Schimpfen und fahren: Menschen wieder mehr im Zug unterwegs

Corona ließ die Nachfrage auf der Schiene einbrechen. Inzwischen steigen die Fahrgastzahlen wieder. Ist die Bahn tatsächlich beliebt? Die Kundschaft hat es jedenfalls nicht immer leicht mit ihr.
An Bahnsteigen für den Fernverkehr des Hamburger Hauptbahnhofs stehen zahlreiche Fahrgäste. Die Menschen in Deutschland fahren nach einer Statistik wieder mehr Zug.
An Bahnsteigen für den Fernverkehr des Hamburger Hauptbahnhofs stehen zahlreiche Fahrgäste. Die Menschen in Deutschland fahren nach einer Statistik wieder mehr Zug.Foto: Gregor Fischer/dpa
Epoch Times13. April 2024

Allen Streiks, Baustellen und Verspätungen zum Trotz: Die Menschen in Deutschland fahren nach einer Statistik wieder mehr Zug. „Wir schimpfen, aber wir fahren“, sagt der Chef des Verkehrsverbands Allianz pro Schiene, Dirk Flege. Das Bündnis meldet für 2023 einen Rekord: Die Verkehrsleistung der Eisenbahn in Deutschland lag demnach im vergangenen Jahr bei 104,2 Milliarden Personenkilometern. Angestrebt wird, dass in den nächsten Jahren zahlreiche Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen. Doch Experten bezweifeln, dass das gelingt.

„Bahnfahren ist beliebt“, meint Lobbyist Flege. Bei der Verkehrsleistung sei die Corona-Delle überkompensiert, teilte sein Verband der Deutschen Presse-Agentur auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts mit. Zuvor hatte die Verkehrsleistung 2019 einen Rekord erreicht, mit 102 Milliarden Personenkilometern. Die Rechenformel für die Kennziffer: Zahl der Fahrgäste mal zurückgelegte Wegstrecke.

Bedingungen für Fahrgäste schwierig

Blickt man allein auf die Zahl der Fahrgäste ergibt sich ein anderes Bild, wie der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erklärt. Nach seinen Daten sind zwar im Nahverkehr wieder so viele Menschen unterwegs wie vor der Pandemie. In Fern- und Regionalzügen säße dagegen nur etwa 80 Prozent der gewohnten Kundenzahl. „Die Leute wollen Bahn fahren“, meint Knie. „Aber unter den jetzigen Bedingungen tun sie es nicht.“

Tatsächlich haben es Fahrgäste auf der Schiene derzeit nicht leicht. Rund ein Jahr lang sorgten gleich zwei Tarifrunden bei der Bahn für mehrere Streiks und zahlreiche Zugausfälle. Hinzu kommt der schlechte Zustand des Schienennetzes. Zahlreiche Baustellen bremsen den Bahnverkehr seit Jahren aus, Verspätungen sind an der Tagesordnung, die Unpünktlichkeit insbesondere bei der Deutschen Bahn ist hoch.

„Auf der Straße ist es auch nicht besser“, hält der Fahrgastverband Pro Bahn dagegen. Anders als im Auto könne man im Zug immerhin die Fahrtzeit nutzen zum Lesen, Filme schauen, um Karten zu spielen oder ein Bier zu trinken, sagt der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann. Nach seiner Beobachtung sind die Züge voller geworden. Junge Menschen seien mobiler als früher und verzichteten häufiger auf ein Auto. Und das Deutschlandticket führe dazu, dass Fahrgäste auch für längere Fahrten von 200 oder 300 Kilometern in den Regio stiegen.

Schub durch Deutschlandticket

Das Monatsabo für bundesweite Fahrten im Nah- und Regionalverkehr für derzeit 49 Euro pro Monat habe der Nachfrage einen deutlichen Schub verpasst, heißt es bei der Allianz pro Schiene. Nach Branchenangaben hat das Ticket viele bisherige Kunden stärker an Busse und Bahnen gebunden – sprich: Sie fahren nun mit dem 49-Euro-Ticket statt mit Einzelfahrscheinen, Monats- oder Streifenkarten wie zuvor. Einen großen Umstieg vom Auto in die öffentlichen Verkehrsmittel habe es nicht gegeben, stellt Mobilitätsforscher Knie fest.

Um die Klimaziele zu erreichen, will die Bundesregierung jedoch die Verkehrsleistung auf der Schiene bis 2030 gemessen an 2015 verdoppeln. Damals lag der Wert bei knapp 92 Milliarden Personenkilometer. Knie ist skeptisch. „Die Bahn muss wieder an Zuverlässigkeit gewinnen“, fordert er. Zudem müssten Steuervergünstigungen beim Diesel und bei Dienstwagen fallen, damit Autofahrer über einen Umstieg nachdenken. „Die Verdoppelung ist nicht zu schaffen“, meint Fahrgastvertreter Naumann. Dafür fehle es bei der Bahn an Kapazität – bei Zügen, bei Gleisen, beim Personal.

Neue Einschränkungen

Bund und Konzern wollen die Probleme im Netz in den nächsten Jahren mit einer Grundsanierung angehen. 40 viel befahrene Streckenkorridore sollen bis 2030 grundlegend modernisiert werden. Das Netz soll damit weniger anfällig für Störungen werden und der Verkehr flüssiger laufen. Doch die Bauarbeiten bringen zunächst weitere Einschränkungen mit sich: Die einzelnen Korridore werden für die Dauer der Sanierung jeweils für mehrere Monate vollständig gesperrt. Los geht es im Juni auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Knie fürchtet, dass die Bahn dadurch Fahrgäste verlieren wird. „Sie können nicht die Leute monatelang aus ihren Routinen reißen.“

Der Bund hat für die Modernisierung des Netzes bis 2027 bisher knapp 30 Milliarden Euro zugesagt. Das deckt allerdings nur knapp zwei Drittel des Gesamtbedarfs, den die Bahn auf rund 45 Milliarden Euro bis 2027 beziffert. In welchem Umfang das Netz auch in den Jahren danach weiter finanziert werden soll, ist völlig offen.  (dpa)



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