Pflegeversicherung in der Krise: Erste Kasse beantragt Finanzhilfe

Gut zwei Monate nach der letzten Beitragserhöhung droht der ersten Pflegekasse die Zahlungsunfähigkeit. Das berichtete zuerst die „Wirtschaftswoche“. Der Präsident des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS), Frank Plate, erklärte: „Der Antrag einer Pflegekasse ist eingegangen, der die Bewilligung einer Finanzhilfe bis einschließlich Dezember 2025 umfasst.“ Betroffen seien rund eine halbe Million bei der Kasse Versicherte.
Der Dominoeffekt für andere Kassen
Ob der angespannten Lage wird zudem ein Dominoeffekt befürchtet. Weitere Kassen könnten Anträge auf Hilfe stellen. Damit würde eine Abwärtsspirale drohen, die auch nicht durch die kurzfristig greifenden Ausgleichsfonds verhindert werden könne, so die Vorständin des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK), Anne-Kathrin Klemm, gegenüber „WiWo“. Jene Kassen, die am Monatsende aktuell Geld übrig hätten, müssten an den Ausgleichsfonds zahlen. Als Folge geraten diese selbst auch in den Abwärtsstrudel. Zu diesem gehört auch, dass Pflegekassen in dieser Situation versuchten, „die Leistungen beziehungsweise die Rechnungen so spät wie möglich zu zahlen“. Das hat zur Folge, dass Pflegebedürftige wie Heimbetreiber an ihre Grenzen kämen.
Davor, dass das Geld aus der Beitragserhöhung zum Jahreswechsel bis nach der Bundestagswahl reichen könnte, warnte Klemm bereits im Mai vergangenen Jahres. Ebenso davor, dass die Pflegekasse kurz vor der Pleite stehe. Durch den demografischen Wandel sei in den kommenden Jahren sogar mit einer Verschärfung des Defizits zu rechnen. Es braucht einen grundlegenden Umbau der Pflegeversorgung, eine richtige Reform jenseits der „Flickschusterei der vergangenen Jahre“.
Finanzlage trotz Erhöhung so ernst wie nie
Erst im Januar 2025 waren die Kassenbeiträge zuletzt erhöht worden. Die Sätze der sozialen Pflegeversicherung (SPV) stiegen auf 3,6 Prozent des Bruttolohns (Anhebung um 0,2 Punkte), für Kinderlose sogar auf 4,2 Prozent. Die Beiträge bei den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) stiegen noch mehr: Nach einer Anhebung um durchschnittlich 0,8 Punkte machen sie jetzt 17,1 Prozent des Bruttolohns aus.
Die Erhöhung der Beiträge um 0,2 Prozent führt zu einer Mehreinnahme der Kassen von 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Im vergangenen Jahr 2024 wurde ein Defizit von 1,55 Milliarden verzeichnet, rechnet Doris Pfeiffer, Chefin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), gegenüber „Tagesschau“ vor. Auf der anderen Seite der Kassenbilanz stehen um 11 Prozent gestiegene Leistungsausgaben, was aktuell die Ausgaben der Pflegeversicherung auf über 70 Milliarden Euro hochkatapultiert. Ein Grund dafür sei die „sehr dynamisch“ steigende Zahl der Leistungsbezieher.
Beitragserhöhung als Problemaufschub
Außerdem waren 2024 alle Zahlungen für Pflegebedürftige zu Hause und im Heim um 4,5 Prozent angehoben worden als Auswirkung einer Reform der Ampelkoalition von 2023 – Kostenpunkt circa 1,8 Milliarden Euro. Pfeiffer warnte Ende Januar in der „Welt“ vor einer ernsten Finanzlage, die ohne schnelle Maßnahmen zu einer existenziellen Krise im Jahr 2026 führen könnte. Mit der Beitragsanhebung zu Jahresbeginn sei das Finanzierungsproblem nicht gelöst, sondern lediglich aufgeschoben worden. Bestenfalls könnten damit die Ausgabensteigerungen des laufenden Jahres ausgeglichen werden. „Aber für 2026 reicht das dann keinesfalls mehr.“
Pfeiffer fügte hinzu: „Wenn nach der Wahl die neue Bundesregierung nicht sehr rasch handelt und Maßnahmen zur finanziellen Stabilität ergreift, steht die Pflegeversicherung im nächsten Jahr vor einer existenziellen Krise.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im November 2024 die Beitragssätze angehoben und versprochen, dass das ausreichend für eine Stabilisierung der Versicherungen bis Ende 2025 sei. Die aktuelle Zahlungsunfähigkeit der ersten Kasse zeigt, dass trotz der Beitragserhöhung dieser Plan nicht aufgegangen ist.
Fass ohne Boden – Kassen müssen Corona-Kosten zahlen
Die finanzielle Lage der sozialen Pflegeversicherung (SPV) sei auch deshalb äußerst angespannt, so der Präsident des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS), Frank Plate, da die Zahl der Menschen, die Leistungen erhalten, allein von 2022 bis 2023 um etwa 7 Prozent gestiegen sind – auf inzwischen 5,2 Millionen.
Vor allem aber habe der Staat den Kassen Ausgaben aufgebürdet, die nicht ihrer Aufgabe entsprächen, kritisiert er. So etwa Corona-Kosten von mehr als 5 Milliarden Euro für flächendeckende COVID-Tests in Heimen, die die Kassen vorerst übernahmen. Diese Corona-Belastungen müssen schnellstmöglich durch die Bundesregierung ausgeglichen werden.
Die von vielen Seiten geforderte umfassende Pflegereform hat die Ampelregierung in den vergangenen vier Jahren nicht auf den Weg gebracht. Noch-Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete das Versäumnis im November 2024 als einen „Kollateralschaden der Implosion der Ampel“. Die sich jetzt ankündigende Pleite der Pflegekasse ist laut „Tagesschau“ ein Signal dafür, dass die nächste Bundesregierung ein großes Problem erbt.
Auswirkungen auf Einzelpersonen und das System
Für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bedeutet die finanzielle Schieflage der Pflegeversicherung am Ende eine steigende finanzielle Belastung. Krankenkassen können in Deutschland pleitegehen, bei der Pflegeversicherung hingegen ist so etwas nicht möglich. Sie ist eine kassenübergreifende Gesamtaufgabe, die sich alle Versicherer teilen.
Wenn der Pflegefonds leer zu werden drohe, setzt eine Art Automatismus ein, erklärt die Sprecherin der AOK Bayern, Regina Greck im „BR“: Die Bundesregierung hebe dann den Beitragssatz an, wie jetzt im Januar 2025 geschehen. Falls das nicht ausreiche, wird der Beitragssatz weiter erhöht, sodass die Pflegekassen Geld an Pflegedienste zahlen können.
Warum Beitragserhöhungen allein das Problem nicht lösen
Ohne elementare Reformen drohen Beitragssteigerungen auf mehr als 50 Prozent, so das Ergebnis eines Gutachtens im Auftrag des Verbandes Junge Unternehmer. Die anhaltende finanzielle Instabilität der Pflegeversicherung wird so zu weiteren Beitragserhöhungen führen, was die Sozialabgabenquote in Deutschland weiter erhöhen würde. Ohne dringend notwendige Reformen werde der Gesamtbeitragssatz für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung bis zum Jahr 2050 von heute rund 40,9 Prozent auf mehr als 50 Prozent ansteigen, warnt der Verband im „Handelsblatt“. Auch das ist ein Teufelskreis, denn damit lohnt sich Arbeit immer weniger.
In den Sozialversicherungen für Gesundheit und für Pflege sind circa 75 Millionen Menschen versichert, rund 5 Millionen bekommen aktuell Pflegeleistungen. Privat pflegeversichert sind rund 8 Millionen.
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