Lebenskünstler: „Ich wusste nicht, dass man einfach angestellt sein kann“
Michael Marcovici war in seinem Leben schon vieles. Künstler, Magazin-Verleger, Fondsmanager, Europas größter eBay-Händler. Er handelte mit Internet-Domains, schürfte Kryptowährungen mit der Energie aus Wasserkraft und ließ Ratten mit Devisen handeln. 2003 stieg er mit seinem Unternehmen zum Powerseller auf. 2006 schlitterte er in den Konkurs und ging über Nacht Pleite.
In seinem aktuellen Unternehmen verkauft er Maschinen: schicke Gefriertrockner. „Serial Entrepreneur“ nennt man Personen, die in ihrem Leben mehrere Unternehmen nacheinander gründen. Kaum haben sie einen Betrieb auf die Beine gestellt, schon klingelt die nächste Geschäftsidee an, die umgesetzt werden möchte.
Ideen am laufenden Band
Typisch für Serienunternehmer wie dem 54-jährigen Wiener sind neben Mut, Optimismus und Risikobereitschaft ein nahezu unerschöpflicher Ideenreichtum und ein gutes Gespür für Trends. Sie entwickeln laufend neuen Ideen, denken dabei unkonventionell und haben oft verblüffende Lösungsvorschläge parat.
Am meisten begeistere ihn die Umsetzbarkeit einer Idee, „einer Geschichte, die man erzählen möchte, in Form einer unternehmerischen Tätigkeit und eines Produktes oder einer Dienstleistung. Mich reizt es zu analysieren, welcher Weg dorthin führt, ob sich die Idee wirklich umsetzen lässt und mit welchen Mitteln“, sagt Marcovici.
Seine Fähigkeiten und Neigungen bringen auch gewisse Risiken mit sich. So würden seine aktuellen Geschäftspartner schon fürchten und „unbedingt verhindern“ wollen, dass er neue Ideen entwickle. Aus diesem Grund suche er sich nun bewusst Projekte aus, innerhalb derer er genügend Spielraum für neue Projekte habe, gibt Marcovici zu.
Wann ein Projekt für ihn abgeschlossen ist, ergibt sich für den Unternehmer so: „In der Regel waren es bisher entweder der Verkauf, die Insolvenz oder das Ende des Unternehmens.“
Der Wiener mit jüdischen Wurzeln bezeichnet sich selbst als „First Gear Guy“. Eine Struktur mit über 40 Leuten aufzubauen, sei für ihn nicht das Richtige. „Ich würde mich überall zu sehr einmischen, wahrscheinlich bin ich zu patriarchisch veranlagt. Dann muss ich es abgeben und verkaufen. Das ist der Moment, wo ich raus bin.“
Früh übt sich
Marcovicis Karrierelaufbahn beginnt als Jugendlicher: Mit vierzehn investiert er das Geld, das er zu seiner Bar Mitzwa [Feier zur Religionsmündigkeit im Judentum] geschenkt bekommt, an der Börse. „Man konnte das Geld anonym auf ein Wertpapierdepot einzahlen und zusätzlich anonym Kredit aufnehmen, um noch einen Hebeleffekt zu erzielen. Es war relativ viel Geld, das ich verwaltet habe und auch ganz gut.“
Als andere Leute sich dafür interessieren, wie der Jungspund sein Geld verwaltet, gründet er mit 17 Jahren den ersten österreichischen Börsenbrief mit Kaufempfehlungen für Wertpapiere. Vor Gericht muss er sich von seinen Eltern für volljährig erklären lassen, um Geschäftsführer seiner Firma zu sein.
Drei Jahre später verkauft er das erfolgreiche Produkt, das bis heute noch existiert, an einen deutschen Investor. „Auslöser war der Irakkrieg, der damals begonnen hat. Ich hatte die Lust verloren, weil wir im Zuge des Krieges und der damaligen Finanzkrise so viele Kündigungen bekommen haben.“
Sein innerer Antrieb, Unternehmen zu gründen, sei familiäre Veranlagung. Die Eltern sind Geschäftsleute. Er lernt schon früh, Risiken einzugehen und Chancen zu nutzen. „Bis ich sechzehn Jahre alt war, habe ich nicht gewusst, dass man einfach angestellt sein kann“, verrät der schlaksige Wiener.
Nicht nur im unternehmerischen Bereich versuche er sich selbst zu organisieren. „Organisierte Reisen sind zum Beispiel gar nichts für mich. Ich verlasse mich auch nicht auf die Beratungen von Ämtern, Regierungen oder anderen Institutionen, sondern überprüfe das und versuche meinen eigenen Weg zu finden. Mich würde niemand als Angestellter haben wollen. Das wäre nur mühsam für alle Beteiligten“, gibt er zu.
„Der härteste Tag meines Lebens“
Von 2003 bis 2006 steigt Marcovici mit seiner Firma Qentis zum größten Ebay Händler Europas auf. Innerhalb kürzester Zeit wächst das Unternehmen auf 80 bis 100 Mitarbeiter. Der Jahresumsatz beträgt 30 Millionen Euro. Täglich wurden 2.000 Produkte verkauft: vom Motorrad bis zum Gabelstapler, von Zahnarztstuhl bis zur Waschmaschine. Produzieren lassen sie vorwiegend in China. Nach über 500.000 verkauften Produkten kommt der große Konkurs. Marcovici steht vor 2 Millionen Euro Schulden.
„Die Firma war relativ jung. Da ist es nicht so, dass man Reserven aufbaut, sondern man steckt das Geld, das man verdient, wieder in das Unternehmen hinein und expandiert. Aus heutiger Sicht würde ich es nicht mehr so machen, aber wir haben einen enormen Expansionskurs gefahren, analog zum Wachstum von Ebay.“
Die Insolvenz kommt über Nacht. Von einem guten Gehalt von 20.000 Euro im Monat stürzt er auf null ab. „Zu Hause habe ich geschaut, was so an Bargeld herumliegt, fand noch 2.000 Euro in diversen Taschen und das war’s. Ich hatte noch ein Kind zu versorgen und eine Mietwohnung. Es war sehr mühsam.“
Am selben Tag, an dem sein Unternehmen Konkurs anmeldet, verliert er noch einen Schneidezahn, hat einen Wasserrohrbruch und wird von seiner Freundin verlassen. „Es war der härteste Tag meines Lebens. Sehr viel schlimmer konnte es nicht mehr werden.“
Stehaufmännchen
Nichtsdestotrotz – mit beruflichen Risiken und Verlusten geht Marcovici gefasst, beinahe schon locker um. „Ich habe mir einfach gedacht ‚Was soll’s, dann starte ich einfach das nächste Projekt.‘“ Das tut er auch. „Dazwischen lag aber schon eine gewisse Durststrecke“, gesteht er.
Ich habe schon zehn Unternehmen gestartet. Es wäre Wahnsinn, wenn alle zehn funktionieren. Manchmal bin ich eben gescheitert. Dafür geniere ich mich nicht.“
Um sich über Wasser zu halten, kauft er Ware vom Masseverwalter aus der riesigen Konkursmasse heraus und verkauft diese wieder auf eBay. „Drei Jahre lang habe ich nichts anderes gemacht, als diese Ware zu verkaufen. Das ging gut. Anschließend habe ich ein neues Projekt gestartet und jahrelang mit privaten Domains gehandelt. Daneben hatte ich noch ein Investment Projekt, das nicht so gut lief.“
Drei Formen von Verlusten gebe es, so Marcovici: „Mein Erspartes, das weggewesen ist. Dann die Zeit, die ich investiert und das Geld, das ich nicht entnommen habe.“
Dann gebe es noch Investoren, Banken oder Lieferanten. „Das mit den Investoren ist am schwierigsten zu verdauen, denn es sind jene Leute, denen man Versprechungen gemacht hat, die man nicht erfüllen kann. Das habe ich einmal gemacht. Wenn es irgendwie möglich ist, möchte ich jetzt lieber ohne Investoren auskommen. Es ist sehr unangenehm, auch wenn Investoren meistens sehr verständnisvoll sind und sagen: ‚Ich habe in zehn Sachen investiert, es hat nie funktioniert. Dumm gelaufen.‘“
Das trojanische Tee-Schild
Der Unternehmer Marcovici ist auch Künstler. Manchmal sogar beides in einem. So nutzt er seine Geschäftskontakte in Asien für seine Kunst: „Bei einem chinesischen Fahrradproduzenten hatte ich noch ein Guthaben von 10.000 Dollar und ich wollte mein Geld haben. Er meinte, das Geld schickt er mir nicht.“ Stattdessen bietet ihm der Produzent einen 2.000 Dollar-Warengutschein bei einem Schilder-Hersteller an. Marcovici ist erst mal sauer.
„Ich habe kein Schild gebraucht, aber überlegt, was ich daraus machen könnte“, erklärt er. Er bestellt von der Werbeschilderfabrik neun Leuchtbuchstaben für die erfundene Pseudomarke „Trebif Tee“. Kaum ist die Transportkiste mit den Buchstaben in Wien angekommen, stellt er die Reihenfolge des Logos um. Aus einer harmlosen Teemarke entsteht ein Cocktail, der es in sich hat – „Free Tibet“ hängt seitdem in rot-leuchtenden Edelstahllettern an der Wand. Made in China, wohlgemerkt.
„Ich wollte die Arbeiter der Fabrik nicht in Gefahr bringen. Wobei ich denke, dass es den Chinesen wahrscheinlich völlig egal ist. „Free Tibet“-T-Shirts kommen wohl letztlich auch aus China. Das Risiko wollte ich aber dennoch nicht eingehen.“
Mit der Aktion habe er die wirtschaftliche Abhängigkeit von China aufzeigen wollen. „Selbst wenn du gegen eine chinesische Politik bist, wirst du chinesische Ressourcen brauchen. Genauso wie die Leute, die sich jetzt auf der Straße festkleben. Die haben schon so viel CO2 in ihrem Leben verbraucht und gar keine Ahnung, wie dumm von ihnen diese Form von Protest ist.“
„Ich bin Kapitalist“
Mit der Kunst zur Realisierung seiner Ideen habe er begonnen, um zu verhindern, dass er jedes Mal ein neues Unternehmen gründen muss. „Anstatt sie in ein wirtschaftliches Produkt zu verpacken, habe ich meine Idee künstlerisch umgesetzt, um sie abhaken zu können. Das hat zum Teil schon auch funktioniert“, sagt er.
So richtete er zu Beginn der Finanzkrise 2008 in einem komplexen Experiment Laborratten so ab, dass sie auf dem Devisen- und Warenmarkt mit Aktien handeln können.
Für „Rattraders“ wurde Marcovici, der sich selbst als Kapitalist bezeichnet, als Kapitalismuskritiker gelobt. „Es war überhaupt nicht kapitalismuskritisch gedacht. Für mich war es nur Biotechnologie. Ich wollte wissen, wie Leute es fänden, wenn man die Intelligenz von Ratten verwenden würde, um mit Aktien zu handeln. Wohlwissend, dass natürlich die Ratte ein ambivalentes Tier ist.“ Er baute ein Objekt, einen Glasstahlkäfig mit Ratten. Der Kurs wurde in Musik umgewandelt, die Nager handelten entsprechend in Echtzeit.
Rund 30 Investmentfonds zeigten großes Interesse daran, „Rattraders“ für den Aktienhandel zu verwenden.
„Der Käfig war ‚sleek‘ gebaut, sah aus wie ein Designer-Teil, das in jedem schicken Büro optisch etwas hergeben würde. Natürlich war die Konnotation dann gleich: Banker – Ratte. Das hat den Leuten gefallen.“
Mit seinen Nagern schaffte es Marcovici ins „Wall Street Journal“, in die „Financial Times“, in „Russia Today“ und sogar zu „MSNBC“. Dort saß er schon im Studio, als die Moderatoren in letzter Sekunde das Interview abbliesen. „Wahrscheinlich, weil sie meine Biografie entdeckt und gesehen haben: Der Typ hat schon tausend Dinge gemacht, ist Unternehmer, Künstler, was auch immer, aber kein Investment-Guru.“
„Russia Today“ sah es entspannter: „Die fahren ein klar antikapitalistisches Programm. Vor allem dem Mann, der mich interviewt hat, war es wahrscheinlich völlig egal. Für ihn war das eine gute Gelegenheit, Leute aus der Finanzwelt mit Ratten gleichzusetzen und er hat die Gelegenheit ergriffen“, erzählt der Unternehmer.
„Bei ideologischen Strömungen bin ich skeptisch“
Als Jugendlicher war Marcovici „sehr religiös“. Mit sechzehn Jahren habe er koscher gegessen, sei mit Kippa rumgelaufen. Einige Jahre später habe er gemerkt, dass er nicht mehr wirklich an eine Religion glaube. „Es war ein Prozess, der gedauert hat. Schließlich habe ich diese Religion abgelegt.“ Ein Wendepunkt in seinem Leben.
Der Prozess ging noch weiter: „Obwohl ich aus einem wohlhabenden Haus stamme, war ich sehr sozialistisch geprägt. Meine Eltern haben beide immer die SPÖ [Sozialdemokratische Partei Österreichs] gewählt, das war ganz wichtig. Das habe ich als Nächstes abgelegt. Ich habe mich wirklich von der sozialistischen Denke komplett entfernt. Leute, die in diese Richtung wechseln, denken selten zurück. Ich wurde sehr kapitalistisch-konservativ.“
Marcovici erkannte die Notwendigkeit, seine Anschauungen, die ihn bei Entscheidungen beeinflussten, zu hinterfragen und genau zu überprüfen.
„Wann immer ich irgendwelche ideologischen Strömungen oder Ideen höre, bin ich sehr skeptisch, gleichzeitig aber auch offen. Es ist ein Prozess, der sicher noch andauert. Ich glaube auch immer wieder an Dinge und komme später drauf: ‚Halt, Moment, das ist eigentlich auch wieder ideologisch geprägt.‘ Es ist wirklich so, egal welches Beispiel man nimmt.“
Die Loslösung von einer Religion sei ein Aha-Moment für ihn gewesen. Auch Freunde von ihm hätten sich bewusst von der Religion gelöst. „Sie haben sich aber zu sehr auf dieses Loslassen der Religion konzentriert und danach nicht so sehr überlegt, was mit all den anderen Dingen ist, an die sie glauben, die man als wahr oder als gegeben annimmt, ohne sie überprüft zu haben. Wie zum Beispiel das Klima“, so Marcovici. „Das sollten sie vielleicht genauso kritisch überprüfen wie ihre Religion vorher.“
„Man könnte sagen, die Leute haben Angst davor, weil dann alles ins Wanken gerät, woran sie je geglaubt haben. Ich habe zumindest eine neue Kraft daraus erlangt: Nichts ist fix, funktioniert aber trotzdem irgendwie“, fügt er nachdenklich hinzu.
Stolz ist er auf die kleinen Dinge im Leben. „Wie sich meine Kinder entwickelt haben. Oder auf gewisse wirtschaftliche Erfolge oder auch auf die ein oder andere Kunst, die ich gemacht habe. Oder generell, dass ich es schaffe, mein Leben zu organisieren.“
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