George Orwell und sein Roman „1984“

Vor 75 Jahren wurde der Roman „1984“ veröffentlicht – die wohl berühmteste Warnung vor Totalitarismus und Entmenschlichung, die je geschrieben wurde. Die Wurzeln dieser nach wie vor aktuellen Dystopie sind in George Orwells Leben und Epoche zu finden.
Titelbild
In diesem einsamen Farmhaus auf der Hebriden-Insel Jura schrieb George Orwell seinen weltberühmten Roman „1984“.Foto: ronnie leask, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=13622615
Von 3. Juni 2024

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Im Jahr 1947 schreibt George Orwell in seinem autobiografischen Zeugnis „Warum ich schreibe“ („Why I Write“): „Ich denke, man kann die Beweggründe eines Autors nie richtig einschätzen, wenn man nichts über seine frühe Entwicklung weiß. Seine gewählten Themen werden immer durch die Epoche bestimmt werden, in der er lebt. […] Bevor er jedoch überhaupt beginnt zu schreiben, wird in ihm eine emotionale Haltung entstanden sein, der er nie mehr ganz entkommen wird.“

Akkreditierungsfoto von George Orwell bei der Journalistenvereinigung, Branch of the National Union of Journalists (BNUJ). Foto: Public Domain

Geboren wird George Orwell als Eric Arthur Blair am 25. Juni 1903 in der Stadt Motihari im indischen Bundesstaat Bihar. 1904 kehrt seine Mutter mit ihm und seiner jüngeren Schwester nach England zurück. Erst 1911, nach der Pensionierung des Vaters vom britischen Kolonialdienst, ist die Familie wieder auf Dauer in England vereint.

„Warum ich schreibe“

In „Why I write“ berichtet Orwell, dass ihm schon im Alter von etwa fünf Jahren klar gewesen sei, dass er eines Tages Schriftsteller werden würde. Er beschreibt sich als einsames, isoliertes Kind, das sich früh in selbst erfundene Geschichten geflüchtet habe. Als Jugendlicher schreibt Eric patriotische Gedichte und Stücke.

Mit 14 Jahren wird Blair schließlich in die berühmte Eliteschule Eton als „Kings Scholar“, also mit königlichem Stipendium aufgenommen. Dort wird der begabte Kollegiat unter anderem von Aldous Huxley, dem späteren Autor der Dystopie „Schöne neue Welt“ unterrichtet.

Funktionär des britischen Empire

Nach vier Jahren in Eton schlägt Blair jedoch eine gänzlich unliterarische Laufbahn ein. Er lässt sich für die Indian Imperial Police rekrutieren und wird so nach zweijähriger Ausbildung in Burma zum ausführenden Organ der britischen Ordnungsmacht.

Über drei Jahre lang setzt er als Kolonialbeamter in der britisch-indischen Provinz Anordnungen und Befehle durch – bis zu einem Heimaturlaub im Jahr 1927. Blair quittiert den Polizeidienst abrupt und kehrt nicht mehr nach Burma zurück.

In Kurzgeschichten wie „Einen Mann hängen“, „Einen Elefanten erschießen“ oder seinem ersten, erhalten gebliebenen Roman „Tage in Burma“ verarbeitet er mit Beginn der 30er-Jahre seine oft absurden und bedrückenden Erfahrungen von Machtmissbrauch und kolonialem Gehabe.

Not und Rückbesinnung

Nach dem geregelten Alltag eines Kolonialbeamten führt Blair nun eine unstete, geradezu prekäre Existenz.
 Er scheitert mit Plänen, in Paris eine Anstellung als Englischlehrer zu finden. Schlecht entlohnte Gelegenheitsarbeiten halten ihn dort nur mit Not über Wasser.

Auch zurück in England bessert sich seine Situation kaum. Er verdingt sich zeitweise als Aushilfslehrer und Hilfskraft in einem Buchladen. Seine Gesundheit ist durch schwere Lungenentzündungen geschwächt. Doch er hat auch begonnen, sich seinem Kindheits- und Jugendtraum wieder anzunähern.

Er veröffentlicht Texte in Zeitschriften, arbeitet an Essays und entscheidet sich 1933 schließlich ganz für die Schriftstellerei. Im selben Jahr wählt er den Namen des englischen Flusses „Orwell“ als Pseudonym. Vielleicht, weil auch dieser Fluss unter anderer Bezeichnung entspringt und unterwegs seinen Namen wechselt.

Als Kämpfer nach Spanien

1936 heiratet Eric Blair alias George Orwell die Psychologiestudentin Eileen O´Shaughnessy. Für die Eheringe fehlt dem jungen Paar das Geld.

Wie Eric begeistert sich auch Eileen für sozialistische Ideen. Als ihr Mann nach Barcelona reist, um auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg zu kämpfen, fährt sie mit ihm und hilft im Büro der Independent Labour Party, die den Einsatz freiwilliger, sozialistisch-britischer Kämpfer koordiniert.

Doch nach nur fünf Monaten wird Orwell durch einen Halsdurchschuss schwer verwundet. Gleichzeitig verändert sich die politische Situation gravierend.

Die Fratze des Totalitarismus

Die sowjetischen Waffenlieferungen für die republikanische Bürgerkriegspartei werden nun von stalinistischen Politkommissaren begleitet, die mit politischen Säuberungen gegen gemäßigte Sozialisten beginnen. Den Blairs gelingt gerade noch die Flucht aus Spanien.

Eineinhalb Jahre später beginnt der nächste Krieg auf europäischem Boden – dieses Mal ist es der verheerende Flächenbrand des Zweiten Weltkriegs. Wieder meldet sich Orwell als Freiwilliger, wird wegen seiner labilen Gesundheit jedoch nicht akzeptiert.

Das Senate House, der ehemalige Sitz des Ministry of Information in London ähnelt der Beschreibung der vier Ministerien im Roman „1984“. Foto: An Siarach, Gemeinfrei

Eileen hat unterdessen eine Stelle in der Zensurabteilung des Ministry of Information angetreten, das mit dem Kriegseintritt Großbritanniens für britische Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda in London geschaffen wird.
Unweigerlich kommt sie in engen Kontakt mit den Propagandamaschinerien aller Kriegsparteien.

Mitten im Medien- und Zeitgeschehen

Währenddessen veröffentlicht George Orwell Essay um Essay und beginnt 1941 als Mitarbeiter bei der British Broadcasting Corporation, der BBC, die wiederum dem Ministerium für Information unterstellt ist. Das Ehepaar befindet sich also ganz nah am medialen, politisch-historischen Zeitgeschehen mit all seinen verworrenen und erschütternden Geschehnissen.

George Orwell bei der BBC, 1940er-Jahre. Foto: BBC, Public Domain

1939 hatten sich im sogenannten Hitler-Stalin-Pakt zwei totalitäre sozialistische Systeme zusammengeschlossen. Besonders die Methoden des Stalinismus kennt George Orwell aus eigener, konkreter Erfahrung im Spanischen Bürgerkrieg.

„Animal Farm“

Er erdenkt nun eine satirische Parabel, die heute weltberühmt ist: „Die Farm der Tiere“, englisch „Animal Farm“.

1944 stellt er diese „Fairy Story“ über das Scheitern einer gesellschaftlichen Utopie und ihrem Abgleiten in die Boshaftigkeit des Totalitarismus fertig. Erst nach Ende des Weltkriegs wird die dunkle „Märchengeschichte“ erscheinen.

Nun aber überschlagen sich die Ereignisse und Schicksalsschläge. Im Februar 1945 reist George Orwell als Kriegsberichterstatter nach Paris und Köln und erhält dort die erschütternde Nachricht vom unerwarteten Tod seiner Frau während eines chirurgischen Eingriffs. Zur Beerdigung kehrt er kurz nach England zurück und stürzt sich dann wieder in die Berichterstattung über Krieg und Kriegsende in Deutschland.

In Chaos und Wirren dieser Zeit müssen die Ideen für George Orwells berühmtestes Buch – „1984“ – immer mehr Gestalt angenommen haben.

Radikaler Rückzug

Im Sommer 1946 zieht sich der Autor schließlich völlig aus dem öffentlichen Leben zurück. Auf der entlegenen und einsamen Insel Jura vor der Westküste Schottlands bewohnt er ein verlassenes Farmhaus ohne Strom und Telefon.

Beheizt wird es nur spärlich durch das Verbrennen von Torf, der in der Umgebung gestochen wird. Für den lungenkranken Orwell sind diese Lebensbedingungen denkbar ungünstig.

Trotzdem harrt Orwell in der unwirtlichen Einsamkeit aus und arbeitet unermüdlich am Manuskript einer „Utopie in Form eines Romans“, die er entgegen allen gesundheitlichen Widrigkeiten im Dezember 1948 an seinen Verlag sendet.

Fern und doch gefährlich nah

Der Titel ist nichts anderes als die Verdrehung der Jahreszahl 1948 zu 1984. Eine Ende der 40er-Jahre scheinbar weit entfernte Zeit, die jedoch in nur drei Dutzend Jahren erreicht sein wird.

„1984“, veröffentlicht im Progress Verlag, Moskau. Limitierte Auflage nur für Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zugänglich. Foto: Verlag Progress, Public Domain

Weitere vier Jahrzehnte später lesen wir heute schaudernd, welch hochaktuelles, bedrückendes Szenario Orwell in seinem dystopischen Roman entwirft:

Eine düstere Welt, in der Propaganda und Lüge herrschen, in der eine Parteielite um einen scheinbar allgegenwärtigen „Big Brother“ die Masse steuert und überwacht.

 

Die gesellschaftliche Pyramide, wie sie im Buch „1984“ beschrieben wird. Die Masse der Gesellschaft wird Proles (Proletariat) genannt. Sie wird von der „Inneren Partei“ an der Spitze der Pyramide gelenkt. Foto: IAMTHEEGGMAN und AnonMoos, Public domain

Telescreens kontrollieren und belauschen jeden Einzelnen. Ihre Botschaften wiederum schüren permanenten Hass auf einen Staatsfeind, der jedoch ebenso unsichtbar und nebulös bleibt wie der „Große Bruder“.

Hass ist das Mittel, das durch verpflichtende „Hassminuten“ am ständigen Köcheln gehalten wird, um die Masse von ihrem tristen, perspektivlosen Leben abzulenken und an die herrschende Kaste zu ketten.

Gleichzeitig werden ohne Unterlass Begriffe von der Partei als „schädlich“ gebrandmarkt und durch andere, neue Begriffe, das sogenannte „Neusprech“, ersetzt.

Ständig wiederholte, widersinnige Parolen wie „Krieg ist Frieden“, „Freiheit ist Sklaverei“ und „Unwissenheit ist Stärke“ höhlen das logische Denkvermögen der Menschen zusätzlich aus.

Keimende Zweifel und Suche nach Liebe

Die Hauptfigur des Romans, Winston Smith, arbeitet im Londoner „Ministerium für Wahrheit“ und ist zuständig für die manipulative „Anpassung“ historischer Tatsachen an das immer neu vorgegebene Wunschnarrativ der Partei.

Schwere Zweifel an seiner Tätigkeit beginnen in ihm zu keimen und eine heimliche Liebesbeziehung bestärkt ihn in der Sehnsucht nach wahrer Freiheit, Schönheit und individuellem Lebensglück.

Wie alle Bürger wird auch er durch die Parole „Der Große Bruder beobachtet dich“ – „Big Brother is watching you“ – in ständigem Bewusstsein totaler Überwachung gehalten. Trotzdem erwacht in ihm der Wille, aus dem System auszubrechen und Widerstand zu leisten.

Eng gesponnenes Netz

Das fein gesponnene Netz aus Lügen, Manipulation und Propaganda erweist sich jedoch als übermächtig. Winston Smith wird verhaftet und im „Ministerium für Liebe“ einer grausamen Gehirnwäsche unterzogen. Am Ende ist er auf Linie gebracht und überzeugt, nur durch den „Großen Bruder“ und die Partei frei zu sein.

In „Why I write“ schreibt Orwell zur Zeit der Entstehung von „1984“: „Jede Zeile ernsthaften Schreibens habe ich seit 1936, direkt oder indirekt, gegen den Totalitarismus […], verfasst. Mir scheint es Unsinn zu sein, in einer Epoche wie unserer zu glauben, man könne vermeiden, über diese Themen zu schreiben.“

1984 ES AHORA, 1984 IST JETZT. Foto: victorgrigas,  CC0

Die Veröffentlichung seines Meisterwerks erlebt Orwell im Juni 1949. Am 21. Januar 1950 stirbt er an einer Lungenblutung.

Zeitlose Brisanz

Warum aber ist auch in unserer Epoche die fiktive Handlung, die der Autor in „1984“ vor unseren Augen ausbreitet, so unverändert aktuell?

Was George Orwell während seines bewegten Lebens erlebte, durchlitt und beobachtete, enttarnte er in „1984“ hellsichtig als toxische Grundrezeptur des Totalitarismus an sich.

Immer sind ihre, die Gesellschaft vergiftenden Zutaten des Bösen: Machtgier, Narzissmus, Egoismus, Skrupellosigkeit und Lüge.

Ihnen entgegen stehen die Mächte des Lichts – Liebe, Freiheit, Wahrheit, Hoffnung und Mut. Für sie muss sich jeder Einzelne und jede Gesellschaft immer wieder aktiv und tatkräftig entscheiden, um die niemals ruhende Boshaftigkeit des Totalitarismus immer wieder zu enttarnen und zu besiegen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion