Professoren protestieren – befördert neues Hochschulgesetz Verdachtskultur an den Unis?
Im Oktober hat die Landesregierung von NRW ein neues Hochschulgesetz verabschiedet.
Neue und vermehrte Sanktionsmöglichkeiten sollen Universitäten zu sicheren Orten machen, so die Idee hinter dem Entwurf der Novelle. Gemeint ist damit, dass nicht nur sexuelle Übergriffe, sondern auch Machtmissbrauch im Allgemeinen und außerdem Diskriminierung verhindert werden können.
Schon bei Verdacht auf Fehlverhalten erlaubt die Novelle schärfere Sanktionsmöglichkeiten.
Das Gesetz muss noch vom Landtag beschlossen werden. Wenn es nach Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) geht, soll es in etwa einem Jahr in Kraft treten. Derzeit läuft die Anhörungsphase, bei der Verbände und Hochschulen ihre Meinung beim Wissenschaftsministerium einreichen können.
Hochschule als sicherer Ort versus Beförderung des Misstrauens
Jetzt haben 45 Verfassungsschützer Alarm geschlagen: Der Entwurf soll zurückgezogen werden. Die Juristen warnten in einem Brandbrief, wie die „Rheinische Post“ zuerst berichtete, dass durch die Einführung des geplanten Hochschulsicherheitsrechts „ein nicht wieder gutzumachender Schaden“ drohe und ein institutionalisiertes Misstrauen befördert werde.
Konkret sieht der Entwurf von Brandes vor, dass die Hochschulleitungen mehr Befugnisse in Fällen von sexuellen Übergriffen oder Machtmissbrauch erhalten. Denn bisher, so das Ministerium, habe es keine rechtliche Handhabe für ein angemessenes Vorgehen gegen Machtmissbrauch in Bildungseinrichtungen gegeben.
Und die neue Handhabe soll wie folgt aussehen, wie der „WDR“ nach Verabschiedung des Gesetzes zusammenfasste:
Bei Missbrauchsvorwürfen aus der Studentenschaft kann einem Professor mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes bereits vor einer endgültigen Entscheidung über die Stichhaltigkeit der Vorwürfe das Betreten des Hochschulgeländes untersagt werden. Nach Angaben des Ministeriums handelt es sich dabei um eine Schutzmaßnahme für beide Seiten, um die Vorwürfe aufzuklären und weiteren Anschuldigungen vorzubeugen.
Damit soll, so die offizielle Lesart, zügig und zum Schutz aller Beteiligten gehandelt werden können. Bislang galt, dass Hochschulen in solchen Fällen Verfahren gegen Beschuldigte einleiten konnten.
„Etablierung einer Verdachts- und Akkusationskultur“
Der Bochumer Verfassungsrechtsprofessor Julian Krüper ist einer der Mitunterzeichner des Brandbriefs gegen die Gesetzesnovelle. Er warnt gerade davor, dass weitreichende Sanktionen wie ein Hausverbot bis zum Entzug der Lehrerlaubnis schon bei bloßen Hinweisen auf Sicherheitsverstöße verhängt werden könnten.
Krüper schrieb im Verfassungsblog.de dazu: Sollte der Gesetzentwurf zum „Hochschulstärkungsgesetz“ Gesetz werden, werde er zum „glatten Gegenteil dessen führen, was sein Name verheißt“. Und weiter: Ministerin Brandes, in deren „besondere politische Obhut die Freiheit von Forschung, Lehre und Studium gerade gegeben ist, sie gibt, man muss es mit einer Mischung aus Furcht und Respekt sagen, Vollgas. Leider in die falsche Richtung.“
Der größte verfassungsrechtliche Stein des Anstoßes sei laut dem Juristen, dass es „um die Etablierung einer Verdachts- und Akkusationskultur an den Hochschulen unter dem trügerischen Label eines ‚Sicherheitsrechts‘“ gehe.
„Sehr verkürzt“, so Krüper, bedeute das Gesetz, falls es in Kraft treten sollte: „Diskriminiert ist, wer sich diskriminiert fühlt.“ Die „Öffnung des Sanktionstatbestands für eine starke Subjektivierung“ sei geeignet, „den wissenschaftlichen Diskurs in Forschung und Lehre erheblich zu beschneiden und in Gestalt sogenannter ‚chilling effects‘ schon im Vorfeld zu beschränken.“
„Fat Shaming“ oder juristisches Thema?
Als Veranschaulichung teilt der Staatsrechtler ein Beispiel aus seiner Fakultät: In einer Lehrveranstaltung zum Antidiskriminierungsrecht wurde die Frage aufgeworfen, ob Adipositas als Behinderung zu verstehen sei.
„Schon deren bloße Thematisierung hat, ungeachtet ihrer Beantwortung, zu einer Beschwerde geführt, die darin eine Diskriminierung (‚fat shaming‘) sah.“ Das neue Gesetz lasse ein solches Sanktionieren jedenfalls als Möglichkeit zu. Es sei zu befürchten, dass es „in der ein oder anderen ambitionierten Hochschulverwaltung vielleicht auch genau so verstanden“ werde.
Auf Verdacht hin erhebliche Sanktionen
Denn, so Krüper, die Sanktionen, die der Entwurf vorsieht, wie Campusverbote, Besoldungskürzungen bis hin zum Entzug der Lehrerlaubnis, sollen bereits dann verhängt werden können, wenn in der beschuldigten Person „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ vorlägen. Auf Verdachtsebene, so der Rechtsprofessor, werde „gleich richtig zugelangt“.
Das Gesetz produziere nicht nur einen „monströsen administrativen Aufwand“, sondern könne auch Klagen und somit Kosten von etwa zu Unrecht Beschuldigten nach sich ziehen.
Der Entwurf rufe in „Prämisse, Sprache und Inhalt Assoziationen an eine staatlich durchregulierte Zwangsinstitution wach, die mit dem Ideal freier Wissenschaft und Forschung, freier Lehre und freiem Studium nichts mehr zu tun hat.“
Der Jurist warnt: Eine Entwicklung der Hochschule von einem „Raum riskanter Freiheit hin zu einer durch Misstrauen, Verdächtigung und Verfolgung geprägten Sphäre gegenseitiger Überwachung der Grundrechtsträger“ greife tief in die akademischen Strukturen ein.
Umwidmung zu Orten von Verdacht und Disziplinierung?
In ihrer Stellungnahme, auf die sich RP beruft, schreiben die 45 Professoren: „Wir sind dem gemeinsamen Ziel verpflichtet, durch offenen Diskurs bessere Argumente zu formulieren, Irrtümer zu entdecken, der Wahrheit näherzukommen.“ Wenn Grenzüberschreitungen vorkämen, hätten für solche Fälle die Universitäten seit langem Instrumente der Klärung etabliert.
Die Professoren kritisieren: „Was durch die Regelungen des Referentenentwurfs verursacht wird, ist eine Umwidmung der Hochschulen von Orten des gemeinsamen Wagnisses auf der Suche nach Wahrheit zu Orten des Verdachts und der Disziplinierung“.
Brandes Ministerium wies die Vorwürfe zurück und ließ verlautbaren: „Bei nachgewiesenem Fehlverhalten von Professorinnen und Professoren gibt es zurzeit als Sanktionsmöglichkeit nur die Rüge, die Gehaltskürzung und die Entfernung aus dem Dienst. Nach dem Entwurf des Hochschulstärkungsgesetzes werden wir auch stärker greifende Gehaltskürzungen und Zurückstufungen einführen.“
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