Opportunistische Pilze machen Bäumen zu schaffen
Er ist ein schwieriger Patient. Er kann nicht hören, sehen oder über seinen Zustand reden. Und doch geht es ihm schlecht, dem Baum. Seine Gesundheit liegt Kathrin Blumenstein von der Universität Freiburg am Herzen. Sie ist Deutschlands erste und einzige Professorin für Baumpathologie.
Die Biologin befasst sich auf Uni-Ebene mit den großen und kleinen Wehwehchen ihrer Schützlinge. Die Symptome sind ihr bekannt. Bröselige Stellen an der Rinde, gelb gefärbte Nadeln, Nekrosen, tote Äste – und schließlich oft der Exitus.
Schwammig, cremig, pelzig, bunt
So weit will es die Expertin für die Erkrankungen der Bäume gar nicht kommen lassen. „Ich liebe Wälder und Natur und finde es schön, Forschung zu machen, die dazu beiträgt, dass Bäume gesund bleiben“, sagt sie.
Ihr Fachgebiet sind Mikroorganismen, insbesondere Pilze. In ihrem Labor hat sie 500 Pilzarten in Petrischalen gezüchtet. Sie sind schwammig, cremig, pelzig, bunt und erinnern an moderne Kunst.
Die Forscherin geht der Frage nach, welche harmlosen Pilze als Gegenspieler für schädliche eingesetzt werden können. Weitere Fragestellungen gelten dem Schadstoffpotenzial und dem Wachstum der einzelnen Pilzarten sowie Veränderungen ihrer Eigenschaften bei unterschiedlichen Umweltbedingungen.
„Pilze können für die Bäume Segen oder Plage sein“, sagt die Mykologin. Die Pilzexpertin unterscheidet drei Eigenschaften von ihnen. Pilze wie Ophiostoma novo-ulmi, der das Ulmensterben verursacht, schaden ihrem Wirtsbaum prinzipiell, in dem sie seine Wasserleitbahnen blockieren und den Baum in kurzer Zeit verdursten lassen.
Sogenannte endophytische Pilze, die im Inneren von Pflanzen wachsen, leben in Eintracht mit Bäumen – der Baum bietet ihnen Lebensraum und Nährstoffe, im Gegenzug stärken die Pilze dessen Abwehrkräfte.
Opportunisten unter den Pilzen
Die dritte Gruppe umfasst die wachsende Zahl der sogenannten Opportunisten unter den Pilzen. Die für beide Seiten vorteilhafte Symbiose endet abrupt, wenn der Baum unter Stress gerät, sei es wegen Hagel, Wetterextremen oder Trockenheit.
„Dann ändern die Pilze ihren Lebensstil und werden plötzlich zu einer Gefahr im Inneren des Baumes, die ihn absterben lassen kann“, erklärt Blumenstein. Warum beseitigen diese zu Parasiten mutierten Pilze ihre Nahrungsquelle? „Für sie ist es leichter, sich Nährstoffe aus toten Zellen zuzuführen als aus lebenden.“
Als Beispiel für solch „undankbare“ Nutznießer nennt Blumenstein den wärmeliebenden Pilz Diplodia sapinea, der sich seit fünf bis zehn Jahren zunehmend in Mitteleuropa ausbreitet und Kiefern angreift, wenn sie durch Hitze oder Wassermangel bereits geschädigt sind.
Eine Folge zeige sich auch im Waldzustandsbericht der Bundesregierung. Dessen Daten zufolge ist der Anteil der deutlichen Kronenverlichtungen bei Kiefern innerhalb eines Jahres von 25 auf 28 Prozent im Jahr 2022 gestiegen.
Blumensteins Patienten geht es seit Jahrzehnten immer schlechter. Dem Bericht zufolge sind vier von fünf Bäumen krank. Gemessen wird die Dichte der Baumkronen als Indikator für die Vitalität der Bäume. Die mittlere Kronenverlichtung sei im Durchschnitt aller Baumarten von 26,7 Prozent auf 25,9 Prozent zwar geringfügig gesunken. Mit 6,7 Prozent sei ein Höchststand bei der Ausscheiderate erreicht worden, also dem Anteil der Bäume, die seit der letzten Erhebung abgestorben sind.
Deutschland hinkt nach Ansicht von Blumenstein bei der Erforschung dieser Phänomene hinterher. Skandinavien etwa sei da schon viel weiter, auch weil es wirtschaftlich stärker auf die Wälder angewiesen sei. Blumenstein fordert mehr Forschungsmittel: „Nur, wenn wir besser verstehen, was in unseren Bäumen genau passiert, können wir ihnen in Zukunft besser helfen.“
Blick auf molekulargenetische Biomarker
Für die Freiburgerin ist auch die internationale Vernetzung der Baumpathologen wichtig, um schneller wichtige Informationen auszutauschen. Denn durch molekulargenetische Biomarker kann man nachverfolgen, woher ein Pilz kommt, wo er sich ausbreitet und prognostizieren, wohin er wohl weiter zieht.
So können sich Regionen auf die ungebetenen Gäste einstellen und resilientere Bäume pflanzen. Dazu eignen sich sogenannte Hybride, also Kreuzungen etwa von Esche oder Ulme mit importierten Bäumen. Blumenstein: „Wir werden uns von einigen einheimischen Baumarten verabschieden müssen und uns danach richten, welche Baumarten in 50 Jahren bei wärmerem Klima und neuen invasiven Arten noch vital bleiben.“
Das Thema Baumgesundheit ist in Städten zunehmend relevant. Bäume binden Schadstoffe, spenden Schatten und sind Lebensräume für Vögel und Insekten. Kranke Bäume hingegen bergen Gefahren für den Verkehr und müssen gelegentlich weichen. Beispiel Mannheim: Nach einem Sturm Mitte April meldete die Stadt 30 beschädigte Bäume in ihren Parks und 5 nicht mehr zu rettende Exemplare.
Oft ist der Grund von Baumfällungen nicht so augenfällig. „Da die Zersetzung äußerlich erst spät zu sehen ist, ist die Kritik am Fällen vermeintlich gesunder Bäumen groß“, heißt es beim Deutschen Städte- und Gemeindebund.
Die Kommunen seien aber bei diesem Thema sehr sensibilisiert und informierten in der Regel umfassend über die Notwendigkeiten, sei es über amtliche Mitteilungen oder Veranstaltungen mit Sachverständigen, sagt die Referatsleiterin Kommunalwald bei dem Verband, Ute Kreienmeier. Sie fügt hinzu: „Heute legt keiner mehr die Axt an einen Baum, ohne dafür gute Gründe zu haben.“ (dpa/red)
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