Mit Tragödien kennen die Griechen sich aus
Mit Drama kennen sich die Griechen aus. Stücke antiker Dichter wie „König Ödipus“ von Sophokles faszinieren die Menschen noch immer. Im alten Griechenland diente das Theater der Unterhaltung des Volks. Für die Griechen und die Europartner ist das Schulden-Drama in diesen Tagen so ernst wie nie.
Banken und Börse wurden geschlossen, die Hellenen sind faktisch zahlungsunfähig. Tsipras will sein Volk am Sonntag über die Reformpläne der Gläubiger abstimmen lassen. Es geht um den Euro, Kredite, den möglichen „Grexit“ und die Zukunft Europas.
Wie im antiken Drama geht es aber auch um Schuld und Schulden, um Macht, flammende Appelle und gebrochene Versprechen. „Das hat natürlich die Elemente einer Tragödie“, erklärt Rolf Bolwin, Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins. Die großen Stücke aus der Antike seien gekennzeichnet durch Hybris – den Hochmut, die Selbstüberschätzung der Protagonisten – und die Unausweichlichkeit ihrer Situation. Bolwin sieht Parallelen: Unabhängig vom Ausgang des Referendums steckten die Griechen in der Krise, findet er. „Und das Verhalten ihres Finanzministers hat schon etwas von Anmaßung und Hochmut.“
Im antiken Drama ging es um ausweglose Verstrickungen, um Schuld, Sühne und Schicksal – und stets um aktuelle Politik. „Das gesamte Griechentheater war immer politisch“, sagt Archäologe Ulrich Sinn aus Würzburg. Er ist überzeugt: „Eine Krise wie Griechenland sie jetzt durchlebt, wäre ganz klar ein Thema, das im 5. Jahrhundert vor Christus als Theaterstück hätte aufbereitet werden können.“
Klar, in zweieinhalb Jahrtausenden hat sich einiges getan. Im antiken Drama durften nur Männer auf der Bühne stehen. Mit Angela Merkel spielt heute eine Frau eine der Hauptrollen im Griechenland-Drama. Aber: „Probleme der politischen Gemeinschaft, Korruption, Politikverdrossenheit – das ist vor 2500 Jahren gedacht worden, und wir sind keinen Schritt weiter“, sagt Sinn.
Der Antike-Experte hat an diversen Theaterstücken mitgewirkt und selbst jahrelang in Griechenland gelebt. Verfolgt er derzeit die Nachrichten, muss er vor allem an die Komödien des Dichters Aristophanes denken, besonders an sein Stück „Die Vögel“ von 414 vor Christus. Der Inhalt: Zwei Bürger wollen der Korruption und Gewinnsucht in Athen entfliehen und einen neuen Staat zwischen der Erde und dem Olymp gründen, das Wolkenkuckucksheim. Das Volk folgt ihnen in die Himmel, Menschen verwandeln sich in Vögel und alle sind zunächst glücklich.
„Die ganze Komödie endet dann mit der Erkenntnis, dass diese beiden Leute, die dieses korruptionsfreie Reich gegründet haben, die Vögel ins Elend führen“, sagt Sinn. Er spricht von „Vogelfängern“ und zieht Parallelen zu Tsipras und Finanzminister Yanis Varoufakis. „Dass man wirklich glaubt, den Griechen einreden zu können: „Wir sind die Guten und die die Bösen, wir müssen das durchstehen und leben dann völlig freibestimmt in einer neuen Welt“ – das ist wirklich ein Wolkenkuckucksheim!“
Doch wie endet das aktuelle Drama um Athen? Geht es nach dem Aufbau der antiken Tragödie, steht am Ende unweigerlich die Katastrophe – modern: der gefürchtete „Grexit“. „Das würde dann enden mit einem Chor, der ein Klagelied singt“, erklärt Sinn. EU-Ratspräsident Donald Tusk zeigte sich zumindest vor der Ankündigung des Referendums noch optimistisch: „Mein Gefühl ist, dass diese griechische Geschichte im Gegensatz zu den Tragödien des Sophokles ein Happy End findet.“
Wie dieser dramatische Akt auch zu Ende geht, die Griechenland-Krise könnte Theatermachern eines Tages spannenden Stoff bieten, findet jedenfalls Bolwin: „Ich würde mich nicht wundern, wenn in zehn Jahren mal ein fähiger Autor mal ein Drama darüber schreibt.“
(dpa)
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