Zwei Freunde vor meinem Haus

Inzwischen reichen meine beiden Baumfreunde gut sechs Meter bis zu meinem Schlafzimmerfenster im zweiten Stock des Hauses. Wunderschön und stolz ragen sie in den Himmel.
Titelbild
Gerade, wenn ich diese Geschichte über meine beiden Ahorn-Freunde vor dem Haus hier nun schreibe, tragen sie ein lichtes sonnengelbes Laubkleid.Foto: iStock
Von 31. Oktober 2019

Es ist nun schon über zwanzig Jahre her, als ich dieses kleine Haus, in dem ich und mein kleiner Mops Vitus heute noch leben, zusammen mit meiner damaligen Frau Birgit vor den Toren des Schwarzwaldes gekauft habe.

Eigentlich war der Kauf damals ein recht leichtsinniges Unterfangen, so vollkommen ohne eigenes Geld, nichts Erspartes und absolut keine weiteren Sicherheiten für die Bank. Und doch, das hiesige Geldinstitut und mein Schwiegervater als damaliger recht angesehener Kunde, machten es möglich.

Mein Schwiegervater übernahm eine Bürgschaft und die Bank gab schließlich das Geld für dieses, unser absolutes Traumhäuschen. Ein kleines bereits 1906 gebautes Bauernhäuschen sollte es sein. Ich war schon bei der Besichtigung Monate vor dem endgültigen Kauf vollkommen hingerissen von dem natürlichen gemütlich altbäuerlichen Charme, den es auf mich ausstrahlte.

Kleine Fenster, kleine Räume, niedrige Decken und natürliche hellbraune Holzbalken in den Zimmern, ließen das karge Leben vor gut hundert Jahren sehr gut erahnen und nachempfinden. Besonders angetan aber war ich von dem großen offenen Kamin mit den schweren schmiedeeisernen Türen, der sich inmitten des kleinen, kaum 40 Quadratmeter messenden Wohnzimmers, befindet.

Denn er versprach, gerade an den ungemütlich kalten Herbsttagen und natürlich auch im Winter, eine zusätzliche wohlig-warme Gemütlichkeit im ganzen Haus.

Das sicherlich nicht so leichte und einfache Leben der Menschen, die ganz früher, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in diesem Bauernhaus lebten, war wohl zu spüren, jedoch nicht im negativen Sinn, wie man vielleicht meinen könnte, sondern ganz im Gegenteil.

Ich behaupte sogar spüren zu können, dass dieser steinerne Zeitzeuge nie etwas absolut Negativem ausgesetzt war. Zeitlebens gab das Haus meiner Frau, mir und zahlreichen menschlichen und tierischen Gästen, die in den letzten Jahren hier so ein und aus gingen, eine wohlbehütende Heimat. Jeder kann beim Eintritt sofort spüren, in diesem Haus wohnt eine gute Seele!

Ahornnasen                         Foto: iStock

Nach der Scheidung von meiner Frau Birgit und der Trennung von einer weiteren Beziehung vor jetzt gut sieben Jahren, lebe ich zusammen mit meinem lieben Mops-Hund Vitus immer noch in dem 90-Quadratmeter-Bauernhäuschen. Es erscheint mir jetzt umso mehr als Schutz- und Trutzburg vor der geradezu irrsinnigen und wildgewordenen Welt da draußen.

Und dann gibt es da ja, neben meinem Mops Vitus, noch zwei nichtmenschliche Freunde in meinem Leben. Sie stehen ständig und unentwegt, egal bei welchem Wetter, ob bei Sonne, bei Wind, Schneekälte oder Regen, vor meinem Haus. Vor allem habe ich sie nicht gerufen. Sie kamen ganz von selbst. Sie stellten sich doch tatsächlich nur kurz nach meiner letzten Trennung von einem geliebten Menschen, wie selbstverständlich, vor mein Häuschen.

Die Beiden pflanzten sich an den unmittelbar am Haus vorbeiführenden Asphaltweg, direkt unter das Wohnzimmerfenster, aus dem ich hinausschaue, wenn ich an meinem Wohnzimmertisch sitze und esse, am Laptop arbeite, schreibe oder was auch immer ich sonst noch tue. Gleich zwei Feld-Ahornbäume bieten meinem Haus und somit auch mir nun Schutz.

In den ersten Jahren konnte ich die Bäumchen natürlich von meinem Platz am Wohnzimmertisch aus nicht direkt sehen, da sie noch so kleinwüchsig unter den Fenstern standen. Doch, von Jahr zu Jahr wuchsen sie geradlinig und stolz in die Höhe und natürlich auch in die Breite. Irgendwie gaben mir diese Ahornbäume regelrecht das Gefühl, dass sie es sogar recht eilig hatten, bald groß und prächtig zu werden.

Höchstwahrscheinlich unterliege ich da aber einer rein subjektiven Einschätzung. Denn ich denke nicht, dass es möglich ist, dass Bäume gewillt in unterschiedlichen Geschwindigkeiten wachsen, um einem Menschen, den sie sich scheinbar ausgesucht haben, den baldmöglichsten Schutz geben zu können – oder vielleicht doch? Wer weiß?

Lange Zeit war es für mich ein echtes Rätsel, warum sich diese Beiden gerade zu meinem Haus, und damit also zu mir selbst, gesellt hatten, bis ich durch Zufall, oder nein, Zufälle gibt es ja nicht, also bis das Schicksal oder mein Lebensplan nun wollten, dass mir im Internet eine Seite über Pflanzen unterkam, die sich unter anderem mit deren unterschiedlichen spirituellen Bedeutungen beschäftigt.

Natürlich schaute ich sogleich nach der entsprechenden Bedeutung von Ahorn-Bäumen und siehe da, was konnte ich da unter anderem lesen:

…“Ahornbäume haben einen sehr lichten und heiteren Charakter, vor allem im Herbst. Sie gelten traditionell als Schutz versprechende Haus-Bäume, die Loslass-Prozesse begünstigen und zur Klärung der Gedanken beitragen. Auf Personen, die leicht erschrecken oder zwischen Extremen hin- und herpendeln, können sie besänftigend wirken. Außerdem fördern sie die Intuition, die Selbstfindung und den kommunikativen Ausdruck. Sie können Kraft-Bäume sein für Menschen, die zu wenig mit ihrem höheren Wesen verbunden sind. Zu ihren Stärken zählen weiters die Freiheitsliebe, der Idealismus, der Ehrgeiz, die Vielseitigkeit, die Willensstärke, das Selbstbewusstsein und die harmonische Vereinigung von Gegensätzen. Sie lieben Herausforderungen und scheuen keine Schwierigkeiten. Und all diese positiven Eigenschaften können sie uns vermitteln, wenn wir ihre Nähe suchen und uns auf ihre Schwingungen einlassen.“…

(Quelle: HIER)

Und was sagst Du nun dazu? Wenn Du Dich noch an meine früheren Erzählungen erinnerst, dann kannst auch Du nur zu dem Schluss kommen: Es passt zu mir wie die Faust auf´s Auge!

Inzwischen reichen meine beiden Baumfreunde gut sechs Meter bis zu meinem Schlafzimmerfenster im zweiten Stock des Hauses. Wunderschön und stolz ragen sie in den Himmel. Und im Sommer, wenn die beiden ihr sommergrünes Blattkleid tragen, geben sie einen wunderbaren Sichtschutz von der Straße aus, vor allzu neugierigen Blicken. Dann scheint sich das kleine Bauernhaus regelrecht hinter diesen Ahorn-Bäumen mit ihren weit ausladenden Zweigen zu ducken.

Gerne geben sich die Beiden auch als Gastgeber aller Arten von Tieren. Vor allem zahlreiche Vögel nehmen diese Einladung zum Verweilen sehr gerne an. Das gibt mir hin und wieder die schöne Gelegenheit allerlei Vogelpärchen, mal Amseln, ein anderes Mal kleine Spatzen oder Kohlmeisen, in den grünblättrigen Armen meiner Ahorn-Freunde in ihrem fröhlichen Treiben zu beobachten und dem unterschiedlichen Gesang zuzuhören. Gerade im Sommer, bei warmen und schönem Wetter am geöffneten Fenster, wenn ich ganz still und regungslos am Tisch sitze, darf ich solches dann ganz nah vor mir als ein wunderbares Naturereignis erleben. Die Vögel kommen dann so nah, dass ich beinahe versucht wäre meine Hände nach ihnen auszustrecken, um sie sacht zu berühren.

So manches Mal, wenn ich von meinem Platz am Tisch aus zu meinen beiden Baumfreunden hinausschaue, sehe ich sogar allerlei kleine Gesichter in ihrem Geäst. Es handelt sich dabei um so unterschiedliche Gesichter, wie man sie sich gar nicht ausdenken kann. Die einen haben große hakenartige Nasen und kleine Augen, sie tragen zerknitterte Hüte oder haben Mützen oder scheinbar wirres Haar auf ihren Köpfen. Sie scheinen mit ihren frechen Augen grinsend direkt in mein Wohnzimmer zu schauen.

Die anderen wiederum tragen eine große knollige Nase im Gesicht und schauen ernst, manchmal sogar fast grimmig drein. Wenn ein wenig der Wind weht, wiegen sie sich leicht schaukelnd im grünen Laub oder scheinen ihre Häupter in meine Richtung ins Zimmer zu neigen. Manchmal verändern sie dabei sogar ihre knorrigen Gesichter oder sie verschwinden so plötzlich wieder, wie sie aufgetaucht sind. Und jeden Tag kommen andere zu Besuch. In Ermangelung eines anderen passenden Begriffs nenne ich sie einfach „Baumwesen“ oder auch „Baumgeister“.

Diese geheimnisvollen Wesen scheinen in meinen beiden Ahorn-Bäumen ständig zu leben, wobei sie sich für mich wohl nur im Sommer, wenn die Bäume ihr dunkelgrünes Kleid tragen, zu erkennen geben wollen. Darüber hinaus, in den anderen Jahreszeiten, sind sie jedenfalls für mich nicht sichtbar. Sie sind Natur- oder Schutzwesen der Bäume und ihrer Seelen. Sie beschützen sie und wehren eventuelles Unheil ab, damit diese ihren Auftrag gegenüber den Menschen erfüllen können.

Gerade, wenn ich diese Geschichte über meine beiden Ahorn-Freunde vor dem Haus hier nun schreibe, tragen sie ein lichtes sonnengelbes Laubkleid mit grünen und braunen Tupfen. Es ist inzwischen Herbst geworden. Und oft werden sie jetzt durch stürmischen Wind und Regenwetter hin und her gepeitscht. Doch das macht ihnen nichts aus, stehen sie doch weiter stolz und unverdrossen mit weit ausgebreiteten Armen schützend vor meinem Haus. Enden möchte ich mit einem Zitat von Hermann Hesse, was, wie ich meine, sehr gut zu meiner Geschichte passt:

„Bäume sind Heiligtümer,
wer mit ihnen zu
sprechen vermag und
ihnen zuzuhören weiß,
der erfährt die Wahrheit.
Sie predigen nicht
Lehren und Rezepte, sie
predigen das Urgesetz
des Lebens.“

Ach ja, noch etwas zum Schluss. Auch Du kannst diese geheimnisvollen Wesen in den Bäumen entdecken, wenn Du nur ganz ruhig und gespannt, ohne irgendwelcher Ablenkung von außen, in einen Laubbaum hineinblickst. Und genau auf dem Höhepunkt der Stille deiner Konzentration erkennst Du sie plötzlich, Du kannst sie sehen, die lustigen und knorrigen Gesichter dieser seltsamen Baumwesen. Versuche es doch einfach einmal bei einer deiner nächsten Begegnung mit einem Baum oder im Wald!

Der Autor Jörg Schmidt lebt in Südwestdeutschland. Mail: [email protected]

 

 



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