„Größter Kita-Streik seit 35 Jahren“ – Tausende Eltern müssen Alternativbetreuung suchen

In etlichen Berliner kommunalen Kindertagesstätten blieben die Türen am Donnerstag (6. Juni) verschlossen. Die Gewerkschaft ver.di hatte das Kita-Personal zum Streik aufgerufen. Ab Montag steht ein erneuter Streik an.
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Ab 10. Juni wird es in den Kita-Eigenbetrieben des Landes Berlin wieder eng.Foto: FooTToo/iStock
Von 9. Juni 2024

Überlastung, Erkrankung, Fluktuation. In Berlin gibt es derzeit ein Tauziehen um bessere Arbeitsbedingungen in kommunalen Kitas. Mit einem dreitägigen Streik will die Gewerkschaft ver.di ab dem 10. Juni den Druck auf den Berliner Senat erhöhen, damit er die Verhandlungen über den Tarifvertrag „Pädagogische Qualität und Entlastung“ aufnimmt.

Insgesamt geht es um fünf Kita-Eigenbetriebe des Landes mit über 280 Einrichtungen, in denen rund 34.000 Kinder betreut werden. Unterstützt wird der Streik von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin. Sie bezeichnet die Aktion als „größten Kita-Streik seit 35 Jahren“.

Personalkrise allgegenwärtig

Die fachlichen Standards, die im Berliner Bildungsprogramm vom Senat definiert wurden, können in den kommunalen Kitas nicht mehr eingehalten werden, heißt es von der Gewerkschaft. Die Berliner Kitas seien von einer „eskalierenden Personalkrise“ geprägt.

„Gruppen müssen wegen Personalmangel zeitweise geschlossen werden. Für die Eltern sind die Kitas zunehmend keine verlässlichen Partner mehr, um die Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufstätigkeit zu ermöglichen“, schildert ver.di. Pädagogen würden ihren Beruf wechseln, weil die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zunehmend unerträglich werde.

Zwar wurden die Anforderungen an die Arbeit in den Kitas durch politische Verantwortliche immer weiter gesteigert, aber dabei habe man versäumt, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine Umsetzung möglich ist. Nach wie vor fehle „eine echte Antwort auf die Personalkrise“, kritisiert die Gewerkschaft.

Fünf vor zwölf ist schon vorbei

Jahrelang haben Kita-Beschäftigten und die Gewerkschaft protestiert und diskutiert, Petitionen überreicht sowie das Gespräch mit den politischen Verantwortlichen gesucht.

„Aber man will uns nicht sehen und hören“, so Nikola Liebner, Pädagogische Fachkraft im Kita-Eigenbetrieb Südost und Mitglied der ver.di-Tarifkommission. „Wir haben versucht, der Politik eine kollektive Gefährdungsanzeige zu übergeben, aber niemand hat sie entgegengenommen.“ Es sei jetzt an der Zeit, gemeinsam etwas zu verändern.

„Wir schauen täglich in unsere WhatsApps, E-Mails, Telegram-Kanäle und hoffen inständig, dass die Kita aufhat, die Gruppe aufhat, dass unser Kind kommen kann – und das für hoffentlich mehr als zwei Stunden“, schildert Mascha Krüger. Sie unterstützt den Streik von ver.di als Gesamtelternvertreterin des Trägers Kindergärten Nordost und Gründerin der Elterninitiative „Einhorn sucht Bildung“.

Bei den Eltern sei die Belastungsgrenze mehrfach überschritten. Eine langfristige Planung – und mit langfristig sei eine Woche gemeint – sei für die Eltern nicht möglich, so Krüger. Von pädagogischer Arbeit würden sie nicht einmal mehr träumen. Die Situation sei extrem.

Es ist nicht mehr 5 vor 12, es ist Viertel nach zwölf. Die Politik muss jetzt handeln“, betont die Elternvertreterin.

Elternausschuss distanziert sich von Streik

Es gibt aber auch Kritik für den Streik. Der Landeselternausschuss Kita (LEAK) hat sich ausdrücklich vom ver.di-Aufruf distanziert.

„Es ist für uns unverständlich, dass die Eltern und Kinder in Berlin nach den harten Corona-Jahren und den Tarifstreiks Ende 2023 erneut die Leidtragenden sein sollen“, heißt es in einer der Epoch Times vorliegenden Stellungnahme.

Mit dem Streik würden genau jene Familien mehr belastet, die bereits die aktuellen Herausforderungen durch gekürzte Öffnungszeiten, Kitaschließungen oder fehlendes pädagogisches Fachpersonal kompensieren müssen.

„Viele Eltern haben nicht die Möglichkeit, binnen einer Woche eine alternative Betreuung für ihre Kinder zu organisieren“, kritisiert LEAK. Urlaubstage seien vielfach schon aufgrund der Schließzeiten und anderer Reduzierungen verplant.

Besonders betroffen seien die vielen Alleinerziehenden von Berlin. Noch schwieriger gestalte sich die Betreuung von Schul- und Kita-Kindern innerhalb einer Familie, wenn die Einrichtungen an unterschiedlichen Tagen streiken.

„Diese Gesamtsituation erhöht den Druck in den Familien, auf die Politik aber in keiner Weise“, warnt LEAK. „Manche sind aufgrund der Zerrissenheit von beruflicher Verantwortung und Kinderbetreuung existenziell bedroht.“

Wiederholt würden die Bemühungen gestört, die vertrauensvollen Beziehungen zwischen Eltern und dem Fachpersonal nach den zurückliegenden Jahren wiederaufzubauen.

Kein Effekt absehbar

Positive und zeitnahe Auswirkungen auf die Betreuungsbedingungen seien bei der aktuellen Haushaltslage und dem anhaltenden Personalmangel keinesfalls sicher. Daher hält LEAK Streikmaßnahmen mit ungewissem Ausgang und einer einseitigen Belastung eines Teils der Elternschaft für unangemessen.

Hinsichtlich des Umstands, dass die Kita-Eigenbetriebe von Berlin etwa ein Viertel der Berliner Kita-Betriebe betreuen, bezeichnet es die Elternvertretung als gesellschaftlich unfair, dass „die Last der Streikmaßnahmen“ auf diesem Viertel der Kinder und ihrer Eltern abgeladen wird.

„Kurzfristige Streiks werden die Probleme nicht lösen“, so die Elternvertretung. Die von ver.di ergriffenen Maßnahmen hält LEAK für das falsche Mittel. „Wir appellieren daher an alle Beteiligten, verantwortungsvoll und im Sinne der Kinder und Eltern zu handeln. Nur durch weitere konstruktive Zusammenarbeit können wir langfristige Verbesserungen erreichen.“

Senat: Tarifgemeinschaft muss zustimmen

Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen stellte klar, dass für die Aufnahme von Tarifverhandlungen die Zustimmung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) nötig sei. Wenn der Senat ohne Zustimmung verhandele, riskiere er einen Ausschluss des Landes Berlin aus der TdL.

Am 6. Juni waren rund 2.500 dem Warnstreik gefolgt. Vom 10. bis 13. Juni hat ver.di erneut 7.600 Beschäftigte der 280 kommunalen Einrichtungen zum Streik aufgerufen. Die Streikteilnehmer treffen sich laut GEW Berlin am Montag auf dem Alexanderplatz, Dienstag vor dem Roten Rathaus und am Mittwoch vor der Bildungsverwaltung, jeweils 9.00 Uhr.



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