Mississippis „Lesewunder“: Von Rang 49 auf Platz 21 in zehn Jahren

Mississippi wurde innerhalb eines Jahrzehnts bei der Lesekompetenz von Kindern vom Schlusslicht zum Vorreiter. Dem Südstaaten-Staat gelang dies durch eine Lehrmethode, die sich auf die Phonetik und nicht das Auswendiglernen konzentriert. Andere Staaten planen nun, Mississippis Erfolgsmodell zu übernehmen.
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2023 bestanden 85 Prozent der Drittklässler in Mississippi den nationalen Lesetest (Symbolfoto).Foto: monkeybusinessimages/iStock
Von 3. August 2024

Vor zehn Jahren lag Mississippi bei der Lesekompetenz in der Grundschule an 49. Stelle in den Vereinigten Staaten, wobei die Viertklässler im Wesentlichen eine ganze Klassenstufe hinter dem Rest der Nation lagen.

Zehn Jahre später, im Jahr 2023, bestanden 85 Prozent der Drittklässler in Mississippi den nationalen Lesetest. Das katapultierte den Magnolienstaat, wie Mississippi auch genannt wird, auf Platz 21. Dies war der schnellste Anstieg der Lesekompetenz in den USA – trotz der gleichzeitig niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben pro Schüler.

„Die Leute nannten es ein Wunder“, sagte Kristen Wells-Wynn, Leiterin der Abteilung für Alphabetisierung im Bildungsministerium von Mississippi, am 3. Juli gegenüber der Epoch Times, „aber wir nennen es einen Marathon“.

Im kommenden Schuljahr wird die Lehrerausbildung in Mississippi auf höhere Klassenstufen ausgeweitet, und andere Bundesstaaten wie Maryland beabsichtigen, das Alphabetisierungsmodell von Mississippi zu übernehmen.

Der Wandel in Mississippi kam dadurch zustande, dass das dortige Bildungsministerium begann, von der Methode des „Balanced Literacy“ (ausgewogene Alphabetisierung) zu dem Ansatz der „Science of Reading“ (die Wissenschaft des Lesens) zu wechseln. Laut Wells-Wynn finanziert Mississippi die Initiative der Wissenschaft des Lesens mit jährlich etwa 15 Millionen US-Dollar.

Carey M. Wright, die in Mississippi diese Umstrukturierung begleitete, übernahm am 1. Juli die Leitung des Bildungsministeriums von Maryland. Ihre erste Aufgabe wird es sein, die gleiche Neuausrichtung des Leseunterrichts im sogenannten Old-Line-State zu beaufsichtigen.

Die Einwohner von Maryland haben bis zum 19. Juli Zeit, öffentlich zu dieser Änderung Stellung zu nehmen, heißt es in einer Erklärung.

„Diese Initiative zielt darauf ab, datengestützte Lesestandards und -praktiken im gesamten Bundesstaat zu verbessern, um sicherzustellen, dass alle Schüler solide Lesefähigkeiten entwickeln können“, sagte Wright in der Erklärung.

„Das Feedback von Pädagogen, Familien und Gemeindemitgliedern spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung dieser Politik, damit wir die Bedürfnisse unserer Schüler bestmöglich erfüllen können.“

Kinder steigen in einen Schulbus in Jackson, Mississippi, ein. In keinem anderen US-Bundesstaat hat sich die Lesekompetenz bei Kindern so rasant verbessert wie in Mississippi. Foto: Francois Picard/AFP/AFP via Getty Images

Das Gehirn verstehen

Die sogenannte Wissenschaft des Lesens ist seit 50 Jahren Gegenstand ständiger Forschung, und jedes Jahr werden Dutzende akademische und wissenschaftliche Forschungsartikel zu diesem Thema veröffentlicht. Denn technologische und medizinische Durchbrüche ermöglichen es, immer besser zu verstehen, wie das menschliche Gehirn Informationen verarbeitet.

Wells-Wynn erklärte, dass der Hauptunterschied zwischen den beiden Ansätzen darin besteht, welche Teile des Gehirns angesprochen werden.

Bei der ausgewogenen Alphabetisierung wird den Schülern beigebracht, „Hinweise“ für Wörter zu finden. Dies geschieht oft durch das Betrachten von Bildern in Kombination mit den Wörtern. Durch Wiederholung entwickeln sich die Schüler vom Raten der Wörter anhand dieser Hinweise zum Auswendiglernen. Das Lesen in der Gruppe und Schreibaktivitäten in Verbindung mit dem Leseunterricht gehören ebenfalls zu den üblichen Unterrichtstechniken dieses Ansatzes.

Im Gegensatz dazu konzentriert sich die Wissenschaft des Lesens auf die Phonetik. Dabei lernen die Schüler, wie Wörter aussehen und klingen. Gleichzeitig wird ihr Wortschatz erweitert, mit dem sie dann die Bedeutung von Absätzen und Textstellen erfassen können.

Beim Auswendiglernen, so Wells-Wynn, wird vor allem die rechte Gehirnhälfte beansprucht. Diese spiele eine wichtige Rolle beim Visualisierungsprozess, sei aber für ein tieferes Verständnis weniger geeignet. Die linke Gehirnhälfte hingegen ist eher in der Lage, Konzepte in einen Prozess umzuwandeln, um beispielsweise Wörter zu entschlüsseln.

„So wird es automatisch, im Gegensatz zum Auswendiglernen“, sagte sie. „In der linken Gehirnhälfte werden die richtigen neuronalen Schaltkreise aufgebaut.

Die Georgetown University in Washington, D.C. bezeichnete Mississippi als landesweit bestes Beispiel für einen hohen „Return on Investment“, was sich auf die staatliche Unterstützung für öffentliche Schulen während der Corona-Pandemie bezieht.

Im Jahr 2023 lagen die Ausgaben pro Schüler in Mississippi bei 11.700 US-Dollar (einschließlich 2.000 US-Dollar aus Bundesmitteln), während die Lesekompetenz weiter zunahm. Im Vergleich dazu beliefen sich die Pro-Kopf-Ausgaben in Connecticut auf 24.000 US-Dollar (davon 1.200 US-Dollar aus Bundesmitteln), während die durchschnittliche Lesekompetenz der Viertklässler seit 2013 um mehr als fünf Punkte gesunken ist.

Im Rahmen der sogenannten ausgewogenen Alphabetisierung wird den Schülern beigebracht, „Hinweise“ für Wörter zu entwickeln, während der Ansatz der Wissenschaft des lesebasierten Unterrichts den Schwerpunkt auf die Verwendung der Phonetik legt. Foto: Michael Loccisano/Getty Images

Ansätze in anderen US-Staaten

Wenn Maryland den „Science of Reading“-Ansatz einführt, schließt es sich 21 anderen US-Bundesstaaten an, die diesen Ansatz sowohl vorschreiben als auch finanzieren. Die meisten US-Bundesstaaten, die den Lehrplan nicht vorschreiben, finanzieren ihn zumindest, darunter auch Kalifornien.

Der Bericht des National Council on Teacher Quality (Nationaler Rat für Lehrerqualität) für das Jahr 2024 zeigt, dass nur sechs Staaten – Maine, Montana, Washington, Nebraska, South Dakota und Illinois – die Methode weder vorschreiben noch finanzieren.

Nach Angaben von The Reading League, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Syracuse, New York, die sich für den Ansatz der Wissenschaft des Lesens im Unterricht einsetzt, können 60 Prozent der Viertklässler in den USA nicht richtig lesen.

Die Organisation ist in 33 Bundesstaaten vertreten. Die Mitglieder unterstützen die berufliche Weiterbildung von Lehrern, arbeiten mit den lokalen Behörden bei der Entwicklung von Lehrplänen zusammen und setzen sich auf der Ebene der Bundesstaaten für umfassende Veränderungen der Leselehrpläne ein.

„Wenn die Staaten weiterhin Lehrmethoden einführen, die auf der Wissenschaft des Lesens basieren, senden sie eine klare Botschaft an alle Lehrer, Eltern und Schüler, dass der Staat sich für hervorragende Lesefähigkeiten für alle Kinder einsetzt“, sagte Maria Murray, Gründerin und Geschäftsführerin von The Reading League, in einer E-Mail an die Epoch Times.

In Kalifornien scheiterten die Gesetzgeber in diesem Jahr mit dem Versuch, ein Gesetz zu verabschieden, das einen auf der Wissenschaft des Lesens basierenden Lehrplan für alle Schulen vorgeschrieben hätte. Die Bezirke können dies jedoch auf lokaler Ebene vorschreiben.

Eine der Organisationen, die sich gegen den kalifornischen Gesetzentwurf aussprachen, war die Initiative Californians Together.

In einem Brief an die Abgeordneten erklärte sie, dass der neue Lehrplan „nicht das volle Spektrum eines umfassenden, forschungsbasierten Ansatzes abdeckt, der die Entwicklungsbedürfnisse kulturell und sprachlich unterschiedlicher Schüler berücksichtigt“.

Bibliothekare im ganzen Bundesstaat Mississippi erleben, mit wie viel Freude Grundschüler lesen. Foto: Michael Loccisano/Getty Images

Gut besuchte Bibliotheken

In Mississippi stellen Bibliothekare fest, mit welcher Freude Grundschüler heute lesen.

Natasha Catchings vom Copiah-Jefferson-Bibliotheksverband in Crystal Springs sagte, dass Eltern zwar nicht mit der Wissenschaft des lesebasierten Unterrichts vertraut sind, aber wissen, wie effektiv Phonetik eingesetzt werden kann.

Viele Eltern, die sich Sorgen über den staatlichen Lesetest für ihre Drittklässler machen, haben nach Materialien für den Phonetikunterricht gefragt. Catchings sagte, sie verleiht auch das Lehrmaterial über die Lautbildung von Wörtern, das sie selbst für den Unterricht ihrer fünf Kinder zu Hause verwendet hat.

„Immer mehr Eltern und Erziehungsberechtigte kommen zurück, um Bücher für ihre Kinder abzuholen, und sie nutzen auch die kostenlosen Bücher“, sagte sie. „Ja, es wird wirklich viel gelesen.“

Deborah White von der öffentlichen Bibliothek in Hattiesburg stellte fest, dass es seit der Wiedereröffnung der Bibliothek nach der kurzen Schließung während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 nie einen Einbruch bei den Leseaktivitäten gegeben habe.

Laut White nehmen etwa 300 Kinder am Sommerleseprogramm der Bibliothek teil. Bibliotheksmitarbeiter und freiwillige Helfer stellen während der Märchenstunde oder beim Vorlesen oft Fragen, um sicherzustellen, dass die Kinder verstehen, was in den Büchern steht. Wenn die Vorlesestunden vorbei sind, stürmen die Kinder zu den Bücherkisten, um sich etwas zum Lesen für zu Hause auszusuchen.

„Sie haben die freie Wahl. In gewisser Weise ist es wie ihre eigene Bibliothek“, sagt White. „Mein Rat an alle Eltern und Lehrer: Lasst die Kinder lesen, was sie interessiert, dann bleiben sie dabei.“

Beliebter Lesestoff

Tori Hopper von der öffentlichen Bibliothek Columbus-Lowndes Public Library berichtet über die Beliebtheit von „Decodable Books“ für Leseanfänger. Diese zwölf Hefte enthalten kleine Portionen von Kombinationen aus Konsonanten und Vokalen, um Silben zu wiederholen. Auch die „Vox“-Bücher, in denen die Wörter sowohl gelesen als auch gehört werden können, erfreuen sich in letzter Zeit wachsender Beliebtheit. Beide beruhen auf dem Ansatz der Wissenschaft des Lesens.

Hopper berichtet, dass den jungen Lesern auch beigebracht wird, wie man eine Seite in einem Buch umblättert, ohne das Papier zu zerreißen. Viele Kinder haben wahrscheinlich viel Zeit mit elektronischen Geräten oder elektronischem Spielzeug verbracht, bevor sie ihr erstes Buch aufschlagen.

Auch die deutlich gestiegene Beteiligung am „Lesekumpel“-Programm der Bibliothek, bei dem junge Schüler mit ehrenamtlichen Helfern aus der Sekundarstufe zusammengebracht werden, zeige, dass sich der Leseunterricht und die Begeisterung für das Lesen in den vergangenen Jahren verbessert hätten, so Hopper.

Ihr Ansatz ist es, für alles zu werben, was Bibliotheken zu bieten haben. Kinder können zum Beispiel zu Veranstaltungen und Spielen kommen und dann in den Büchern stöbern.

Da so viele Schüler in Mississippi zu Hause unterrichtet werden, sollten Bibliotheken nicht eine Leseunterrichtsmethode über eine andere stellen, sondern immer ein breites Spektrum an Materialien anbieten, einschließlich Hörbüchern und Graphic Novels.

„Viele Eltern zögern, weil sie denken, dass es sich dabei nicht um richtiges Lesen handelt“, sagte Hopper in Bezug auf Graphic Novels. „Aber das Vokabular ist vielfältiger, weil weniger Platz zur Verfügung steht, um die Informationen zu vermitteln. Ja, es gibt mehr Bilder, aber es gibt auch ein vielfältigeres Vokabular.

Unsere Arbeit besteht darin, den Kindern zu vermitteln, dass Lesen sie ihr ganzes Leben lang begleiten wird.“

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „The Mississippi Child Literacy Miracle“. (deutsche Bearbeitung ee)  



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