Offline im digitalen Zeitalter – SPÖ fordert Recht auf analoges Leben
Geld überweisen, Online-Anträge stellen, Steuererklärungen abgeben. Im digitalen Alltag wird das Leben für Menschen ohne Internet zunehmend umständlicher. In Österreich setzt sich die SPÖ für ein Recht auf ein analoges Leben ein. Auch in Deutschland gibt es solche Ansätze.
Keine Förderung ohne Internet
Am 12. Juni hat die SPÖ einen dringlichen Antrag beim Nationalrat eingereicht. Sie forderte ein Recht auf ein analoges Leben. Förderungen und Leistungen wie Handwerkerbonus oder staatliche Zinsen müssten auch Senioren uneingeschränkt zugänglich gemacht werden, lautete die Forderung.
Denn „eine grundsätzliche sinnvolle Form des Sparens, bei der sich der Staat bei seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern verschuldet und dabei bessere Zinsen zahlt als viele Banken“, bleibt einem Großteil der Pensionisten verwehrt. Diese Sparform ist ausschließlich digital und nur für Nutzer der ID-Austria, einer digitalen Authentifizierung, zugänglich.
„Gerade jene Menschen, die Österreich aufgebaut und zu dem Land gemacht haben, das es heute ist, bekommen also keine guten staatlich garantierten Zinsen und müssen sich mit den mickrigen Zinsen am Bankschalter begnügen“, argumentiert die Fraktion.
Gleiches gilt für die Modernisierung von Heizsystemen. Wer ein fossiles Heizsystem gegen eine „nachhaltige, moderne, klimafreundliche Heizung tauschen will, hat Pech“, wenn er offline ist. Ebenso kann auch der Reparatur- und Handwerkerbonus ausschließlich digital beantragt werden.
Bei allem Verständnis und der Notwendigkeit, die öffentliche Verwaltung mehr zu digitalisieren, könne es nicht das Anliegen der Gesellschaft sein, die weit über eine Million Menschen, die aus verschiedenen Gründen keine Onlineangebote nutzen, staatlichen Leistungen und Förderungen auszuschließen.
Insgesamt rechnet die SPÖ für all diese Bereiche ein Gesamtvolumen von vier Milliarden Euro an Leistungen und Förderungen der öffentlichen Hand, die ausschließlich online beantragt werden können.
Die Fraktion forderte ein Gesetzespaket, das ein „Recht auf analoges Leben in Österreich schafft und verhindert, dass insbesondere ältere Menschen den Zugang zu staatlichen Leistungen und Förderungen mehr und mehr verlieren“. Das beinhalte auch ein uneingeschränktes Recht auf die Ausfertigung von kostenlosen Papierrechnungen für Konsumenten.
Im Nationalrat fand der Entschließungsantrag nicht die notwendige Mehrheit.
Senioren machen mobil
Analog zu den Anstrengungen der SPÖ in Österreich, die ein „Recht auf analoges Leben“ fordern, setzt sich in Deutschland die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) für die Interessen der älteren Generation ein.
Sie vereint rund 120 Vereine und Verbände der Zivilgesellschaft, die von älteren Menschen getragen werden oder sich für ihre Belange engagieren. Nach Ansicht der Organisation muss es ein Recht auf ein Leben ohne digitale Medien und autonome technische Systeme geben.
Einen Fahrschein zu erwerben, einen Personalausweis zu beantragen, eine Geldüberweisung vorzunehmen – das muss künftig auch ohne Internet möglich sein“, heißt es in einem Positionspapier von BAGSO.
Um das zu erreichen, gibt es verschiedene Aktionen. In Weingarten ist der Ortsseniorenrat aktiv geworden. Seit Ende 2021 verkauft der Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) keine undatierten Fahrscheine mehr, sondern setzte ausschließlich auf Online-Tickets und vordatierte Automatenfahrscheine, mit denen die Fahrt sofort angetreten werden musste.
Während einer Informationsveranstaltung kritisierte der Vorsitzende des Ortsseniorenrats, Fritz Liebersbach, diesen Ansatz. Gemeinsam mit dem KVV und der Politik wurde eine Lösung gefunden. Inzwischen gibt es Fahrkarten zum Selbstausfüllen, die an einigen KVV-Verkaufsstellen im Landkreis erhältlich sind. Zudem bietet der Ortsseniorenrat Weingarten jeden zweiten Donnerstag im Monat in seiner Geschäftsstelle einen eigenen Fahrscheinverkauf an.
Digital-Lotsen in Berliner Bibliotheken
Viele Städte und Gemeinden haben bereits die älteren Einwohner im Blick und erleichtern ihnen die Nutzung digitaler Angebote. So gibt es in Berliner Bibliotheken eine öffentliche Digital-Beratung, die über das Projekt „Digital Zebra Berlin“ zu festen Zeiten angeboten wird.
„Wir wollen die Menschen nicht digitalisieren, wir wollen den gerechten Zugang zu allen öffentlichen Angeboten und Dienstleistungen sichern“, sagt Projektleiter Jacob Svaneeng.
Das von der EU und dem Berliner Senat finanzierte Projekt startete Anfang 2023 und ist auf zwei Jahre angelegt. Ein Jahr später arbeiten in zwei Berliner Stadtteilbibliotheken bereits Digital-Lotsen in Vollzeit. Ende 2024 werden es voraussichtlich mehr als zwanzig Standorte sein.
Die Lotsen verstehen sich als digitale Wegweiser – sie recherchieren für Menschen ohne Internetzugang Informationen, die oft nur online zu finden sind: Wo ist der nächste Pflegestützpunkt? Wo kann ich Seniorengymnastik besuchen? Wo finde ich eine bestimmte Telefonnummer?
Überwachung vorprogrammiert
Der bekannte Journalist und Buchautor Heribert Prantl plädiert für ein Grundrecht auf „analoge Teilhabe am Leben“. In einem Interview mit BAGSO äußerte er: „Der zunehmende Digitalzwang belastet den kleinen und den großen Alltag. Er ist eine Diskriminierung der Handylosen, die sich ein Smartphone nicht leisten können oder wollen.“
Dafür, dass das Handy mit der Zeit zum „Grundrechts-Zugangsgerät“ geworden ist, hat er kein Verständnis. Sowohl der Kauf von Bahnfahrkarten als auch das Abholen von Paketen müsse auch ohne Apps möglich sein.
Das sei aber nicht nur ein Problem von älteren Menschen, die den Umgang mit digitalen Medien nicht gelernt haben, sondern auch von Jüngeren, die sich von der digitalen Welt distanzieren.
„Digitalisierung, das bedeutet automatisch Überwachung, die Weitergabe unserer Daten. Und wer das nicht will, ist nicht automatisch ein Techniktrottel; im Gegenteil, er ist oft ein Technikkenner“, so Prantl.
Eine Wahlfreiheit könne im Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ergänzt werden. Hierzu schlägt Prantl folgende Formulierung vor: „Die Grund- und Daseinsvorsorge für einen Menschen darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass er digitale Angebote nutzt.“
Als Demokrat müsse man mit Behörden gut und unkompliziert verkehren können, ohne gezwungen zu werden, das Internet zu benutzen. „Das ist keine Kleinigkeit, über die man sich lustig machen kann. Ich halte es für demokratiegefährdend, wenn ich nicht die Wahlfreiheit habe.“
Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2023 in der Europäischen Union rund sechs Prozent der 16- bis 74-jährigen Bevölkerung noch nie online. In Deutschland lag ihr Anteil bei fünf Prozent, was knapp 3,1 Millionen Menschen entspricht, darunter überwiegend die ältere Generation.
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