Generation „Kopf unten“: Kinder verbringen immer mehr Zeit am Smartphone

Kinder allein zu Haus bei TikTok, Snapchat und Co: Mit 92 Prozent nutzen fast alle Jugendlichen und Kinder ab sechs Jahren das Internet zunehmend übers Smartphone. Für ein Drittel ist ein Leben ohne Social-Media mittlerweile nicht mehr vorstellbar. Mit Folgen für die physische und psychische Gesundheit.
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Auch Kinder nutzen zunehmend die digitalen Medien.Foto: iStock/Kerkez
Von 22. August 2024

Schöne neue digitale Welt: Als Erstes das W-LAN checken, den Tag lang vom Sofa aus Spiele zocken, mit Freunden bequem via Chat quatschen, TikTok-Videos schauen oder beim Musikvideo einfach nur chillen – bei immer mehr Heranwachsenden spielt sich das soziale Leben zunehmend online und mittels der sozialen Medien ab.

Nach einer aktuellen Studie nutzen 92 Prozent der Jugendlichen und Kinder ab sechs Jahren das Internet. Ein Smartphone benutzen hierbei 85 Prozent. Sie verbringen daran im Schnitt gut zwei Stunden täglich. 93 Prozent der Kinder und Jugendlichen ab zehn Jahren sind auf sozialen Netzwerken aktiv – sie sind dort pro Tag gut eineinhalb Stunden (95 Minuten) unterwegs.

Bitkom-Studie: Das Phänomen in Zahlen

Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung im Auftrag des Digitalverbandes Bitkom, für die mehr als 900 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren in Deutschland zu ihrem Nutzungsverhalten befragt wurden. Die Angaben beruhen auf Selbstauskünften der Nutzer, bei den jüngeren im Beisein der Eltern.

Dabei ist das Smartphone längst zum alltäglichen Begleiter geworden. Laut der Untersuchung nimmt die Dauer bei der Smartphone-Nutzung mit steigendem Alter stark zu: Während es zwischen 6 und 9 Jahren noch 37 Minuten täglich sind, hat sich die Spanne bei den zwischen zehn- bis zwölf-Jährigen mit 107 Minuten fast verdreifacht.

Zwischen 13 und 15 Jahren wächst die durchschnittliche Smartphone-Zeit dann auf gut zweieinhalb Stunden (154 Minuten) pro Tag. Und die 16- bis 18-jährigen Smartphone-Nutzer geben an, sogar mehr als drei Stunden täglich (201 Minuten) am Smartphone zu verbringen.

Eine Generation „Kopf unten“ wächst heran

Bereits unter den jüngsten Befragten zwischen sechs und neun Jahren greifen mit 64 Prozent fast zwei Drittel zum Smartphone. Während bei den zehn- bis zwölf-Jährigen 88 Prozent ein Smartphone nutzen, sind es unter den Älteren fast alle: 97 Prozent der Jugendlichen zwischen 13 und 15 Jahren und sogar 98 Prozent bei den 16- bis 18-Jährigen.

Die Ära Smartphone startete in den frühen 1990er-Jahren mit dem „Simon Personal Communicator“ (SPC) von IBM, das 1994 auf den Markt kam. Die nahezu flächendeckende Verbreitung von Smartphones begann mit der Einführung des ersten iPhones durch Apple im Jahr 2007. Das war durch seine intuitive Touchscreen-Bedienung und die Einführung eines App-Ökosystems die Grundlage für moderne Smartphones.

Inzwischen ist das Smartphone für fast alle, auch Jugendliche, unverzichtbar im Alltag geworden, nicht zuletzt, weil in einem Gerät alles gebündelt ist: Zugang zum Internet, Musik, Fotoapparat inklusive Bildbearbeitung, Wecker, Games, E-Mails, Chat-Apps, Videos, Stadtpläne und sogar Bücher. Nicht zu vergessen die sozialen Kontaktmöglichkeiten. 

Die meisten Jugendlichen nutzen das Smartphone laut Bitkom-Studie für Textnachrichten (90 Prozent) sowie um Musik, Hörspiele oder Podcasts zu hören (89 Prozent). Dann folgt das Aufnehmen von Fotos oder Videos, Spielen, das Verschicken von Sprachnachrichten und Telefonieren. 71 Prozent nutzen das Smartphone, um in sozialen Netzwerken aktiv zu sein, 53 Prozent zur Navigation und mit 51 Prozent die Hälfte der Befragten auch für Lernprogramme. 49 Prozent schauen Videos, Filme oder Serien. 35 Prozent der Heranwachsenden lesen nach eigener Angabe über das Smartphone Nachrichtenbeiträge.

93 Prozent nutzen soziale Netzwerke

Ob über Smartphone, Laptop oder Tablet – insgesamt nutzen 93 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und 18 Jahren soziale Netzwerke, und das zumeist täglich. Über alle Altersklassen hinweg liegt YouTube ganz vorn mit 87 Prozent, gefolgt von Instagram und Snapchat mit jeweils 53 Prozent. Auch TikTok nutzt gut die Hälfte (51 Prozent) der Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und 18 Jahren. 

Auch die Verweildauer in den sozialen Medien nimmt zu: Im Schnitt verbringen Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren nach eigener Einschätzung täglich 95 Minuten in sozialen Netzwerken. Die Älteren sind dabei mehr als doppelt so lange auf Insta, Snapchat und Co. unterwegs wie die Jüngsten: Die Altersgruppe zwischen zehn und elf Jahren verbringt täglich unter einer Stunde (51 Minuten) auf Social-Media, die Ältesten der Befragten, zwischen 16 und 18 Jahren, mehr als zwei Stunden pro Tag (mit durchschnittlich 134 Minuten).

Unvorstellbar für ein Drittel: Leben ohne Social-Media

Ein Drittel (33 Prozent) kann sich nach eigenen Angaben ein Leben ohne Social-Media nicht vorstellen. 24 Prozent haben Angst, etwas zu verpassen, wenn sie nicht in sozialen Netzwerken sind. Generell kann sich die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen (57 Prozent) ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen. Auch über die Hälfte (52 Prozent) der Kinder und Jugendlichen ab zehn Jahren finden, ohne das Internet wäre das Leben langweilig.

Dabei sind es nicht immer nur leichte Themen, mit denen Kinder und Jugendliche über das Internet in Kontakt kommen. Vier von zehn Kindern ab zehn Jahren, die das Internet nutzen, haben schon einmal Hasskommentare über andere gelesen. Ein Drittel hat online Sachen gesehen, die ihnen Angst gemacht haben, unter anderem Gewalt.

Blaulicht-Report zum Bildschirm-Schlafmangel

Dass Kinder nicht nur weniger schlafen, sondern auch schlechter, wenn sie abends Smartphones, Tablets und andere elektronische Geräte benutzen, berichteten dänische Forscher bereits im Jahr 2021, nachdem insgesamt 49 Studien aus den Jahren 2009 bis 2019 zusammenfassend ausgewertet wurden.

Unabhängig von der Altersgruppe gilt: Das blaue Licht von angeschalteten Bildschirmen unterdrückt die Produktion des Schlafhormons Melatonin. Die Folgen dieses Mangels sind eine kürzere Schlafdauer und eine Störung des natürlichen Schlaf-Wach-Zyklus. Die Folgen davon wiederum können Teil eines fatalen Teufelskreises sein: Denn Kinder, die schlechter schlafen, sind entsprechend tagsüber eher müde und neigen zu vermehrter Mediennutzung, weil sie sich für andere Aktivitäten wie Sport zu müde fühlen.

Wenn körperliche Aktivität durch Medienkonsum ersetzt wird 

Ein reduzierter Schlaf verändert auch den Haushalt appetitregulierender Hormone und kann zu mehr Essen nach den Mahlzeiten und in der Nacht führen. Und da greift das nächste Rädchen im Circulus Vitiosus dem Teufelskreis:

Kinder, die mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit für Übergewicht beziehungsweise Adipositas. Das hat unter anderem eine Studie der Kaiser Family Foundation nachgewiesen. Neben dem Einfluss auf die physische Gesundheit widmen sich inzwischen auch viele Studien den Auswirkungen von Mediennutzung auf die psychische Gesundheit. Unter anderem zeigt eine Studie von JAMA Pediatrics auf, dass vermehrte Nutzung von sozialen Medien und Fernsehen mit einem Anstieg von depressiven Symptomen verbunden ist.

Programmierte Abhängigkeit durch Glückshormone

Bildschirmaktivitäten bieten nicht nur eine Flucht aus dem Alltag, sie können abhängig machen: Denn wenn das Gehirn mit etwas Neuem und Aufregendem gefüttert wird, schüttet es Dopamin aus. Dieser „Botenstoff des Glücks“ erzeugt ein Gefühl von Wohlbefinden, während vermindertes Dopamin zu Antriebslosigkeit und gedrückter Stimmung führt. Alles, was eine Dopaminausschüttung zur Folge hat, kann süchtig machen. So auch alle Bildschirmaktivitäten, denn nicht nur Videospiele, die regelrechte „Dopaminduschen“ auslösen, oder TikTok-Videos sind so angelegt, dass sie unsere Aufmerksamkeit fesseln, indem sie regelmäßig Ausschüttungen des Glückshormons bewirken. Mit der Folge, dass wir verführt werden, mehr Zeit in der virtuellen Welt zu verbringen. 

Studien zur Internetabhängigkeit bei Kindern während der Pandemie sind rar, doch eine US-amerikanische Erwachsenenstudie aus dem Jahr 2021 ergab, dass Personen, die als gefährdet für Internetsucht galten, ein 2,3-mal höheres Risiko für Depressionen und ein 1,9-mal höheres Risiko für Angstzustände hatten als der Durchschnitt der Bevölkerung. Bei schwerer Sucht stieg dieses Risiko sogar um das 13-fache. Epoch Times berichtete.

Medienkompetenz anerziehen oder gesetzlich regulieren?

Kinder müssen frühzeitig angeleitet und auf ihrem Weg in die digitale Welt begleitet werden. Sie müssen lernen, sich sicher und selbstbestimmt in der digitalen Welt zu bewegen.“

Das sagt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst angesichts der Studie, die sein Haus in Auftrag gegeben hat. Medienkompetenz dürfe nicht dem Zufall überlassen und auf jene Kinder beschränkt werden, die engagierte und kompetente Eltern haben. Eine entscheidende Rolle komme auch den Schulen zu. „Medienkompetenz sollte in jeder Jahrgangsstufe vermittelt werden“, so der Bitkom-Präsident. 

Aber reichen elterliche Erziehung oder schulischer Unterricht, die vielschichtigen Wirkmechanismen auszuhebeln, die zu immer mehr und längerer Internetnutzung des Nachwuchses führen? Wegen der Auswirkungen sozialer Netzwerke fordern aktuell viele Franzosen eine stärkere gesetzliche Regulierung und auch Regierungschef Macron spricht sich für eine europaweit geregelte digitale Volljährigkeit mit 15 Jahren aus.



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