Ärzte proben für Benefizkonzerte
Berlin (dpa) – Rote Male rund um den Mund, schwere Arme, Druckstellen unterm Kinn: Ärzte mit Malaisen wie diesen dürfte es in Berlin und Dresden Ende April einige geben.
Ein seltenes Virus steckt nicht dahinter, vielmehr bereiten dann rund 120 Mediziner bis zur Ermüdung gemeinsame Konzerte in den beiden Städten vor. Aus 20 Nationen kommen sie als „World Doctors Orchestra“ (WDO) etwa dreimal im Jahr und in wechselnden Konstellationen zusammen. Für Proben bleiben wenige Tage.
Mehr als 900 Mitglieder aus 50 Ländern zählt das WDO eigentlich. Doch für jedes Konzert bewerben sich die Laien-Musiker neu um ihren Platz. Freude an der Musik und Leidenschaft für jeden einzelnen Auftritt sind nicht der einzige Antrieb, wie der Kinderarzt Professor Karl Bergmann erzählt. Denn die Konzerterlöse gehen an medizinische Hilfsprojekte – in Berlin wird am 25. April zum Beispiel zugunsten einer Stiftung musiziert, die Epilepsie-Patienten unterstützt.
Stücke von Richard Wagner oder Antonín Dvořák will das Orchester dann darbieten. Ohne Fleiß und Vorbereitung beim einzelnen geht das nicht, meint Bergmann. „Bei gemeinsamen Proben werden wir von Profis so lange eingefuchst, bis alles perfekt funktioniert.“ Mit seinem Sitznachbarn aus Taiwan gebe es zwar Verständigungsprobleme. Doch sobald die Musik einsetze, sei kein Dolmetscher nötig.
Für ein Laienorchester ist das WDO große Bühnen gewohnt: Es gastierte bereits an Orten wie dem Wiener Stephansdom. Konzerte in Armenien und Südafrika standen ebenso auf dem Programm – wobei jeder Teilnehmer seine Kosten selbst trägt, wie Bergmann betont. Mit über 70 ist der Kinderarzt im Ruhestand Gastwissenschaftler an der Berliner Charité. Dort erforscht er, wie sich Vitamin-D-Mangel bei Kindern auswirkt.
Selbst das japanische Iwaki am Rande der Sperrzone von Fukushima hätten die Mediziner 2014 besucht, sagt Hornbläserin Kerstin Kreis. Im Alltag ist sie Spezialistin für Venenerkrankungen. „Wir sind dort nicht als Touristen hingefahren, sondern haben Informationen örtlicher Wissenschaftler erhalten“, erzählt sie. Das Schicksal der Kinder in der Gegend stimmte sie nachdenklich: „Es ist ja immer noch nicht klar, wie viel Strahlung sie abbekommen haben.“
Das Leid publik zu machen, das an vielen Konzertorten herrscht, und ohne Umwege finanziell zu helfen, sei dem Orchester ein großes Anliegen. „Über andere Organisationen wäre das ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Bergmann. Neben Geld brächten die Musiker Freude, ergänzt Geiger Henrik Traulsen und erinnert sich an Begegnungen mit Kindern in Afrika. Bei den bevorstehenden Konzerten wird er seine blaue Klinik-Kleidung ausnahmsweise nicht gegen Abendgarderobe eintauschen: Der Kinderarzt wird dann voraussichtlich gerade Vater.
Als das WDO 2007 gegründet wurde, war es keine völlig neue Erfindung. Es gibt nationale und ein europäisches Ärzteorchester, und auch andere Berufsgruppen musizieren gemeinsam. Das WDO könnte seinen Erfolg Eigenschaften wie Disziplin und Altruismus verdanken, die Ärzten oft nachgesagt werden – tatsächlich hat knapp ein Drittel der Mediziner eine professionelle Musik-Ausbildung.
Ein wenig hilft ihr Dirigent mit der Auswahl renommierter Konzertorte nach, wie die Musiker berichten. An Stätten wie der Carnegie Hall in New York füllen sich die Publikumsreihen quasi von selbst. Der Haken: Das WDO muss sich manchmal teuer „einkaufen“ – ein Dilemma, will man doch möglichst viel Geld für Benefizzwecke abgeben. Aber wären die Ticket-Einnahmen noch sicher, spielte man in weniger bekannten, günstigeren Sälen? Sicher ist: Auch Kosten für Logistik oder Chöre muss der WDO-Förderverein durch Spenden decken.
Doch die Ärzte bekommen auch viel zurück. Manchmal wird eigens für sie komponiert: In Taipeh etwa ist die lokale Tradition der Frühlingstänze mit großem Orchester auf die Bühne gelangt, ein Foto in seinem Büro zeigt Bergmann im Kreise der Einheimischen: „Es ist jedes Mal auch ein ganz großes Erlebnis für uns selbst.“
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