„Multipolar“ kontra Landesmedienanstalt: „Wir haben nicht gegen Sorgfaltspflichten verstoßen“

Die Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen wirft dem „Multipolar-Magazin“ Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht vor. Lesen Sie im zweiten Teil unseres Artikels, wie Mitherausgeber Paul Schreyer auf die Anschuldigungen reagiert, wie die LfM zu Zensurvorwürfen steht und wie andere Journalisten und Medienexperten die Sache beurteilen.
Die Rückkehr zum traditionellen Journalismus beginnt mit dem Selber-Denken.
Das Symbolbild zeigt eine Schreibfeder im Tintenfass. Journalisten müssen sich laut Medienstaatsvertrag an bestimmte Sorgfaltspflichten halten.Foto: artisteer/iStock
Von 30. August 2024

Die Landesanstalt für Medien (LfM) in Düsseldorf hat das regierungskritische Online-Nachrichtenportal „Multipolar-Magazin“ ins Visier genommen. Es soll sich im Zuge seiner Corona-Berichterstattung schuldig gemacht haben, in insgesamt vier Texten „Verstöße gegen die journalistische Sorgfalt“ gemäß Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags (MStV) begangen zu haben.

Die „Multipolar“-Macher hatten im März 2024 für Aufsehen gesorgt, als sie einen Großteil der Protokolle des RKI-Krisenstabs der Jahre 2020 und 2021 frei geklagt und in einer teilweise geschwärzten Fassung im März 2024 veröffentlicht hatten.

Im ersten Teil unseres Artikels ging es um die konkreten Vorwürfe, die die LfM an „Multipolar“ gerichtet hatte (PDF) – und um die Rechtsgrundlagen, auf die sich die Behörde beruft.

Epoch Times bat „Multipolar“-Mitherausgeber Paul Schreyer schriftlich um eine Reaktion zum Sachverhalt. Demnach sieht er keinerlei tragfähigen Anlass für den Angriff der Landesmedienanstalt.

Schreyer sieht keinen Verstoß gegen Sorgfaltspflicht

Seine Redaktion werde sich von der Ankündigung, möglicherweise einem förmlichen Verwaltungsverfahren ausgesetzt zu werden, jedenfalls „nicht einschüchtern lassen“, erklärte Schreyer.

„Wir haben nicht gegen Sorgfaltspflichten verstoßen“, schrieb der freie Journalist. „Alle Artikel, die bei Multipolar erscheinen, durchlaufen einen umfassenden und sehr sorgfältigen redaktionellen Prozess.“ Das sei möglich, weil sein Magazin anders als viele tagesaktuelle Medien nur maximal zwei Artikel pro Woche veröffentliche.

Schreyer widersprach der Sichtweise der LfM: „Die von der Medienanstalt angeführte Kritik an Passagen aus Multipolar-Beiträgen bewegt sich in meinen Augen eher auf dem Niveau eines kritischen Leserkommentars, dem bestimmte Sichtweisen nicht passen.“ Er sehe wegen des LfM-Vorstoßes eine „Kernfrage“ des Journalismus berührt:

Wollen wir als Gesellschaft wirklich, dass amtliche Stellen Journalisten inhaltlich beaufsichtigen? Ich denke, man kann ohne Übertreibung sagen, dass ein solcher Gedanke in krassem Gegensatz zu Artikel 5 des Grundgesetzes steht. Dort heißt es ja klar, die Pressefreiheit wird gewährleistet.“

Er stehe zwar hinter dem Grundsatz, dass Falschbehauptungen in Medien „moniert werden“ könnten – und sollten. „Aber vielleicht nicht gerade von staatlichen oder staatsnahen Stellen, sondern doch bitte von den Lesern selbst, in transparent veröffentlichten Kommentaren, oder auch von anderen Journalisten in konkurrierenden Medien“, so Schreyers Vorschlag. Dadurch ergebe sich schon jener „Wettbewerb der Meinungen“, den seiner Meinung nach „auch die Autoren des Grundgesetzes im Sinn“ gehabt hätten.

LfM NRW: Von Zensur kann nicht die Rede sein

Der LfM-Sprecher widersprach dieser Argumentation: „Die Notwendigkeit der Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflichten steht Artikel 5 des Grundgesetzes nicht entgegen“, antwortete er auf eine schriftliche Anfrage der Epoch Times. „Im Übrigen definiert sich Zensur über den Eingriff vor dem Erscheinen von Inhalten“ [Hervorhebung: Epoch Times].

Der Sprecher betonte, dass es „bei der Aufsichtspraxis“ zu den Sorgfaltspflichten gerade nicht darum gehe, „gegen bestimmte Inhalte vorzugehen oder gewisse Informationen als richtig oder falsch zu deklarieren“. Die Sorgfaltspflichten würden „allein für Tatsachenbehauptungen, also Äußerungen, die dem Beweis zugänglich sind“, gelten. „Für Meinungen gelten die journalistischen Sorgfaltspflichten generell nicht“, erklärte der Sprecher. Das gelte auch für die Presseberichterstattung.

Die LfM habe lediglich die „Überprüfung der Einhaltung des journalistischen Handwerks“ zu leisten, also gegen „verletzte Handlungspflichten bei der Recherche und Präsentation“ vorzugehen. Konkret sei zu überprüfen, „ob Quellen nicht klar angegeben wurden, ob Zitate nicht als solche gekennzeichnet sind, ob Recherchepflichten nicht erfüllt worden sind und ob dadurch die Gefahr einer verzerrten, verfälschenden Darstellung des Sachverhalts entstehen kann, die den Leser irreführt“.

Unabhängig und aus eigenem Antrieb gehandelt

Doch warum hatte die Medienbehörde ausgerechnet jetzt mehrere „Multipolar“-Artikel unter die Lupe genommen, die zum Teil schon vor mehr als zwei Jahren publiziert wurden?

„Auf Grund von angenommenen Verstößen in aktuellen Beiträgen sind wir auch auf diese Artikel aus den Jahren 2023 und 2022 gestoßen“, erklärte der LfM-Sprecher. Die Pflicht zur Einhaltung journalistischer Grundsätze gelte generell „zeitunabhängig“. Aufmerksam geworden sei man aufgrund einer eigenen Recherche.

Spekulationen, dass eine andere Behörde oder Einzelperson Druck gemacht haben könnte, erteilte der LfM-Sprecher eine Absage: „Die staatsferne Landesanstalt für Medien NRW nimmt grundsätzlich keine Anweisungen entgegen.“

2024 bislang sieben Medienhäuser beanstandet

Im laufenden Kalenderjahr habe die Landesanstalt „bereits sechs weitere Hinweisschreiben mit Bezug auf die Einhaltung redaktioneller Sorgfaltspflichten verschickt“. Welche Medien betroffen waren, wollte der LfM-Sprecher nicht preisgeben.

LfM-intern würden sich zwei juristische Referenten der Rechtsabteilung um Verfahren kümmern, die die journalistische Sorgfaltspflicht beträfen. Entscheidungen müssten „im Einzelfall getroffen und verfassungskonform ausgelegt werden“.

Orientierungsmaßstäbe und Leitlinien für diese Auslegung stellen die Rechtsprechung der Zivil- und Strafgerichte sowie des Bundesverfassungsgerichts im Presse- und Äußerungsrecht dar. Zudem bildet auch der Pressekodex des Deutschen Presserates sowie dessen Spruchpraxis eine Grundlage für die Auslegung der ‚anerkannten journalistischen Grundsätze‘.“

Bei Verstößen gegen die gesetzlichen Bestimmungen würden allerdings nicht allein die Mitarbeiter der LfM NRW entscheiden, „sondern die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK)“.

Journalisten und Fachleute kontra LfM

Tobias Riegel von den „Nachdenkseiten“ beklagte angesichts der LfM-Attacke gegen „Multipolar“ hauptsächlich das Problem von „Doppelstandards“:

Würde eine solche inhaltliche Strenge und eine so fragwürdige inhaltliche Eindeutigkeit an zahllose Beiträge in großen Medien unter anderem zu den Themen Corona-Politik, Vorgeschichte des Ukrainekriegs oder neoliberale Wirtschaftsordnung angelegt – die jeweils verantwortlichen Gremien kämen aus den Beanstandungen gar nicht mehr heraus.“

Der Medien- und Telekommunikationsrechtler Prof. Volker Boehme-Neßler kritisierte die LfM auf seinem X-Kanal ebenfalls: „Landesmedienanstalten haben eine wichtige Aufgabe: Sie sollen die Meinungsfreiheit schützen. Hier passiert das Gegenteil: Eine Landesmedienanstalt greift die Meinungsfreiheit an.“

Prof. Mayen: „Zensurbehörden über die Hintertür“

Auch der Münchner Medienexperte Prof. Michael Mayen hatte seiner Fassungslosigkeit über das Gebaren der LfM im Kommentarbereich unter dem „Multipolar“-Artikel Ausdruck verliehen. Er sieht in jenem Paragrafen 19 des Medienstaatsvertrags (MStV) den Hebel, mit dem die Politik „über die Hintertür“ aus den Landesmedienanstalten „Zensurbehörden“ mache. Ferner sei es ihm ein Rätsel, „wie man bei Interviews, Interpretationen und Meinungsbeiträgen […] irgendwelche journalistischen Standards verletzen“ könne, meinte der Hochschullehrer:

Journalismus hat Öffentlichkeit herzustellen. Heißt: alle Themen und alle Perspektiven. Wenn ein Forscher oder ein Feuerwehrmann ihre Sicht auf die Wirklichkeit kundtun und ich das als Journalist für relevant und gut begründet halte, dann veröffentliche ich das, Punkt. Einordnen kann das das Publikum selbst.“

Mayen äußerte zudem seinen Unmut darüber, dass die LfM überhaupt aus Mitteln des Rundfunkbeitragstopfs finanziert wird:

Wenn die Politik glaubt, dass RTL und Co. Kontrolleure brauchen, warum lassen sie dann den Beitragszahler dafür blechen und nicht Milliardäre wie die Bertelsmannbesitzer?

Buttkereit 2023: „Es geht gegen oppositionelle Medien“

„Multipolar“-Autor Helge Buttkereit hatte Anfang November 2023 bei seiner Analyse zur Arbeit der Landesmedienanstalten wie Mayen das Wort „Zensurbehörden“ verwendet und sogar von „Wahrheitsministerien“ geschrieben.

Buttkereit beschrieb das Ziel der runderneuerten Vorschriften des Medienstaatsvertrags (MStV) darin, „Fake News und Desinformation zu verhindern oder besser gesagt das, was die Medienanstalten dafür halten. Es geht gegen oppositionelle Medien“. Der Medienrechtler Dr. Wolfgang Lent („Informations- und Medienrecht“), Lehrbeauftragter an der LMU München, sei in einem Artikel vom 8. September 2020 für die „Zeitschrift für Urheber und Medienrecht“ sogar zu dem Schluss gekommen, dass der MStV insgesamt nicht mit der Pressefreiheit vereinbar sei.

Anlass für Buttkereits Analyse war seinerzeit das Verbot von fünf Artikeln des „KenFM“-Nachfolgeportals „Apolut“ durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB, PDF), die ähnlich wie jetzt die vier „Multipolar“-Texte unter die Lupe genommen worden waren. Am Ende musste „Apolut“ seine bemängelten Texte löschen. Ein „Bußgeld“ gab es zwar nicht. „Apolut“ musste allerdings pro Text 800 Euro „Bearbeitungsgebühr“ zahlen, insgesamt also 4.000 Euro.



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