Ändern sich die moralischen Werte der Menschen mit den Jahreszeiten?
Achtsamkeit, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Güte, Höflichkeit oder Tradition: Es gibt verschiedene moralische Werte, die uns im Leben und für ein friedliches Miteinander wichtig sind.
Je nach Persönlichkeit eines Menschen, gesammelter Lebenserfahrung, Ort und Religion können sich diese Werte ändern. Ein weiterer Einflussfaktor sind laut Forschern der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, auch die Jahreszeiten. Sollte sich diese Vermutung bestätigen, hätte sie möglicherweise Auswirkungen auf Politik, Recht und Gesundheit.
Häufung im Sommer und Winter
In den vergangenen zehn Jahren befragten Ian Hohm, Doktorand der Psychologie an der University of British Columbia, und Kollegen wiederholt mehr als 230.000 US-amerikanische Bürger zu ihren moralischen Werten.
Dabei zeigte sich, dass ihre Einstellungen je nach Jahreszeit schwankten. Jenes saisonale Muster zeigte sich auch in kleineren Umfragen in Kanada und Australien.
„Die Zustimmung der Menschen zu moralischen Werten, die den Gruppenzusammenhalt und die Gleichheit fördern, ist im Frühling und Herbst stärker als im Sommer und Winter“, sagte Ian Hohm, Erstautor der Studie. „Moralische Werte sind ein grundlegender Bestandteil der Art und Weise, wie Menschen Entscheidungen treffen und Urteile fällen. Daher glauben wir, dass dieses Ergebnis nur die Spitze des Eisbergs sein könnte, da es Auswirkungen auf alle möglichen anderen folgenden Bereiche hat.“
Seit 2009 sammelt eine von Forschern der Sozialpsychologie eingerichtete Website Umfragedaten, die die Zustimmung der Teilnehmer zu fünf moralischen Werten messen:
- Loyalität: Wertschätzung der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und Aufrechterhaltung einer starken Gruppenbindung.
- Autorität: Respektieren und Befolgen der Führung und der festgelegten Regeln.
- Reinheit: Betonung von Sauberkeit, Frömmigkeit und Bewahrung der Tradition.
- Fürsorge: Bevorzugung von Freundlichkeit und Vermeidung von Schaden für andere.
- Fairness: Sicherstellung der Gleichbehandlung aller.
Loyalität, Autorität und Reinheit werden von Forschern als „verbindliche“ Werte bezeichnet, weil sie die Einhaltung von Gruppennormen fördern. Sie stehen auch in engem Zusammenhang mit dem modernen politischen Konservatismus.
Fürsorge und Fairness werden als liberalere Werte betrachtet, da sie sich auf die Rechte und das Wohlergehen des Einzelnen konzentrieren. Alle diese Werte beeinflussen nachweislich das Urteil der Menschen über richtig und falsch.
Mehr Werte aus Angst
Die Forscher fanden heraus, dass die Befragten die „verbindlichen“ Werte im Frühjahr und Herbst stärker befürworteten, im Sommer und Winter dagegen weniger. Dieses Muster sei über zehn Jahre hinweg bemerkenswert konstant gewesen, so die Forscher.
Außerdem könnten die Forscher eine mögliche Ursache identifiziert haben: Angst. Zu dieser Vermutung kommen die Psychologen, nachdem sie umfangreiche Daten über saisonale Ängste einbezogen hatten, die von Mitautor Dr. Brian O’Shea zur Verfügung gestellt wurden.
„Wir haben festgestellt, dass die Ängstlichkeit im Frühjahr und im Herbst am höchsten ist. Dies fällt mit den Zeiten zusammen, in denen die Menschen verbindliche Werte stärker befürworten“, erklärt Prof. Dr. Mark Schaller, Hauptautor der Studie.
Diese zeitliche Übereinstimmung deutet darauf hin, dass eine höhere Angst die Menschen dazu bringt, Trost in Normen und Traditionen zu suchen, die durch verbindliche Werte aufrechterhalten werden.“
Auswirkungen auf die Lebensbereiche
Laut den Forschern könnten saisonale Werte weitreichende Auswirkungen auf unterschiedliche Lebensbereiche haben. So könnte sich der Zeitpunkt von Wahlen auf die Ergebnisse auswirken, da der Wandel der moralischen Werte politische Meinungen und Verhaltensweisen beeinflusst.
Gleiches gilt für juristische Urteile, sodass diejenigen, die „verbindliche“ Werte vertreten, eher dazu neigen, diejenigen zu bestrafen, die Verbrechen begehen und gegen soziale Normen verstoßen.
Die Forscher sehen zudem einen Einfluss auf die sozialen Reaktionen bei Seuchen und anderen Krankheitsausbrüchen wie COVID-19. „Während der Pandemie wurde das Ausmaß, in dem die Menschen die Richtlinien zur sozialen Distanzierung befolgten und sich impfen ließen, von ihren moralischen Werten beeinflusst“, äußern die Forscher.
Saisonale Veränderungen der moralischen Werte könnten sich zudem darauf auswirken, wie Menschen Außenseiter oder Personen sehen, die nicht den aufgestellten Gruppennormen entsprechen, und Vorurteile schüren.
In Zukunft wollen die kanadischen Psychologen den möglichen Zusammenhang zwischen Angst und moralische Werte genauer untersuchen. Dabei soll erforscht werden, wie saisonale Muster Vorurteile und rechtliche Urteile beeinflussen könnten.
Die Studie erschien im August 2024 im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
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