Handarbeit mit Kopf: Ökodorf Brodowin denkt anders
6:30 Uhr fahren wir auf die Schnellstraße, die uns aus der Großstadt auf das Land führt. Ziel ist der Demeterhof im Ökodorf Brodowin im Landkreis Barnim. Der Morgennebel steht noch auf den Wiesen und Feldern, als befänden wir uns in den Wolken, darüber steigt eine glutrote Morgensonne auf. Das Naturschauspiel verzaubert die Landschaft und lässt den Kontrast des Land- und Stadtlebens noch stärker hervortreten.
8 Uhr sind wir verabredet mit der Ernährungswissenschaftlerin Franziska Rutscher, zuständig für Presse und Öffentlichkeitsarbeit im Ökodorf Brodowin. Uns interessiert, wie und wo das Gemüse wächst und die Kühe stehen, mit deren Milch viele Berliner beliefert werden. Alles frei von Pestiziden sowie Herbiziden und ohne Gentechnik.
Gemeinsame Dynamik
Das Ökodorf Brodowin ist aus einer ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) aus DDR-Zeiten entstanden. Daher auch die für deutsche Verhältnisse erstaunliche Größe von 2.500 Hektar Land, das von rund 400 Verpächtern zur Verfügung gestellt wird.
Die Idee, diesen Betrieb ökologisch verträglich zu bewirtschaften, kam im Jahr 1990 von einigen Bewohnern des Dorfes Brodowin. Da es bereits Kontakte zu Demeterhöfen gab, entwickelte es sich ganz natürlich, die Richtlinien des Demeter-Verbandes zu wählen, erzählt Franziska Rutscher. Ausschlag gab sicher auch eine Busreise mit 80 Leuten zu langjährig existierenden Demeterhöfen.
Die interessierten Brodowiner Landwirte und bisherigen LPG-Angestellten konnten so viele Fragen stellen und sich schlussendlich davon überzeugen, dass diese Art der Landwirtschaft funktioniert: Dank eines vernetzen Denkens und der Bereitschaft, nicht nur an die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung zu denken, sondern langfristige und nachhaltige Wachstumsprozesse im Blick zu haben. Und vor allem waren menschliche Begegnungen und die Bereitschaft zur Hilfe da.
So wurde 1991 die „Ökodorf Brodowin Landwirtschafts GmbH & Co. KG“ gegründet. Seither wird biologisch-dynamisch gewirtschaftet und die Natur ringsum erblüht auf vielfältige Weise. Die Vorgaben für Demeter-Landwirte sind dabei deutlich strenger als die EU-Öko-Verordnung. Monokulturen sind zu vermeiden. Eine artgerechte Tierhaltung mit Auslauf und genügend Platz im Stall ist Vorgabe und wird jährlich überprüft.
Seit 2006 ist Agraringenieur Ludolf von Maltzan Geschäftsführer des bisher größten Demeterhofes Deutschlands. Er ist überzeugter Biolandwirt und weiß, dass es funktioniert. „Die Verantwortung für Tier und Mensch, und mit Mensch meine ich auch die Region, in der wir hier leben, und die Pflanzen, mit denen wir hier arbeiten, zu übernehmen und der Arten- und Naturschutz, das ist mir wirklich wichtig“, fasst von Maltzan zusammen.
Das große Ganze im Blick
Die Vogelpopulation ist in den Flächen um Brodowin, mit mehreren Seen und Wäldern, wieder angestiegen, freut sich Frau Rutscher. Entgegen zur deutschlandweiten, rückläufigen Entwicklung. Ergebnis des aktiven Naturschutzes in enger Zusammenarbeit mit dem Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin.
So werden zwölf Kilometer Hecken als Lebensräume für viele Tierarten wie Insekten, Vögel und kleine Säugetiere durch regelmäßigen Schnitt gepflegt. Auch spielen sie eine wichtige Rolle gegen die Bodenerosion, denn der Wind trägt den sandigen, brandenburgischen Boden leicht davon.
Oder die erste Mahd spezieller Wiesen wird verschoben, auch wenn das zunächst eine geringere Qualität des Erntegutes bedeutet. Doch so haben Bodenbrüter wie Feldlerche, Grauammer und Rebhuhn wieder Zeit und Raum für die Aufzucht ihrer Jungen.
Inzwischen sind wir über sandige Feldwege und durch kleine Waldabschnitte per Automobil zu Gemüsefeldern gelangt, unter der sicheren Führung von Frau Rutscher. Sie kennt das Land von klein auf. So weit das Auge reicht, Salat, Lauch und Sonnenblumen, umrahmt durch den Waldrand. Es sei gut, dass die Felder etwas versteckt lägen, weiß Rutscher, so ließe sich größerer „Schwund“ der Ernte vermeiden.
„Hier sind keinerlei Pestizide zum Einsatz gekommen, wir arbeiten hier komplett mit Hack- und Zupftechniken“, erklärt Franziska Rutscher. Dies beinhaltet eine gebückte Arbeitshaltung. Demut statt Vergiftung, die zunächst nicht spürbar, jedoch spätestens über das Trinkwasser Mensch und Tier belastet.
Bei Getreide kommt auch ein vom Traktor gezogener Striegel zum Einsatz, der die nicht gewollten Pflanzen, auch Unkraut genannt, entwurzelt.
Sechs bis sieben Menschen arbeiten festangestellt im Gemüseanbau und werden in der Saison von 25 weiteren Helfern unterstützt, immer denselben, aus der Region und gut eingearbeitet. Das ist goldwert und schafft vor allem andere Arbeitsmodelle in der Region. In Krisenzeiten, wie der „Coronazeit“, in denen billige Arbeitskräfte aus dem Ausland wegfallen, zahlt sich diese Umsicht, regional zu denken, im Sinne des Wortes aus.
Vielfalt statt Einfalt
Weiter geht es zum Kartoffelacker. Der Boden so sandig wie am Meer. Beim Aussteigen lachen uns die orangeroten Punkte der Kürbisfelder an. Auf dem Nachbarfeld trocknen Zwiebeln in der nicht mehr zu heißen Spätsommersonne. Am Ende des gegenüberliegenden Ackers ist der Kartoffelernter zu sehen. Drei Frauen stehen auf dem Roder an einem kleinen Fließband.
Was denn das Schöne sei an der Arbeit, frage ich eine der jungen Kartoffelernterinnen. Das Draußen-Sein ist die spontane, freundliche Antwort. Das Herausfordernde? Das blende sie aus, erwidert sie entspannt mit einem Lächeln.
Die Vielseitigkeit habe den Hof schon ein paar mal gerettet, erzählt Franziska Rutscher weiter. Wenn eine Seuche, wie etwa die Vogelgrippe, Einschränkungen in der Geflügelhaltung brachte, gab es immer noch andere Tiere. Vom Anbau von Getreide und Gemüse, über die Tierhaltung von Kühen, Hühnern, Ziegen, sogar einiger Esel, über den Verkauf bis zur Veredelung, vor allem der Milch, liege alles in einer Hand, wie auf einem traditionellen Hof, nur eben in anderen Größenordnungen.
Der Bedarf der knapp 80 Kilometer entfernten Millionenstadt Berlin ermögliche respektive erfordere dies. Ein Lieferservice, mit einem über die Jahre stetig gewachsenen Angebot, bringt das Gemüse vom Feld direkt zum Kunden, genauso wie Milch, Käse und Eier. Direkter geht es nicht. Schnelle und direkte Kommunikation zwischen Vertrieb und Produktionsorten ist es auch, die dabei unabdingbar erforderlich ist.
Tierisch gut
Zentrale Rolle spielt dabei die Kreislaufwirtschaft. Ein Begriff, der im Anbauverband Demeter geprägt wurde und bestimmte Voraussetzungen festlegt, um Mitglied sein zu können. Eine davon ist, wiederkäuende Tiere am Hof zu haben.
Diese geben in umgewandelter Form, nämlich durch kompostierten Mist, dem Boden die Energie zurück, die ihm durch die Ernte der Pflanzen entzogen wurde. Diese ursprünglichen Methoden benötigen mehr Zeit, hinterlassen jedoch keine giftigen Rückstände wie industriell hergestellter Kunstdünger.
150 holsteinische schwarz-bunte Kühe weiden hier auf den Wiesen rund um ihren Stall, manche mit Seeblick. Nicht zuletzt wegen ihrer Hörner, die sie behalten dürfen, bieten sie so ein romantisches, friedliches Bild. Abgesehen davon, dass es dem Tier seine Würde lässt, es nicht zu verstümmeln, haben die Hörner auch als Ausscheidungsorgan für Gase eine wichtige Funktion, dienen zur Körperpflege, regulieren die Körpertemperatur, stellen Rangordnungen klar.
Rund eine Woche bleiben die Kälber bei ihren Müttern. Danach werden sie mit dem Erstgemelk, der fettesten Milch, gefüttert. Die züchterische Aufteilung der Kühe in Milch- oder Fleischkühe zieht nach sich, dass eine weitere muttergebundene Aufzucht der Jungen einige Herausforderungen mit sich bringt. So würden die rund 25 Liter Milch, die eine hochgezüchtete Milchkuh produziert, das Kalb schlicht überfordern, da es keinen natürlichen Sättigunseffekt kennt. Also ist viel menschlicher Eingriff nötig, um alles zu steuern. „Am Ende ist wahrscheinlich die Ursprungskuh wieder die Lösung für alles“, erklärt Franziska Rutscher.
Gleiches treffe auf das Zweinutzungshuhn zu, das entweder auf Fleisch oder Ei getrimmt sei. Daher ist ein männliches Küken eines auf Ei gezüchteten Huhnes wirtschaftlich gesehen wertlos und wird in vielen Betrieben einfach sofort nach der Geburt getötet. In Brodowin wird für jedes Huhn auch ein Bruderhahn mit großgezogen.
Dies setzt immer wieder voraus, den eigenen Gewinn zurückzustellen, zugunsten ethischer Werte.
Bewusst sein, was uns nährt
Eines der am besten laufenden Produkte ist frisch gekochte und direkt abgefüllte Brühe. Vom Rind, vom Huhn oder aus Gemüse. Gleich mehrere 100.000 Liter pro Jahr werden davon im großen Stil eingekocht. In diesen handwerklichen Prozessen, wie auch beim Quark schöpfen oder Käse pflegen, wird die Tradition der Meierei und die Konservierung gehaltvoller Nahrung im besten Sinne gepflegt, ist sich Franziska Rutscher sicher.
Eine Tradition, die sich vor allem durch guten Geschmack auszeichnet und das Wort Lebensmittel noch verdient. Wie zahlreiche Preise und Auszeichnungen belegen und honorieren.
Auch, dass durch den Hofladen und die Arbeitsplätze, immerhin rund 100, eine Struktur existiert, die das Leben auf dem Land möglich macht, dort wo unsere Lebensgrundlagen liegen. „Denn sonst müssten ja alle in die Stadt ziehen“, bringt es Franziska Rutscher auf den Punkt.
Dass die Art und Weise des Wirtschaftens im Ökodorf Brodowin großes Interesse auf sich zieht, belegen die vielen Besucher. Seien es Schüler und Studenten, die Praktika absolvieren oder einfach Leute, „die uns über die Schulter schauen wollen, was wir machen“.
„Doch diese Kombination – Interesse und Unterstützung von uns durch Einkauf– ist im Moment gerade nicht mehr da. Das Bewusstsein ist nicht da, eigenes Verhalten [mit dem Umsatzrückgang] in Verbindung zu bringen. Das führt dazu, dass die vermeintlich teuren Bioprodukte nicht gekauft werden“, führt Ludolf von Maltzan aus. Im vergangenen Jahr habe man von 30 auf 23 Hektar Gemüseanbau zurückgehen müssen.
Statistisch sei der Bioeinkauf gleich geblieben, da in den Discountern der Bioeinkauf konstant oder sogar gestiegen sei.
„Doch die Biopioniere kommen dabei unter die Räder. Der sogenannte Biofachhandel gilt als besonders teuer, obwohl alle wissen, dass dies diejenigen sind, die die Bioszene mal aufgebaut haben. Das sind unsere Handelspartner und die Nachfrage dort ist jetzt eben schlechter.“
Es sei im Moment eine schwierige Zeit, doch das Leben habe viele positive Seiten.
Und Ludolf von Maltzan erzählt weiter: „Auch Spezialisten [aus Naturschutz und Forschung] kommen, um so viele Arten wie möglich auf kleinem Raum sehen zu können. In Brodowin ist die Natur noch intakt, das ist für mich genauso viel wert wie die normale Ernte.“
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