Papst Benedikt wusste von Kindesmissbrauch: Vatikan-Akten gefordert
Kürzlich wurde ein Briefwechsel vom Papst mit dem Münchner Erzbistum bekannt. Durch diesen ist belegt, dass Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, von Missbrauchstaten des Priesters H. wusste und ihn dennoch sein Amt ausüben ließ. Andere Missbrauchsopfer können von dem Fund profitieren, so wird jetzt die Offenlegung diverser Vatikan-Akten gefordert.
Auch für die Klage eines Missbrauchsopfers des Priesters H. dürfte der Brieffund interessant sein. Sofern er die Klage gewinnt, dürfte dies auch weitreichende Konsequenzen für die Kirche und andere Missbrauchsopfer haben.
Forderung nach Offenlegung der Akten
Der Brieffund ist für den Sprecher der Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, ein Grund, weitere Akten auszuwerten, „die im Vatikan über Tausende von Missbrauchsfällen aus aller Welt gelagert werden“. Die Initiative setzt sich für eine Aufarbeitung, Entschädigung und Hilfe für Missbrauchsopfer ein und fordert jetzt die Herausgabe von Akten aus dem Vatikan.
Katsch bezeichnet Ratzinger als „Repräsentant des Systems, dem Tausende Kinder und Jugendliche in aller Welt zum Opfer fielen“. Ratzinger habe mehr Empathie für die Täter als für die Opfer aufgebracht und „das Wohl der Kirche und ihrer Missbrauchspriester über das Kindeswohl gestellt“. Der Fall des Priesters H. sei dabei nur ein Beispiel neben vielen anderen Fällen, so Katsch.
Geheimer Brief wird öffentlich
Konkret handelt es sich um einen Brief aus dem Jahr 1986, welcher dem „Bayerischen Rundfunk“ (BR) und „Correctiv“ vorliegt. Damals sollte entschieden werden, ob und wie Priester H. sein Amt weiterhin würde ausführen dürfen. 1980 war H. wegen Missbrauchsvorfällen vom Bistum Essen ins Erzbistum München und Freising versetzt worden. Das Erzbistum München und Freising fragte daraufhin 1986 den Vatikan, ob der Priester H. die Messe mit Traubensaft statt mit Wein feiern dürfe. Als Grund nannte Egger in dem Brief eine „absolute Alkoholunverträglichkeit“.
Dem Brief ist auch zu entnehmen, dass der Priester unter Alkoholeinfluss Straftaten nach den Paragrafen 174, 176 und 184 des Strafgesetzbuchs (StGB) begangen habe. Die Paragrafen behandeln sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verbreitung pornografischer Inhalte.
Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., war damals für das Erzbistum München verantwortlich und genehmigte die Sondererlaubnis. Somit wurde der verurteilte Täter 1986 Priester in Garching an der Alz. Ein Sprecher des Erzbistums bestätigt: „Es gibt dieses Antwortschreiben, das von Ratzinger unterschrieben wurde.“ Bis 2008 war H. in der Gemeinde eingesetzt und missbrauchte weitere Kinder. Mittlerweile ist er suspendiert.
Wird es eine Aufarbeitung geben?
Für die Aufarbeitung zeichnet Katsch ein nüchternes Bild. Er meint, dass die „Verteidiger und glühenden kirchenpolitischen Anhänger von Benedikt auch diesmal wieder versuchen werden, die Fakten herunterzuspielen und zu relativieren: Er habe täglich so viele Schreiben unterzeichnet – über seinen Schreibtisch gingen in 25 Jahren Tausende von Missbrauchsakten, er konnte sich da unmöglich an jeden einzelnen Fall erinnern – und so weiter“.
Klage des Missbrauchsopfers
Für die Klage eines Sexualopfers des Priesters H. dürfte der Brief von Bedeutung sein. Im Juni vergangenen Jahres verklagte das Opfer den Priester H., Papst Benedikt XVI. und weitere Kirchenvertreter.
Die Taten sind strafrechtlich weitgehend verjährt – sie fanden vor über 26 Jahren statt. Deshalb reichte der Anwalt eine sogenannte Feststellungsklage ein, mit der die Verjährung umgangen werden soll. So soll das Gericht einen zivilrechtlichen Schaden und die Schuld der Kirche feststellen. Demnach geht es laut Schulz um eine „gesamtschuldnerische Haftung“. Der Brief kann die Klage unterstützen.
Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass der damalige Priester H. den Kläger missbrauchte, könnte die Kirche zum Ersatz des Schadens ihm gegenüber verpflichtet werden. Das wiederum könnte weitreichende Folgen für andere Missbrauchsopfer haben. Laut einer repräsentativen Umfrage der Universität Ulm aus dem Jahr 2019 ist von 114.000 Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester auszugehen. Ebenso viele Opfer könnte es durch Pfarrer und Mitarbeiter in evangelischen Kirchen geben. Sie alle könnten die Kirche mit einer Feststellungsklage verklagen – mit der Folge, dass die Straftaten als solche anerkannt werden und die Kirche Schadensersatz leisten muss.
Der Professor für Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilian-Universität München, Andreas Spickhoff, betont allerdings, dass sich die Angeklagten auf eine Verjährung des Falls berufen könnten. Bei der Klage halte es sich um Neuland – bisher gebe es keine Feststellungsklage auf einen verjährten Anspruch.
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