Leben in Gated Communitys – weil sich die „Kriminalitätssituation in Deutschland verschlechtert“
Abgeschottet wohnen, verbarrikadiert hinter hohen Zäunen, umgeben von Überwachungskameras und eventuell auch von Wachpersonal? Es gibt diese Wohnkonzepte schon lange, vorwiegend in Amerika sind sie weitverbreitet. Aber auch in vielen anderen Staaten, vor allem in Gegenden, wo Reichtum und Armut mehr oder weniger unmittelbar aufeinandertreffen.
Privatisierter öffentlicher Raum
Gated Community nennt sich diese Lebensform, die es in Deutschland bislang kaum gibt, weshalb möglicherweise ein Kölner Bauvorhaben derzeit für Schlagzeilen und Kritik sorgt. „Cologne Project I“ heißt es und wird im Stadtteil Stammheim errichtet. Dort steht der denkmalgeschützte Stammheimer Wasserturm, aus dem der Investor Christian Ley nun ein Wohngebäude mit acht exklusiven Lofts machen will, wie er dem „Handelsblatt“ (Bezahlschranke) erzählt. Stimmung machen laut „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ, Bezahlschranke) vorwiegend linke Gruppierungen, die das Vorhaben in Internetforen als „elitär“ bezeichneten.
Ley berichtet, dass auch die Kölner Stadtverwaltung zunächst wenig begeistert von der Idee war. Doch gebe es Bedarf, weil sich die „Kriminalitätssituation in Deutschland verschlechtert“ hat. Und überhaupt dürfe natürlich jeder sein Grundstück einzäunen, hebt er hervor und vergleicht das „Cologne Project I“ mit normalen Immobilienbesitzern. Insgesamt sollen 29 Wohneinheiten (Appartements, Stadthäuser) auf dem knapp einen halben Hektar großen Areal bis 2027 entstehen. Prunkstück ist ein 3,2 Millionen Euro teures Loft über drei Etagen in der Spitze des historischen Turms, der dann wieder die ursprünglichen 42 Meter erreichen soll.
Gated Communitys sind eingezäunte Wohnquartiere mit kontrolliertem Zugang und privatisiertem öffentlichem Raum, heißt es in einer Definition des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Stefan Kofner. Es handele sich um „geschlossene Enklaven gehobener Mittelschichten“, die Kontakte mit Menschen „aus anderen sozialen Milieus“ reduzieren möchten.
Charakteristische Merkmale der Wohnform sind unter anderem das individuelle Eigentum beziehungsweise Nutzungsrecht an der jeweiligen Wohneinheit, Zugangsbeschränkungen, Selbstverwaltung, gemeinschaftlich genutzte Dienstleistungen (Wachpersonal, Hausmeister etc.). Kofner zitiert dazu den Erlanger Kulturgeografen Prof. Dr. Georg Glasze, der später im Text noch zu Wort kommt.
Erste Gated Community entstand 1857 in den USA
Gated Communitys gibt es in Deutschland bisher nur wenige. Dabei ist die Idee schon älter. Eines der ersten Projekte dieser Art, der „Llewellyn Park“, entstand 1857 in den USA. Auf der dazugehörigen Internetseite heißt es, dass wohlhabende Menschen angesichts sich verschlechternder Lebensbedingungen in überfüllten Städten (Luftqualität, Gesundheitsgefahren) Rückzugsorte suchten.
Als Reaktion auf die bedrückenden Zustände im Raum New York entwickelten der Namensgeber des Wohngebiets, Llewellyn Haskell (1815–1872), ein Selfmade-Pharmamagnat und der prominente Architekt Alexander Jackson Davis (1803–1892), die Idee eines Neighborhood-Parks, ein damals neues Konzept. Der „Llewellyn Park“ liegt knapp 20 Kilometer westlich von New York.
2020 lebten laut Zensus-Erhebungen auf dem rund 185 Hektar großen Areal 848 Menschen. Gebaut wurden im Laufe der Jahre 173 Häuser, umgeben von Zierbäumen, Sträuchern und Blumen. Damals prominente Persönlichkeiten wie der Erfinder Thomas A. Edison (1847–1931) oder Mitglieder der Pharmadynastie Merck oder der Unternehmerfamilie Colgate besaßen dort Häuser.
Deutschlands erste und älteste Gated Community ist die Arcadia-Wohnanlage in Berlin, 1998 fertiggestellt. Auf der 30.000 Quadratmeter großen Anlage stehen acht Villen und 43 Wohnungen. Das Gelände ist von einem Zaun umgeben, Kameras haben alles im Blick. Wer es betreten will, muss an einem Pförtner vorbei. Der Barbarossapark in Aachen und die Wohnanlage am Olympiapark in München sind weitere Beispiele für diese Wohnform, die in Europa seit Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend auf dem Vormarsch ist.
Deutsche Projekte haben nur wenig mit dem ursprünglichen Konzept zu tun
Der bereits erwähnte Kulturgeograf Georg Glasze hat sich intensiv mit dem Thema „Gated Communitys“ befasst. Er hält den Begriff, den einst amerikanische Immobilienmakler zu Marketingzwecken für Vorstadtsiedlungen erdacht hätten, für unpassend. So hätten die deutschen Projekte nur wenig mit dem ursprünglichen Konzept zu tun, erläuterte er 2016 im „Spiegel“. Häufig befänden sie sich innerhalb von Stadtgrenzen, seien also nicht vorstädtisch. Zudem vermittele der Begriff „Community“ den Eindruck einer verbundenen Bewohner-Gemeinschaft. Doch beschränke diese sich zumeist darauf, dass alle in einer überwachten Anlage lebten. Glasze spricht in dem Zusammenhang daher von „bewachtem oder abgeschlossenem Wohnen“.
Kritik an den Gated Communitys gibt es reichlich. Angesichts eines zwei Meter hohen Zauns um das Gelände sowie geplanten Überwachungskameras sehen Facebook-Nutzer das Kölner Projekt als eine der „dramatischen Folgen der Zuwanderung“ – allerdings nur für die Reichen.
Das sieht auch der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Carlo Clemens (AfD) so. Er kommentiert das Bauvorhaben auf dem Facebook-Account seiner Fraktion wie folgt: „In einem Staat, der die innere Sicherheit nicht gewährleisten kann, wird diese zum Gut der Privilegierten. Auf der Strecke bleiben jene, die sich den Umzug in die besseren Gegenden nicht leisten können.“ Die AfD-Fraktion wolle eine Gesellschaft, „in der sich niemand gezwungen sieht, sich hinter Zäunen und Sicherheitsanlagen zurückzuziehen. In der sich niemand gezwungen sieht, bestimmte Plätze und Straßen zu meiden. Darum stellen wir Zäune lieber an den Grenzen auf.“
Ein zivilisatorischer Rückschritt
Prof. Kofner sparte bereits in seinem 2006 erschienenen Text nicht mit Kritik. So sprach er seinerzeit von gravierenden gesellschaftlichen und städtebaulichen Auswirkungen „der weltweit zunehmenden Ausbreitung dieser speziellen Wohn- und Siedlungsform“. In seinem Fazit schrieb er: „Wenn irgendwo, dann gilt das Motto ,Wehret den Anfängen‘ bei den ,Gated Communitys‘.“
Für ihn ist „diese Form des Zusammenwohnens Gleichgesinnter ein zivilisatorischer Rückschritt mit einer anti-emanzipatorischen Stoßrichtung“. Soziale Benachteiligungen könnten nur durch die Auflösung derselben, nicht aber durch die Schaffung sozialer Ghettos gemildert werden, betonte der Wissenschaftler, der 2008 für die SPD als Landrat für den Landkreis Görlitz kandidierte. „Es gilt, den europäischen Weg, die Idee von der europäischen Stadt, das europäische Modell der Integration und des sozialen Zusammenlebens, gegen den Import uns innerlich fremder Entwürfe der sozialen Ausgrenzung zu verteidigen.“
Auch die nordrhein-westfälische SPD ist nicht begeistert von den Plänen. Gegenüber RTL sagte Sebastian Watermeier (SPD), Sprecher für Bauen und Wohnen: „Solche Wohnprojekte sind am Ende das Gegenteil von sozialer Durchmischung in den Quartieren. Menschen unterschiedlicher Einkommensschichten begegnen sich dann nicht mehr, leben voneinander getrennt, teilweise dann auch physisch durch Zäune und Sicherheitsmänner und was dann so da dranhängt.“
Der Berliner Mieterverein kann den Gated Communitys ebenfalls nichts Positives abgewinnen. Sie seien die „extremste Form der Abgrenzung“, heißt es auf der Internetseite des Vereins. Je weiter sich die Schere zwischen Arm und Reich öffne, desto mehr würden solche Projekte realisiert. „Diplomatenpark, Prenzlauer Gärten und Marthashof sind nur der Anfang und ein Test der Investoren, was in der Stadt verkäuflich und vermietbar ist. Erstklassige Lage und Top-Ausstattung gehören zum Konzept.“
Der Kölner Investor Ley kann die Kritik an seinem Projekt nicht nachvollziehen. Für ihn, der lieber von einer „Safe“ statt einer „Gated Community“ spricht, ist das „die typisch deutsche Neiddebatte“. Reiche Menschen hätten eben ein großes Sicherheitsbedürfnis „und müssen schließlich auch irgendwo wohnen“, zitiert ihn die NZZ.
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