Rechtsanwalt: „Um Grundrechte muss man nicht betteln. Die hat man.“
Die bayerische Landeshauptstadt München gehörte in den vergangenen dreieinhalb Jahren zu den zwiespältigsten Städten Deutschlands, was den Umgang mit der Corona-Krise anging. Unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wurden im Namen des „Gesundheitsschutzes“ besonders harte Maßnahmen verhängt.
Doch weil Druck immer Gegendruck erzeugt, wundert es nicht, dass in München auch einige der aktivsten Regierungskritiker unterwegs waren – und noch immer sind. Initiativen wie „München steht auf“ schlossen sich alsbald zu einem „Münchner Bündnis“ zusammen, das vor allem den Dialog mit den Spitzenpolitikern suchte. Doch als der Erfolg mangels Gesprächsbereitschaft der Mächtigen weitgehend ausblieb, stellte sich das Bündnis noch breiter auf – mit einem „Wir-gemeinsam-Bündnis“ für ganz Deutschland, das sich um alle möglichen gesellschaftlichen Baustellen kümmern will.
„Wer noch immer behauptet, dies alles sei alternativlos gewesen, ist unwählbar“
Auch wenn die Corona-Maßnahmen im Frühjahr 2023 fürs Erste beendet wurden, ist auch dieses Thema für die Aktivisten so lange nicht erledigt, wie es keine offizielle Aufarbeitung gibt. Um dafür mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, hatte das Bündnis am 8. September, genau einen Monat vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, eine Website für eine Kampagne aufgesetzt: „Aufarbeitung Jetzt“. Dort heißt es unter anderem:
In keinem deutschen Parlament sollte irgendjemand sitzen, der die Eskalation in den Jahren 2021 und 2022 gestützt hat. Man konnte spätestens in dieser Zeit alles wissen. Es lag alles auf dem Tisch. […] Wer mit dem Wissen von heute noch immer behauptet, dies alles sei alternativlos gewesen, ist unwählbar.“
Die Epoch Times bat das Bündnis per E-Mail um ein Interview. Die Antworten übersendete uns der Münchner Rechtsanwalt Jürgen Müller in seiner Funktion als Bündnispressesprecher. Politisch ist Müller derzeit für die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) unterwegs und kandidiert zur Landtagswahl auf Listenplatz 11.
Herr Müller, auf welchem Wege wollen Sie Ihre Anliegen konkret durchsetzen?
Uns geht es zunächst einmal darum, auf Eines hinzuweisen: Wo die Verantwortlichkeiten liegen. Und die liegen eindeutig bei den Entscheidungsträgern. Säßen die richtigen Leute in Parlamenten, müssten nicht Hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, um ihre Grundrechte (!) einzufordern. Politiker sollten diese Grundrechte als etwas Heiliges ansehen und nicht widerspruchslos hinnehmen, wenn der Bundeskanzler diese roten Linien für abgeschafft erklärt.
Wir haben im Laufe der Zeit festgestellt, dass sehr viele Menschen diesen und weitere Exzesse in der ganz dunklen Zeit über den Winter 2021/2022 nicht mitbekommen oder diese verdrängt haben. Was wir leisten können, ist, durch ständige Wiederholung darauf hinzuweisen und so erst ein Bewusstsein zu schaffen, warum es eine Aufarbeitung braucht.
Zum Glück können wir dazu sehr detailreiche Chroniken heranziehen, die Sabine Kaiser in dieser Zeit für das „Wir-gemeinsam-Bündnis“ verfasst hat.
Was haben Sie bereits unternommen, damit womöglich schon nach den Landtagswahlen von Hessen und Bayern die Parlamente in Ihrem Sinne zusammengesetzt sein werden?
Wir sind keine Träumer, die Parlamente in Hessen und Bayern werden nach den Wahlen weitestgehend zusammengesetzt sein, wie sie auch bisher zusammengesetzt waren. Die Wähler entscheiden und sie werden danach entscheiden, was ihnen von den Medien präsentiert und von den großen Parteien mit ihren beachtlichen Budgets in Kampagnen serviert wird. Da geben wir uns keinen Illusionen hin.
Uns ist bewusst, dass die Aufarbeitung ein jahre- oder jahrzehntelanger Prozess werden wird, weil die Verantwortlichen in Politik und Medien die riesigen Fehler, die zu gigantischen Verwerfungen geführt haben, gar nicht zugeben können. Das würde einen Erdrutsch bedeuten.
Wir sehen unsere Aufgabe darin, mit Nachdruck und Beharrlichkeit als politische Akteure der Zivilgesellschaft weiter diese Aufarbeitung zu fordern und diesen Prozess überhaupt in Gang zu bringen. Dazu wird es Ausdauer und Hartnäckigkeit brauchen. Die haben wir und wir sind zum Glück nicht alleine. Die Initiative „pandemieaufarbeitung.net“ um Bernhard Müller fordert sehr sachlich und auf wissenschaftlicher Grundlage ebenfalls eine Aufarbeitung und erst jüngst fand eine Diskussionsveranstaltung der Denkfabrik R21 um Kristina Schröder zu diesem Thema statt (Video auf YouTube). Und auch in den Leitmedien gibt es Journalisten, die seit Jahren die Corona-Krise kritisch beleuchten.
Es wird dauern, aber angesichts der angerichteten und immer deutlich sichtbarer werdenden Schäden wird auf Dauer niemand um eine Aufarbeitung herumkommen.
Wir verstehen ehrlich gesagt nicht, warum Politik und Medien zum Jahresbeginn 2022 mit dem Auftreten der vergleichsweise harmlosen Omikron-Variante nicht die Chance genutzt haben, aus der Maßnahmenspirale auszusteigen, sondern sich dann noch in eine Impfpflichtdebatte im Bundestag zu verrennen.
An wen genau haben Sie sich bereits mit Ihren Anliegen gewandt?
Wir richten uns vor allem an unsere Mitbürger. Wir haben keine Lust mehr, Bittsteller zu sein und die Politik um Aufarbeitung und Achtung unserer Grundrechte zu bitten. Um Grundrechte muss man nicht betteln. Die hat man. Einfach so. Und in diese hat niemand einfach so hineinzuregieren bis zur Antastung der Menschenwürde – unserem höchsten Grundrecht.
Uns geht es vor allem darum, hierfür ein Bewusstsein zu schaffen. Nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch bei denen, die erst jetzt langsam erkennen können, mit welchen – angesichts unserer Geschichte ungeheuerlichen – Exzessen wir es hier zu tun hatten.
Wir haben bekannte Unterstützer, die uns Videobotschaften zukommen ließen wie Prof. Ulrike Guérot und Dr. Friedrich Pürner. Diese wurden „gecancelt“, wie man neudeutsch sagt, weil sie nicht die gewünschte Meinung hatten. Das ist in einer Demokratie nicht hinnehmbar. Uns geht es auch um den öffentlichen Debattenraum. Wenn dieser nicht intakt ist, entfällt die Möglichkeit (!) der Demokratie, so Prof. Rainer Mausfeld.
Den Menschen sollte bewusst sein, dass es beim nächsten Thema auch sie selbst so treffen kann, bis hin zur Kündigung von Konten oder Berufen. Solidarität ist der wohl am meisten missbrauchte Begriff der letzten Jahre. Mit den Betroffenen der Corona-Politik wäre Solidarität in ihrem eigentlichen Sinne jedoch angebracht.
Haben Sie bereits Antworten erhalten?
Wir denken, dass es am wirksamsten ist, lokal tätig zu werden. Dort sind die Entscheidungsträger vor Ort. Dort kann man sie ansprechen und ins Gespräch kommen. So weit die Theorie.
Wir leben in München, in einer Millionenstadt, die offensichtlich leider etwas anonymer funktioniert, und auch bei den Verantwortlichen zeigt sich leider ein aus unserer Sicht etwas verengter Blick auf die Realität, wie wir sie wahrnehmen, der es anscheinend nicht zulässt, das Erleben der anderen Seite zu verstehen. Was jedoch besonders bedauerlich ist: Wir erhalten keine Antworten aus der Politik.
Wir haben bereits – beginnend mit Dezember 2021! – mehrere offene Briefe an die Verantwortlichen in der Münchner Politik adressiert. Es besteht ganz offensichtlich in der grün-roten Stadtregierung nicht einmal die Bereitschaft, verstehen zu wollen. Erst vor wenigen Tagen erhielt ich von der SPD auf Facebook eine eindeutige Antwort auf meine Hinweise auf einen kleinen Ausschnitt dessen, was sich alles in den letzten Jahren ereignet hat:
„Das heißt [sic] du sollst nicht rumheulen über Maßnahmen [sic] die tausend Menschenleben gerettet haben. Und jetzt ist gut. Schwurbel woanders rum.“
Wenn das die Einstellung bei den regierenden Parteien im Oktober 2023 (!) ist, dass die Traumatisierung von Kindern, der einsame Tod der Alten, die gewaltigen Impfschäden, die wirtschaftlichen Schäden, die Spaltung der Gesellschaft und vieles mehr Schwurbelei sind, dann haben wir noch einen weiten Weg zu gehen.
Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Patrick Reitler.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion