Ruhrfestspiele eröffnen in Recklinghausen
Die Eröffnung des künstlerischen Programms am Sonntagabend hätte französischer kaum sein können. „Moi“ stand auf dem Programm: „Ich Ich Ich“ von Eugène Labiche (1815-1888).
Das Leichte ist so schwer zu machen – diese alte Erkenntnis gilt auch für die französischen Komödien des 19. Jahrhunderts. Sie stecken voller Attacken auf die Verlogenheit vor allem der höchst ehrenwerten Bourgeoisie des 2. Kaiserreichs. Diese Gesellschaftskritik wird verpackt in raffinierte Verwechslungen und Anschläge auf das Vermögen und die Moral der Mitmenschen.
Monsieur Dutrécy und Monsieur de la Porcheraie werden nicht müde, sich ihre Freundschaft zu beteuern, aber Profit geht vor Freundschaft. Beide wollen ein Grundstück erwerben, von dessen Weiterverkauf sie sich einen satten Gewinn erhoffen. Martin Kušej arbeitet in seiner Neuinszenierung mit Lust am Detail all jene komischen Verwicklungen heraus, die durch Fallen und Verwechslungen, Gier und Betrug entstehen. Er vergisst dabei nicht, die höchst ernsthafte Botschaft der mit der Präzision eines Uhrwerks ablaufenden Klippklappkomödie zu betonen: Konkurrenz zerstört! Keine taufrische Erkenntnis – aber sie muss wohl wiederholt werden.
Die Premiere kam erst nach der Pause richtig in Schwung, obwohl der Text von Anfang an voller Esprit steckt und Martin Kušej viel Situationskomik für seine Inszenierung erfand. Die Pointen zündeten zu selten, erst am Ende lachte das Publikum wirklich. Der lebhafte Schlussbeifall im Großen Festspielhaus steigerte sich mitunter zu rhythmischem Applaus.
Die Ruhrfestspiele sind das einzige deutsche Festival, das als einen seiner Träger den Deutschen Gewerkschaftsbund aufweist. Das hat seinen Grund in der Geschichte: Der Nachkriegswinter 1946 war bitterkalt, in Hamburg entschlossen sich Künstler nach Recklinghausen zu fahren, um Bergleute für ihre Theater um Kohle zu bitten. Die „organisierten“ ein paar Tonnen an den Besatzern vorbei. Im nächsten Frühling kamen die Künstler wieder, diesmal, um sich mit ihren Darbietungen bei den Kumpels und ihren Familien zu bedanken. Das war die Geburtsstunde der Ruhrfestspiele.
Noch heute steht das Festival in der Tradition der europäischen Arbeiterbewegung, es ist mit dem Festival d’Avignon, das ebenfalls diese Wurzeln des Volkstheaters pflegt, verschwistert. In diesem Jahr ist „Orlando oder Die Ungeduld“ von Olivier Py, dem Chef des Festival d’Avignon, bei den Ruhrfestspielen zu Gast. Es ist nur eine von einer Menge sehenswerter Produktionen; vor allem eine Vielzahl von Uraufführungen bildet einen reizvollen Schwerpunkt.
(dpa)
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