war die Wahrscheinlichkeit, jemandem gegenüber großzügig zu sein, um 15,6 Prozentpunkte höher, als wenn sie unwissend bleiben durften.
Laut den Forschern könnte der Grund für die vorsätzliche Ignoranz darin liegen, dass manche Menschen sich altruistisch verhalten, weil sie ein positives Selbstbild als altruistische Person aufrechterhalten wollen. In diesen Fällen kann vorsätzliche Ignoranz es ihnen ermöglichen, dieses Selbstbild aufrechtzuerhalten, ohne selbst altruistisch handeln zu müssen. Mit anderen Worten: Sie handeln nicht aus eigener Überzeugung selbstlos, sondern um dieses Bild von sich selbst und anderen gegenüber zu wahren.
Äußerer Eindruck statt innere Überzeugung
Laut Shaul Shalvi, Professor für Verhaltensethik an der Universität Amsterdam und Mitautor der Studie, bestätigt die Metaanalyse diese These: Menschen, die sich dafür entschieden, die Folgen ihres Handelns zu erfahren, waren großzügiger. In Zahlen ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der sich freiwillig für die Informationen entschied, großzügig war, war sieben Prozentpunkte höher als bei jenen, die dieses Wissen standardmäßig erhielten. Das deute darauf hin, dass wirklich selbstlose Menschen sich dafür entscheiden, die Konsequenzen ihres Handelns zu erfahren.
„Die Ergebnisse sind faszinierend“, so Shalvi weiter. „Sie deuten darauf hin, dass viele der altruistischen Verhaltensweisen, die wir beobachten, von dem Wunsch angetrieben werden, sich so zu verhalten, wie andere es von uns erwarten.“
„Die meisten Menschen sind bereit, das Richtige zu tun, wenn sie über die Folgen ihres Handelns vollständig informiert sind. Allerdings ist diese Bereitschaft nicht immer darauf zurückzuführen, dass sie sich für andere einsetzen. Ein Teil der Gründe, warum Menschen selbstlos handeln, ist auf den gesellschaftlichen Druck zurückzuführen, aber auch auf den Wunsch, sich selbst in einem guten Licht zu sehen. Da Rechtschaffenheit oft kostspielig ist und den Menschen Zeit, Geld und Mühe abverlangt, bietet Unwissenheit einen einfachen Ausweg“, erklärt der Professor.
Zukünftige Forschungen sollten darauf abzielen, bewusste Unwissenheit in vielfältigeren Umgebungen zu untersuchen, so die Forscher. Nur so kann ein Umdenken bis hin zu wirklich aufrichtigem Handeln das Verhalten der Menschen verändern.
Die Studie schien am 19. Oktober 2023 in der Zeitschrift „Psychological Bulletin“.
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