Lernen ohne Druck: Uni-Schule verabschiedet erste Absolventen

Keine festen Klassen, keine Hausaufgaben, freiwilliges Lernen. Ein Forschungsprojekt im Schulversuch trägt erste Früchte.
Forschendes Lernen. Foto: Universitätsschule Dresden
Forschendes Lernen.Foto: Universitätsschule Dresden
Von 19. Juni 2024

Hefte weg und ab zum Strand – die ersten Bundesländer sind in die Sommerferien gestartet. Darunter auch Sachsen. Dort blickt die Universitätsschule Dresden auf eine bewegende Zeit zurück: Zum ersten Mal seit der Schuleröffnung vor fünf Jahren wurden in diesem Schuljahr Abschlussprüfungen abgenommen.

Was ist daran besonders? Die Schule ist ein Forschungsprojekt für innovative Formen des Lehrens und des Lernens, eine öffentliche und kostenfreie Gemeinschaftsschule in städtischer Trägerschaft, ein Raum selbstbestimmten Lernens. Es gibt keine Hausaufgaben, dafür ist ein gemeinsames Frühstück für alle Pflicht und schon beim Eintreten in das Schulgebäude wandert das Handy der Schüler in den Spind.

Im August 2019 startete das Projekt mit insgesamt 200 Schülern in den Klassenstufen 1, 2, 3 und 5. Inzwischen ist die Schülerzahl auf über 700 angewachsen. Insgesamt acht der 57 Schüler und Schülerinnen der Klassenstufe 9 haben sich entschieden, zum Ende dieses Schuljahres die Hauptschulprüfung abzulegen und diese auch bestanden. Die Schüler Jannes Thiele und Lars Voigt erreichten dabei einen Notendurchschnitt von 1,53 und 1,86 und gehören damit zu den 163 Schülern aus ganz Sachsen, die am 17. Juni als Jahrgangsbeste eine Auszeichnung von Kultusminister Christian Piwarz erhielten.

Ein Blick in den Schulalltag zeigt, was an dieser Schule anders ist.

Gemeinsamkeit im Zentrum des Lernens

An der Universitätsschule Dresden beginnt der Tag in der Mensa. Wenn die Schüler morgens kommen, ziehen sie ihre Hausschuhe an, legen ihre Handys in den Spind und gehen dann gemeinsam zum Frühstück. Anschließend beginnt die jahrgangsübergreifende Lernzeit.

Davon gibt es am Tag insgesamt drei Einheiten von jeweils 90 bis 120 Minuten, je nach Altersstufe. Begonnen wird mit der „Atelierzeit“. Schüler können hier zwischen Mathematik und Naturwissenschaften, Sprachen sowie Gesellschaftswissenschaften wählen.

Hier starten die Kinder und Jugendlichen nach der Tagesplanung im Logbuch mit den sogenannten Lernbausteinen. Das sind Materialien für die selbstständige Arbeit zu verschiedenen Themen, die man sich wie ein in kleinere Arbeitshefte zerteiltes Lehrbuch vorstellen kann, heißt es von der Schule.

Alle Themen des sächsischen Rahmenlehrplans werden abgedeckt, können aber zu verschiedenen Zeiten bearbeitet werden. Unterstützung geben in den Atelier- und Projektlernzeiten die Lernbegleiter. Sie sind als Lehrkräfte in den jeweiligen Fächerperspektiven ausgebildet und helfen dabei, auch gezielt Lernbausteine zu bearbeiten, deren Inhalte die Schüler zum Beispiel in der anschließenden Projektzeit brauchen.

Statt auf Lehrbuchwissen und externe Motivation zurückzugreifen, setzt die Universitätsschule Dresden auf Kernkompetenzen und intrinsische Motivation, also das Lernen der Schüler aus sich selbst heraus. Damit sind die Schüler nicht mehr Objekt des Lernens wie etwa beim Frontalunterricht, sondern werden selbst zum Gestalter. Dabei beschäftigen sie sich auch mit Themen, die nicht zum Lieblingsbereich gehören. Wann sie das tun, entscheiden sie aber selbst.

Motivation von innen

Dass dieser Unterschied eine wesentliche Rolle beim Lernen spielt, verdeutlicht der renommierte Hirnforscher Professor Dr. Gerald Hüther anhand eines Beispiels: Wenn kleine Kinder mit Bauklötzen spielen, wollen sie keinen mittelmäßigen, sondern einen richtig hohen Turm bauen – „und nicht, um den höher zu bauen als andere, sondern für sich selbst“. Ein Mensch sei auf Höchstleistungen organisiert, er wolle sich beweisen, was er alles kann und was er fertigbringt.

„Und diese intrinsische Motivation geht kaputt, sobald man Menschen zwingt, Türme auf eine bestimmte Weise zu bauen, oder ihnen dauernd zeigt, dass der Papa noch einen größeren Turm bauen kann“, schildert Hüther. Die Menschen gewöhnen sich mit der Zeit daran, diese intrinsische Motivation aufzugeben oder sie zu unterdrücken, weil sie zunehmend von außen gedrückt werden, so Hüther weiter. Aber Kinder seien nun einmal keine Zahnpastatuben.

Dieses intrinsische Lernen praktizieren die Schüler an der Dresdener Uni-Schule täglich: Will ich Planeten erforschen, Kochen lernen oder etwas über Tiere im Zoo erfahren? All das ist möglich. Eine solche intrinsische Motivation der Schüler bewirkt, dass sie selbstständig an ihren Projekten arbeiten, sowohl mithilfe anderer Schüler als auch durch Unterstützung der Lernbegleiter, heißt es seitens der Schule. Über einen Zeitraum von jeweils sechs Wochen bilden die Schüler nach Themen strukturiert kleine Gruppen. Gemeinsam wird dann recherchiert, experimentiert und so weiter. Am Ende des Projektes steht eine „Produkt“-Präsentation für die gesamte Gruppe.

Was dabei herauskommen kann, veranschaulicht Maria Neuland vom begleitenden Forschungsprojekt an der TU Dresden gegenüber Epoch Times an zwei Beispielen: „Ein Schüler hat in Klassenstufe 4 ein 3D-Modell von Atomen nachgebaut, weil er wissen wollte, wie genau das funktioniert.“ Ein älterer Schüler habe zum Abschluss seines Projektes eine Podiumsdiskussion zum Thema Klimaschutz mit Experten und Wissenschaftlern moderiert, was für alle sehr inspirierend gewesen sei.

Gemeinsames Lernen auf unterschiedlichem Niveau

Während an anderen Schulen je nach Alter und Lernniveau Haupt- und Realschüler getrennt unterrichtet werden, lernen die Schüler der Universitätsschule Dresden jahrgangs- und niveauübergreifend alle zusammen. Davon profitieren schon die Jüngsten, die gemeinsam in den Klassenstufen 1 bis 3 lernen.

„Wenn ein Schüler in der 2. Klasse Probleme beim Lesen hat, hat er jüngere, die noch nicht lesen können, sowie ältere, die sehr gut lesen können, in seinem Umfeld“, so Maria Neuland. Das Tempo werde also nicht von außen vorgegeben, was den Schülern auch den Druck nehme.

Kinder können sich an den anderen orientieren und mit ihrer Hilfe lernen, anstatt mit ihnen zu konkurrieren, schildert Maria Neuland.

„Da wir an der Universitätsschule Dresden das Wort ‚Gemeinschaft‘ mit Leben füllen, ist es bei uns schon immer so, dass Gymnasiasten mit Förderschülern lernen und Freundschaften eingehen. Wir pflegen eine Kultur, in der es in Ordnung ist, auch noch später die eigenen Potenziale zu entfalten“, betont Lernbegleiter Nino Haustein.

An der Schule gibt es auch keine Hausaufgaben. „Das Kind kommt früh entspannt zur Schule und geht entspannt nach Hause“, so das Motto. Die Schulmaterialien bleiben in der Schule. Dazu gehört ab Klasse 4 auch ein Laptop, der für Recherchen und Schreiben, Fotos, Videos, Podcasts und andere Tätigkeiten im Rahmen der Projektarbeiten dient.

Schulleiterin: „Traut euch, Fehler zu machen“

Für die Schulleiterin Maxi Heß war die feierliche Zeugnisübergabe an die Hauptschüler am 14. Juni ein ganz besonderer Moment. „Unsere ersten Absolventinnen und Absolventen haben nicht nur ihren Hauptschulabschluss erfolgreich gemeistert, sondern auch Geschichte geschrieben“, sagte sie in ihrer Rede. „Sie sind die ersten Schülerinnen und Schüler der Universitätsschule Dresden, die diesen Meilenstein erreicht haben, und damit Pioniere, die den Weg für viele nachfolgende Schülergenerationen geebnet haben. Darauf können sie wirklich sehr stolz sein.“

Den Schülern gab sie viele Ratschläge mit auf den Weg: „Bleibt neugierig und offen für Neues […] Nutzt die Fähigkeiten und Kenntnisse, die ihr an der Universitätsschule Dresden erworben habt, um euch weiterzuentwickeln und neue Wege zu gehen. Seid mutig und traut euch, Fehler zu machen, um aus ihnen zu lernen und an ihnen zu wachsen […] Nutzt die Chancen, die sich euch bieten, und bleibt stets bemüht, euer Bestes zu geben.“

Die Ankunft am Ziel ist umso schöner, je mehr Stürme du erlebt hast“, das wisse sie aus eigener Erfahrung.

Lehre geplatzt, jetzt folgt der Realschulabschluss

Einen solchen „Sturm“ hat der Jahrgangsbeste Lars Voigt bereits hinter sich. Eigentlich wollte er eine Lehre als Tischler anfangen. Während seines Freitagspraktikums in der 8. Klasse in einer Tischlerei hat er diesen Beruf für sich entdeckt. Doch es kam anders als geplant. Dieser Betrieb nimmt in diesem Jahr keine neuen Lehrlinge auf. Sein Traum von der Tischlerlehre muss warten.

„Jetzt bereite ich mich an der Uni-Schule auf den Realschulabschluss vor und möchte es dann noch einmal versuchen“, schildert er. Für den Notfall hat er auch Plan B parat: „Sollte es nicht klappen, ist ein Berufsgrundbildungsjahr Holztechnik eine gute Möglichkeit, meinen Berufswunsch zu verfolgen.“

Und wenn die Leistungen es hergeben, könnte er sogar Abitur an der Schule machen – auch das ist möglich. Aber jetzt stehen erst einmal die Ferien an.



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