Schüler-Gleitzeit-Modell sorgt für Wirbel – Forscher befürworten späten Schulbeginn für Jugendliche
Gleitzeit auf der Arbeit ist keine Besonderheit, in der Schule schon. Am Plochinger Gymnasium in Baden-Württemberg wird nun ein solches Modell getestet – und zwar für die Schüler, genauer gesagt für die Klasse 7a.
Seit dem 9. April gibt es für diese Klasse mehr Flexibilität. Die Anregung dazu kam von den Schülern selbst, wie ihr Lehrer Till Richter gegenüber dem SWR schilderte. Im Raum stand zuvor die gemeinsame Frage: Was könnte an der Schule verbessert werden? Am häufigsten wurde von den Schülern der frühe Unterrichtsbeginn bemängelt.
Die Schüler hätten daraufhin Studien von Schlafforschern gewälzt und aufgrund ihrer Recherchen das Projekt entwickelt. Was in anderen Schulen undenkbar ist, fiel am Plochinger Gymnasium auf fruchtbaren Boden. Die Schüler schafften es, sowohl die Schulleitung als auch den Elternbeirat zu überzeugen.
Im Rahmen einer Testphase gibt es nun für die Schüler der 7a dienstags und freitags in den ersten beiden Stunden statt des üblichen Deutsch- und Englischunterrichts freiwillige Lernzeiten. In diesen zwei Stunden werden den Kindern Aufgaben gegeben, die sie unter Aufsicht bearbeiten – oder irgendwann anders. Mit anderen Worten: Die Schüler können selbst entscheiden, ob sie um 7:50 Uhr in die Schule kommen oder erst um 9:40 Uhr und die Aufgaben dann später erledigen.
Gehirn braucht morgendlichen Schlaf
Wie wichtig der Schlaf vor allem für Jugendliche ist, betonte der Schlafforscher Dr. Michael Feld. Gegenüber dem WDR schilderte er, dass Jugendliche mehr Schlaf als Erwachsene brauchen. Diese Ruhephasen seien für die Entwicklung des Gehirns notwendig. „Dabei ist der Schlaf am Morgen besonders wichtig“, so Feld. Dieser könne auch nicht einfach durch eine frühere Schlafenszeit ersetzt werden.
Der Forscher verwies auch auf Studien aus Finnland. Die Kinder trugen frühmorgens Hirn-Messelektroden in der Schule. Das Fazit: Zwar saßen die Schüler mit geöffneten Augen im Unterricht, aber die Hirnwellen bescheinigten ihnen, dass sie im Schlafmodus waren. Effektives Lernen sieht anders aus.
Früher Schulbeginn ist „biologische Diskriminierung“
In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ kritisierte der Chronobiologe Till Roenneberger, der sich mit der inneren Uhr der Menschen beschäftigt, bereits im Jahr 2015 den frühen Unterrichtsbeginn in deutschen Schulen. Er sagte:
„Die innere Uhr macht hier etwas ganz Gemeines, was besonders Jugendliche betrifft, die man früh ins Bett schickt. Sie gibt dem Menschen ein Schlaffenster vor und sorgt dafür, dass man zwei bis drei Stunden, bevor dieses Fenster aufgeht, nicht gut einschlafen kann – auch wenn man sehr müde ist. Die innere Uhr fährt dann nochmal die gesamte Physiologie hoch, deshalb haben wir abends auch eine leicht erhöhte Körpertemperatur.“
Da bei jüngeren Kindern die innere Uhr „früh dran“ sei, sei der Schulbeginn um 8:00 Uhr für sie nicht so schlimm. Aber mit den Jahren werde die innere Uhr immer später. Das sollte man auch in der Schule berücksichtigen.
„Kritisch wird es ab etwa 14 Jahren. 19-Jährige müssen teils während ihrer inneren Mitternacht am Unterricht teilnehmen. Wenn sie ausschlafen dürften, wären sie deutlich zugänglicher und aufnahmefähiger“, so Roenneberger. Daher würden auch zu früh angesetzte Prüfungen und eine falsche Lernzeit den Kindern zum Verhängnis werden.
Der Schulbeginn um 8:00 Uhr stellt eine echte biologische Diskriminierung dar. Überspitzt gesagt entscheidet sich dadurch, ob jemand nach dem Abitur Medizin studieren kann oder nicht“, betont der Chronobiologe.
Um das Problem zu lösen, müsse man das ganze System ändern und die Schulzeit zumindest für ältere Schüler nach hinten verlagern. Alternativ könne man Prüfungen für Schüler ab 16 Jahren auf eine Zeit ab 11:00 Uhr verlegen.
„Noch besser wäre es, diese Regel auf die gesamte Schulzeit anzuwenden. Denn Frühtypen sind um elf Uhr gewöhnlich noch leistungsfähig und Spättypen bekämen so die Chance, bessere Noten zu schreiben“, stellt Roenneberger klar.
Altsdorfer Gleitzeit wird zum Erfolgsmodell
Ob die Schüler in Plochingen auch dauerhaft von dem Gleitzeit-Modell profitieren können, bleibt abzuwarten. Nach der Testphase werden alle Beteiligten über ihre Erfahrungen sprechen und dann entscheiden. In Alsdorf bei Aachen in Nordrhein-Westfalen ist man schon ein Stück weiter. Auch dort ticken die Uhren anders.
Nach Ablauf der Probephase im Jahr 2016 wurde das Gleitzeit-Modell beibehalten. Die Chronobiologen der Ludwig-Maximilians-Universität München waren zu dem Schluss gekommen, dass „so gut wie alle Schüler profitierten“. Die Kinder hätten alle „durch die Bank“ angegeben, besser zu schlafen und konzentrierter in der Schule zu sein.
„Die erste Stunde war immer eine Quälerei für mich. Ich war noch nicht richtig wach“, äußerte der damals 17-jährige Luca Diehr in Alsdorf. Dank Gleitzeit kam er meistens erst zur zweiten Stunde und fühlte sich fit. Aber es gibt auch Schüler wie Milena Kandetzki, 17. Sie sagte: „Ich habe kein Problem, früh aufzustehen und komme immer zur ersten Stunde.“ Auch das ist möglich.
Der damalige Schulsprecher Lars Meyer kommentierte die dauerhafte Gleitzeit begeistert mit den Worten: „Super cool, wir können ausschlafen.“
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