Ohne Anschreiben, ohne Lebenslauf – ist das die Zukunft der Bewerbung?

Immer mehr Unternehmen setzen auf Künstliche Intelligenz, um ihre Personalgewinnung zu optimieren. Gleichzeitig nutzen immer mehr Bewerber KI-gestützte Tools, um ihre Chancen zu verbessern. Eine dänische Kaffee- und Saftkette ersetzt klassische Bewerbungen durch ein KI-gesteuertes Auswahlverfahren. Bewerber müssen bei dem System nur noch fünf Fragen beantworten. Dannach bekommen sie ein Psychogramm.
Die Akzeptanz für KI in einer Bewerbung ist groß.
Hat die klassische Bewerbung bald ganz ausgedient?Foto: Sina Schuldt/dpa
Von 30. Januar 2025

Es ist ein ganzes KI-Business rund um Bewerbungen entstanden. Vermarktet werden KI-Tools, die helfen, einen Job bei Arbeitgebern zu bekommen, die besonders hoch im Kurs stehen. Unternehmen müssen sich dadurch zunehmend mit Bewerbern auseinandersetzen, die KI im Auswahlverfahren einsetzen. Die „Welt“ spricht von einem regelrechten Wettrüsten zwischen Bewerbern und Firmen. 

KI in Personalabteilungen und bei Bewerbern

Es gibt ein weiteres Problem, das KI-generierte Bewerbungen mit sich bringen. Das „Wall Street Journal“ zitiert Ben Sesser, Geschäftsführer der Interview-Software-Plattform BrightHire, über einen der Gründe des KI-Einsatzes im Personalbereich:

Fast alle unsere Kunden, insbesondere die größeren Techunternehmen, haben mit der Menge an Bewerbern zu kämpfen, die sie bekommen.“

Techgigant Google allein erhält über 3 Millionen Bewerbungen pro Jahr. Bei einer Einstellungsrate von etwa 0,2 Prozent bedeutet das, dass es schwieriger ist, einen Job bei Google zu bekommen, als an der Eliteuniversität Harvard akzeptiert zu werden, schreibt das Portal „t3m“. Die Anzahl der Mitarbeiter von Google-Mutterkonzern Alphabet lag Ende des Jahres 2023 bei über 182.000.

Erstmals Bewerbungen ohne Anschreiben und Lebenslauf

Bei der dänischen Kaffee- und Saftkette Joe & The Juice gehen jährlich 300.000 Bewerbungen pro Jahr ein. Das Unternehmen hat laut „Statista“ inzwischen weltweit 400 Filialen. Es beschäftigt mehr als 516.000 Menschen. 2014 waren es noch 197.000. Wegen der großen Flut an Bewerbern verzichtet die dänische Kette mittlerweile auf klassische Bewerbungen mit Anschreiben und Lebenslauf. Das erklärte Sebastian Jeppesen, Personalchef von Joe & The Juice, gegenüber der Zeitung „Berlinske“. KI hat hier die Rolle des Personalers übernommen. Das automatische System stellt den Onlinebewerbern nur noch fünf offene Fragen, wertet diese aus und extrahiert die geeigneten Bewerber.

„Wir erwarten, dass wir in den nächsten vier Jahren 40.000 Mitarbeiter einstellen werden. Diese Größenordnung wäre ohne Sapia.ai nicht möglich“, untermauert Jeppesen in einer Unternehmensmeldung auf „Businesswire.com“. Perspektivisch könne so jeder Recruiter pro Woche einen Arbeitstag einsparen. Überhaupt soll mit der neuen Methode alles viel zügiger vonstattengehen. Der Prozess von der Bewerbung bis zum Vertragsabschluss, für den zuvor im Durchschnitt 18 Tage eingeplant wurden, habe sich jetzt schon auf zwölf Tage verkürzt, so der Personalchef.

Gen Z: Die papierlose Generation

Joe & The Juice will sich seit seiner Gründung 2002 mit einer Kombination von Café, Saftbar und sozialem Erlebnis abheben: Hipster-Ästhetik, gesunde Snacks und frische Säfte sollen gesundheitsbewusste und moderne Kunden anziehen. Auch in der Ansprache potenzieller Mitarbeiter setzt die Kette auf Zeitgeist. Ein Juicer soll hier nicht einfach nur ein „Entsafter“ sein, der für die Gäste im Akkord Obst und Gemüse durch die Presse jagt. „Juicer zu sein, ist nicht nur ein Job – es ist ein Lebensstil“, wirbt das Unternehmen auf der eigenen Website um Arbeitswillige. Wer sich hier bewirbt, gehört oft, wie auch die Kunden des trendigen Saftladens, zur Generation Z.

Gen Z, geboren zwischen 1997 und 2012, ist die erste Generation, die von Geburt an mit digitalen Technologien und dem Internet aufgewachsen ist, weshalb sie oft als „Digital Natives“ bezeichnet wird.

Fünf Fragen für den Job als Juicer

Nach der Aufforderung zu einer kurzen Selbsteinschätzung der Eignung als Juicer zielen auch die weiteren vier Fragen darauf ab, Belastbarkeit, Teamfähigkeit und Problemlösungskompetenz des Bewerbers zu identifizieren:

„Erzählen Sie mir von einer Zeit, in der Sie erfolgreich zusammengearbeitet haben, um ein Ziel zu erreichen. Welche Rolle haben Sie dabei gespielt?“, wird gefragt oder danach, wie der Bewerber vorgeht, wenn es im Laden chaotisch wird und es viel zu tun gibt: „Wie stellen Sie sicher, dass alles erledigt wird?“ Dann soll der Bewerber noch von einer Erfahrung erzählen, „bei der Sie sich schnell einer neuen Erfahrung anpassen mussten. Wie haben Sie die Veränderung gemeistert?“ Zuletzt noch die Frage: „Beschreiben Sie eine Situation, in der Sie andere oder sich selbst motiviert haben, eine Aufgabe zu erledigen. Welche Strategie haben Sie angewandt?“

Die KI als küchenpsychologischer Ratgeber?

Wer seine 15-Minuten-Bewerbung abgeschickt hat, bekommt innerhalb weniger Minuten per E-Mail Feedback von der KI – zwar nicht dazu, ob er aufgrund der Antworten für den Job infrage kommt, sondern mehr dazu, was die KI aus den Antworten herausgefiltert haben will. Dazu gibt es mehrere Selbstverbesserungsvorschläge: „Sie treten typischerweise selbstbewusst und selbstsicher auf, was bedeutet, dass Sie sich möglicherweise bewusst darum bemühen müssen, zugänglicher zu erscheinen.“ Oder: „Bemühen Sie sich, den Kommunikationsstil der anderen zu verstehen und zu respektieren. […] Denken Sie daran, dass Sie sich auch mal ausruhen sollten, damit Sie nicht ausbrennen.“

Bei der Bewerbung gegen die KI antreten

Joe & The Juice gibt an, dass die Firma bei der Rekrutierung von Bewerbern großen Wert auf dieses Feedback legt. Die Arbeitssuchenden scheinen das auch so zu sehen. 93 Prozent der Bewerber empfinden die Persönlichkeitsanalysen und Coachingtipps als hilfreich, so die Auswertung des Unternehmens. So äußerten sich neun von zehn Kandidaten von über 55.000 Bewerbern weltweit zufrieden über den Auswahlprozess. Auch Personalchef Jeppesen sieht einen Gewinn für beide Seiten.

Das Unternehmen habe viele Bewerber genommen, die normalerweise nicht eingestellt worden wären. Da auf Lebensläufe verzichtet wird, entfällt automatisch eine mögliche Voreingenommenheit der Personaler. Hier erfüllt die KI die Inklusionsbestrebungen des Unternehmens.

Und auch wenn es mit dem Job als Juicer möglicherweise nichts wird, ist als Kundenbindungsmaßnahme zumindest eine Gratissitzung beim KI-Küchenpsychologen herausgesprungen. So wird die Kundenbindung an das Unternehmen weiterhin ausgebaut.

Zukunft mit KI: Der Mensch bewirbt sich bei der Maschine

Die wachsende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz hat den Arbeitsmarkt und die Rekrutierung längst verändert. Dies zeigt auch eine aktuelle Studie von Softgarden, einem Unternehmen für Recruitingsoftware. Deren Untersuchung „KI im Recruiting 2023“, bei der 2.674 Bewerber befragt wurden, liefert Zahlen darüber, wie rasant Nutzung und Akzeptanz von KI steigen. Demnach verwenden mittlerweile 19 Prozent der Befragten KI für ihre Bewerbungsanschreiben. 41,6 Prozent sind damit zwar nicht vertraut, ziehen es aber in Erwägung, sich zeitnah damit vertraut zu machen.

Insgesamt sind es also 61 Prozent, die KI bei der Jobsuche benutzen oder dies in Kürze vorhaben. Bei einer Umfrage wenige Monate zuvor waren es noch insgesamt 49 Prozent gewesen, die ihre Bewerbungen mit KI verfassten oder dies vorhatten. Von den 39 Prozent, die aktuell abgeneigt sind, lehnen 32 Prozent das Benutzen von KI ab, weil das „Betrug“ sei. 7 Prozent geben an, die Nutzung von KI als zu kompliziert zu empfinden.

Mit 19 Prozent setzt inzwischen fast jedes fünfte Unternehmen weltweit Künstliche Intelligenz im Personalwesen und zur Talentgewinnung ein, so der „IBM Global AI Adoption Index 2023“. Besonders große Konzerne wie Google oder auch IBM, die jährlich Millionen Bewerbungen erhalten, nutzen KI, um diese Flut zu bewältigen. KI kommt dabei, wie auch bei der dänischen Cafékette Joe & The Juice, vorwiegend in den frühen Phasen des Auswahlprozesses zum Einsatz, um Bewerbungen zu sichten und eine Vorauswahl zu treffen.

Insgesamt nutzen bereits 42 Prozent der Firmen weltweit Künstliche Intelligenz in unterschiedlichen Bereichen.



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