Polka-Schweine – nur echt aus Schweden
Ein echtes Polka-Schwein gibt es nur in Gränna. Und es enthält nur die Zutaten, die seine Schöpferin Amalia Erikson vor etwas mehr als 160 Jahren verwendete. In einer der vielen speziellen Polkagrisar-Bäckereien in Gränna treffe ich den Bäcker Rasmus Johansson.
Die Stadt der Zuckerstangen
Gränna ist als Stadt der „Polkagrisar“ bekannt, liegt nördlich von Jönköping in Småland und wer durch die Innenstadt fährt, sieht große Schilder. Sie werben alle für eines: „Polkagris-Bäcker“ wie Brahehus Polkagriskokeri, Polkaprinsen, Grenna Polkagriskokeri und viele mehr.
Im Prinzip bestehen Polkagrisar aus Zucker und haben einen Pfefferminzgeschmack. Sie werden von Hand gerollt und erhalten so eine charakteristische rot-weiße Streifenoptik. Die Herstellung ist ein aufwendiger Prozess, der viel Übung und Erfahrung erfordert – und die genauen Rezepturen und Herstellungsschritte werden oft als Betriebsgeheimnis gehütet.
Die Polkagris-Kultur und 1,5 Millionen Gäste
Gränna ist das Zentrum, das Herz, die Ursprungsstätte, das Paradies und der Schmelztiegel der Polkagris-Kultur. Hier werden Weltmeisterschaften im Polkagris-Herstellen ausgetragen, und jedes Jahr strömen 1,5 Millionen Menschen herbei, um die Produktion live zu erleben. Gränna hat rund 2.500 Einwohner.
Auch ich bin live da. Und ich will mit einem Polkagris-Bäcker sprechen.
Ich parke neben dem Gränna-Museum und gehe hinunter zur Brahegatan, wo sich die Grenna Polkagriskokeri befindet. Drinnen empfängt mich ein Regal mit Leckereien und ein großes Fenster mit Blick auf die Bäckerei, wo die eigentliche Herstellung stattfindet.
Rasmus Johansson begrüßt mich, er begann bereits in der Mittelschule mit der Arbeit. Er erzählt mir, dass man etwa ein Jahr benötigt, um die Grundlagen des Handwerks zu erlernen. Und auch, dass man mit kleineren Mengen beginnt und später für ganze Teige von etwa drei Kilo verantwortlich ist.
So wird auch heute noch gebacken
Der Teig wird auf 140 Grad erhitzt und dann auf einen mit Wasser betriebenen Kühltisch gegossen. Vor der Zeit des Kühltisches wurde eine gefettete Marmorplatte verwendet, an der sich die Arbeiter leicht die Hände verbrennen konnten, bevor der Teig die richtige Temperatur erreicht hatte.
Rasmus Johansson bearbeitet den Teig auf dem Kühltisch mit Stahlschabern. Die dem Kühltisch zugewandte Seite kühlt schnell ab. Er dreht den Teig kontinuierlich, damit er gleichmäßig abkühlt. Wenig später ist der Teig fast gelblich.
Die Farbe entsteht dadurch, dass der Zucker leicht angebrannt ist, aber wenn ich später Luft in den Teig ziehe, wird er weiß“, erklärt mir Rasmus Johansson.
Den Teig werfen, ist anstrengend
Der Teig wird in zwei Teile geteilt: Der eine ist rot gefärbt und der andere behält seine natürliche, leicht gelbliche Farbe. In diesem Stadium kann der Teig herausgezogen und gedreht werden.
Johansson nimmt ihn in die Hand und zeigt mir, wie der Teig früher über einen Haken geworfen wurde, um ihn mit Luft zu füllen. Der Haken befindet sich auf Augenhöhe. Er wirft den Teig mehrmals hoch und zieht.
Während des Teigziehens ist deutlich zu sehen, wie sich die Farbe von hellgoldbraun nach weiß verändert. Früher gab es keine ausgeklügelten Maschinen und das Werfen des Teigs war anstrengend für Rücken und Schultern. Die Bäcker konnten jeden Tag 20 Teige werfen.
Das Werfen des Teigs dauert zwei bis drei Minuten, ein Vorgang, der bei einer modernen Maschine vielleicht zehn Sekunden dauert. „Mit der Ziehmaschine ist es viel einfacher geworden“, sagt Rasmus Johansson.
Rollen, rollen, rollen
Der nächste Schritt besteht darin, den Teig zu rollen. Der Teig wird auf einen Tisch mit darüber liegender Infrarotheizung gelegt. Durch die Hitze bleibt der Teig weich und lässt sich gut bearbeiten. Rasmus Johansson rollt, rollt und rollt den Teig, damit er gleichmäßig bleibt. Er arbeitet so lange, bis er 64 gleich große Stücke hat. Die rote Farbe ist in diesem Stadium leicht durchscheinend.
„Ich mag ziemlich viel Rot, damit der Polkagris etwas dunkler wird, andere mögen eine etwas hellere Farbe“, sagt Rasmus Johansson.
Noch weich werden die Süßigkeiten auf eine Art Band gelegt, damit sie beim Aushärten nicht zusammenfallen. Viele haben Polkagris früher in der eigenen Küche gebacken und mussten sie dann so lange rollen, bis sie fest genug waren. Aber es gab auch einfache Maschinen, die in Bäckereien zum Einsatz kamen.
Johansson: „Sie hatten früher eine Bank, die so gebaut war, dass sie einen bestimmten Schwerpunkt hatte. Sie legten die Süßigkeiten auf eine Seite und schwenkten die Bank so, dass sie hin und her rollten. Man musste also dort stehen und die Bank schwingen. Manche Leute verwenden diese Methode noch immer, aber das ist nur Show.“
Amalia Erikson und das „Polka-Schwein“
Die Zuckerstangenbäckerei ist eng mit einer Frau verbunden, ihr Name ist Amalia Erikson. Sie erhielt 1859 als erste die Erlaubnis, eine Bäckerei zu eröffnen und dort auch Zuckerstangen herzustellen. Bald wurde sie ein Star.
Amalia Erikson wurde 1824 in Jönköping geboren. Ihre Eltern starben, als sie noch jung war: die Mutter an einem Magengeschwür, ihr Vater 1834 während der Choleraepidemie. Jönköping war eine der am stärksten betroffenen Städte und Amalia wurde im Alter von neun Jahren Waise.
Sie arbeitete dann als Dienstmädchen. Anfang der 1850er-Jahre zog sie nach Gränna. Dort lernte sie ihren Mann kennen, den Schneider Anders Eriksson. Das Paar heiratete 1857, doch Anders Eriksson erkrankte an Scharlach und starb nur eine Woche nach der Geburt ihrer Tochter Ida.
Für die Witwe und Mutter einer Tochter wurde es schwierig. Denn sie benötigte eine Arbeit, bei der sie sich gleichzeitig um ihre Tochter kümmern konnte. Der Beruf der Bäckerin bot sich an – weil er von zu Hause aus machbar war. Denn zehn Jahre zuvor war die Gewerbefreiheit eingeführt worden, die es auch armen und alleinstehenden Frauen ermöglichte, ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Die korrekte Schreibweise ihres Nachnamens ist nicht genau überliefert. Als Amalia Erikson ihre Zuckerbäckerei eröffnete, entschied sie sich dafür, ihren Nachnamen mit einem s statt mit zwei ss zu schreiben. Diese Schreibweise wurde sowohl auf den Schildern der Bäckerei als auch auf dem Einwickelpapier verwendet. Tochter Ida führte ihr Unternehmen nach ihrem Tod im Jahr 1923 weiter.
Es begann mit Zucker, Wasser und Essig
Das Rezept, das sie für ihre Süßigkeiten verwendet hat, ist im Großen und Ganzen das gleiche wie heute.
„Sie backte gern, also nahm sie, was sie zu Hause hatte. Es begann mit Zucker, Wasser und Essig.“ Johansson erzählt mir, dass Amalia zu diesem Zeitpunkt keine Glukose (Traubenzucker) hatte. Das macht heutzutage die Polkagris stabiler. „Wir versenden viel und dann dürfen sie nicht kaputtgehen“, so Rasmus Johansson.
Tatsächlich ist ungewiss, ob es Amalia Erikson war, die das Polkagris erfunden hat. Sie hatte die Herstellung von Bonbons von einer anderen Frau aus Gränna gelernt, die ihr möglicherweise auch beibrachte, wie man das Karamell mit der Pfefferminze aromatisiert, die später für ihre Zuckerstangen charakteristisch werden sollte. Vermutlich gab es bereits eine Art Pfefferminzbonbon, dem Amalia Erikson ihren eigenen Stempel aufdrückte.
Warum heißt es nun Polka-Schwein?
Durch die Art und Weise, wie sich der Magistrat ausdrückte, als er Amalia Eriksons Zubereitung von Zuckerstangen genehmigte, geht hervor, dass dieser besondere Name nicht weithin bekannt war.
Das Polka-Schwein, wie wir es heute mit seiner Verpackung und seinem Namen kennen, war neu. Doch warum heißt es nun Polka-Schwein, Polkagris?
Polka war der Tanz, der damals populär war. Und „Gris“ ein allgemeiner Begriff für Süßes – gris bedeutet auf Schwedisch allerdings auch Schwein. Es war also eine Süßigkeit, die gern genascht wurde. Etwas, das junge Männer gern Frauen zusteckten, wenn sie diese zum Tanz aufforderten. Und um ihr Herz zu gewinnen.
Anfangs stellte Amalia Erikson Polkagris nur für besondere Feiertage her. Als die Beliebtheit zunahm, begann sie, die Süßigkeit für jeden herzustellen, der sie kaufen wollte. Das Erbe ihres Mannes war bei der Herstellung allgegenwärtig – heute noch sind in Grenna Polkagriskokeri große Stoffscheren zu sehen, mit denen die Stäbe auf die richtige Größe zugeschnitten werden.
„Ihr Mann war Schneider, also nahm sie die große Stoffschere und benutzte sie beim Backen“, sagt Rasmus Johansson.
Wenn es donnert, stirbt es
Obwohl das Rezept für die Zuckerstangen relativ einfach ist, erfordert die Zubereitung großes handwerkliches Geschick. In dem Artikel „Polkagrisens 1900-tal“ von Håkan Jorikson, Direktor des Gränna-Museums, gibt es ein Interview mit Britt-Marie Tollin. Tollin betrieb in den 1970er-Jahren zusammen mit ihrem Mann Lars eine Hausbäckerei in Gränna.
In dem Artikel erklärt Britt-Marie Tollin, wie man Zuckerstangen herstellt. Sie beschreibt den gesamten Prozess, lässt aber aus, wie viele Tropfen Pfefferminzöl man in den Teig gibt. Dies wird als das größte Geheimnis bezeichnet. Es wird auch erwähnt, dass man Zuckerstangen nicht während eines Gewitters zubereiten sollte. Wenn es donnert, soll das Polka-Schwein „sterben“.
Die Erklärung dafür ist einfach: Bei Gewitter gerät das Gleichgewicht von Zucker und Essig ins Wanken und das Rezept muss angepasst werden. Sonst werden die Zuckerstangen schon nach wenigen Tagen weich und ungenießbar. Einige „Polkagris“-Bäcker verzichteten deshalb darauf, bei Gewitter Polkagrisar zu backen.
Nach 1930 wurde Polkagris gefährlich
Håkan Jorikson erzählt auch, dass die Zuckerstangen in den 1930er-Jahren zu einer Gefahr sowohl für Autofahrer als auch für Passanten wurden. Es war eine Zeit der Krise und der hohen Arbeitslosigkeit, und gleichzeitig wurde die Zuckerstange als attraktives Souvenir bekannt.
In den Häusern in Gränna gründeten die Frauen kleine Kochstuben. Die etwas größeren verkauften eher an Geschäfte in Gränna oder in andere Teile des Landes. Und einige stellten Verkaufsstände auf Straßen und Plätzen auf.
Damals führte die Nationalstraße 1 durch Gränna und Kinder waren am Verkauf beteiligt. Wenn der Verkehr stillstand, steckten sie ein Polkagris durch das Fenster, in der Hoffnung, eine Öre oder gar eine Krona zu verdienen.
Touristen hielten ihr Auto auch mitten im Verkehr an, um auszusteigen und das lang erwartete Souvenir zu kaufen. Das führte manchmal zu Verkehrsunfällen. Kurz darauf wurde im Hafengebiet jeglicher unlizenzierter Verkauf verboten. Doch das half nicht.
1935 wurde das Problem im Gemeinderat angesprochen, der den Verkauf von Süßigkeiten auf öffentlichen Straßen verbot. Auch dieses Verbot war wenig hilfreich, und zwei Jahre später begann die Polizei, alle illegal verkauften Polkagris zu beschlagnahmen.
Was ist ein echtes Polkagris?
Zu jener Zeit begann auch eine Diskussion darüber, was ein echtes Polkagris ist. Denn manche stellten ihre Leckereien in einer Fabrik in Jönköping her und verkauften sie dann als Zuckerstangen des Ortes. Als der Zweite Weltkrieg kam, legten sich die Diskussionen über echte oder falsche Polkagris und die Verkehrsbehinderungen. Der Tourismus nahm ab und die Zuckerstangen wurden zum Luxusartikel.
Das Polka-Schwein beginnt und endet in Gränna. „Grenna Polkagriskokeri“ verfügt neben einer kleinen Fabrik in Gränna auch über eine größere in Jönköping. Dort werden kleine Bonbons, Polka-Bonbons und vieles mehr hergestellt – aber keine Polkagrisar.
Denn schließlich wurde festgelegt: Alle Polkagris-Stäbe sind handgefertigt und werden nirgendwo anders hergestellt.
„Diese Zuckerstange ist schwedisch und jetzt haben wir in Gränna ein Patent dafür. Wenn man also ein Polkagris außerhalb von Gränna produziert, darf es nicht so genannt werden“, sagt Rasmus Johansson.
Ach ja, der bisher längste Polkagris der Welt war 287,7 Meter (1989) lang; der höchste 8,67 Meter (1993); der schwerste wog 2.158,7 Kilogramm (2003).
Der Artikel erschien zuerst in der schwedischen Epoch Times unter dem Titel „Grisen som blev historisk“. (Deutsche Übersetzung cnk, Bearbeitung ks)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion