Fünf Gründe für Schulfrust – warum Lehrer aussteigen
Migration, Inklusion, Digitalisierung, Personalmangel, schlechte Ergebnisse in der PISA-Studie. Keine Frage – der Lehrerberuf stellt viele Pädagogen vor immer größere Herausforderungen. Das weiß die ehemalige Studienrätin Isabell Probst nur zu gut. Sie selbst hat im Jahr 2015 den Schuldienst quittiert, weil sie sich einfach nicht vorstellen konnte, dass sie diesen Beruf gesund und glücklich bis zur Pensionierung durchhält.
Probst ist davon überzeugt, dass man Schülern mehr als den „Dienst nach Vorschrift“ schuldet. Irgendwann war sie nicht mehr bereit, ihre „Arbeits- und Lebensenergie in ein System zu stecken, das ich zunehmend ablehnte und in dem mein Gestaltungsspielraum außerhalb des Klassenzimmers endete“. Damals fühlte sie sich zunehmend „wie ein japsender Fisch an Land“.
Heute arbeitet sie in einem neuen Berufsfeld als Laufbahnberaterin und Karrierecoach und unterstützt Lehrer beim Ausstieg aus dem Hamsterrad. Ihre Mission: „Lehrkräften helfen, den Weg einzuschlagen, den sie aus vollem Herzen bejahen.“
Fünf Gründe zur Abkehr vom Lehrerberuf
Aus den zahlreichen Gesprächen mit Lehrern lassen sich fünf Faktoren ableiten, warum Lehrer ihren Beruf an den Nagel hängen, schilderte Probst in einem Interview mit dem Portal „news4teachers“.
Als Erstes nannte sie die hohe psychosoziale Belastung, Überfrachtung mit Aufgaben, aber auch mangelnde Wertschätzung. Zweitens würden Qualitäts- und Wertefragen den Lehrern zu schaffen machen:
Aufgrund der Mangelsituation empfinden es viele Lehrkräfte so, dass sie durch ihren Alltag nur noch mit dem pädagogischen Feuerlöscher herumrennen, Konflikte schlichten, Lehrplänen hinterher wetzen und den Prüfungsmechanismus aufrechterhalten.“
Viele Lehrkräfte hätten den Eindruck, dass die Arbeit gar nichts mehr mit dem zu tun habe, was sie in ihrem Studium über gelingendes Lernen und den dazu notwendigen Voraussetzungen gelernt hätten und auch nicht mit dem, was sie als Menschen und Pädagogen für richtig halten.
Als dritten Grund nannte sie das „Austrocknen von Kreativität und Selbstwirksamkeit“ – nämlich dann, wenn der Unterricht nur noch von Arbeitsblättern und Büchern bestimmt wird, weil den Lehrern schlichtweg die Zeit fehlt, die Inhalte anders für Schüler aufzubereiten.
„Wenn man immer nur im Krisenmodus ist und auf die dringlichen Dinge des Tages reagieren muss, dann fallen Dinge wie eine langfristige Planung, Kreativität, sich mal etwas Schönes ausdenken, Schule gestalten oder Schule zum Positiven entwickeln einfach komplett hinten runter“, weiß Probst zu berichten.
Schon in Referendarzeit „im falschen Film“
Viele Lehrer fühlen sich nach ihrer Aussage „echt im falschen Film“, weil sie es falsch finden, was sie täglich tun und ihnen abverlangt wird, erklärt die Karriereberaterin weiter. Was die Schüler hingegen wirklich bräuchten, käme viel zu kurz. Schon während der Referendarzeit würden angehende Lehrkräfte diesen Konflikt bemerken.
Aber auch personelle Strukturen – Grund Nr. 4 – gehören zu den Faktoren, welche die Freude am Lehrer-Dasein trüben, beispielsweise wenn Schulleitungen, Schulämter oder Regierungen Anweisungen geben, wodurch Lehrer sich lediglich als „Aktenvorgang“ führen.
Und dann gibt es noch als fünften und letzten Grund individuelle Faktoren wie Gesundheit, Charakterstärke und persönliche Erfahrungen, die jeder Pädagoge mit sich bringt, wenn er als Individuum in die Struktur des Lehrerberufes eintritt.
Oft sei es eine Mixtur, die zu großen Belastungen führt, sodass Lehrer irgendwann resignieren und mit dem Gedanken spielen, ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Einige von Ihnen wenden sich Hilfe suchend an die ehemalige Studienrätin und bitten um ein Coaching.
„Die Personen, die bei uns anklopfen, haben schon so viele Veränderungsschritte selber versucht zu begehen“, schildert Probst. Als Beispiele nannte sie Versetzungsanträge, Optimierung der eigenen Arbeitsverteilung, Stichwort Zeitmanagement, Unterrichtsgestaltung, viel Arbeit mit sich selbst, Achtsamkeitstraining und Therapien.
1.500 Lehrer auf dem Weg der Veränderung begleitet
Von über 1.500 Lehrern, die sich von Isabell Probst beraten lassen haben, haben etwa 60 Prozent ihren Dienst mittlerweile quittiert. Manche wechselten ins private Schulsystem, andere fanden ihre Bestimmung in einem anderen Job.
Eine von ihnen ist Melanie Endel. Sie hatte schon während des Referendariats bemerkt, dass sie unglücklich war. Trotzdem engagierte sie sich elfeinhalb Jahre als Realschullehrerin in Rheinland-Pfalz in den Fächern Mathematik, Biologie und Sport, berichtet der SWR.
Oft sei sie nach Hause gekommen und habe geweint, erzählte die 35-Jährige. Auch ein Schulwechsel brachte nicht den gewünschten Erfolg. Sie schildert: „Eigentlich war der Wechsel das Beste, was passieren konnte, denn dadurch habe ich gemerkt: Egal wo ich bin, es ändert sich nicht.“
Schließlich nutzte sie die Beratung von Isabell Probst und fand so den Mut, ihren Dienst zu quittieren. Heute arbeitet sie als Projektmanagerin und Verkäuferin in einem Unternehmen, das nachhaltiges Kaffee-Geschirr vertreibt.
Wie viele Lehrer tatsächlich während der letzten Jahre den Schuldienst in Deutschland verlassen haben, ist nicht bekannt. Landesregierungen führen darüber keine Statistik, erklärt Probst – möglicherweise auch deshalb, weil sie die Vorstellung haben, dass „Beamte schlichtweg nicht kündigen“, vermutet sie.
Erschienen bei Books on Demand; 2. Edition (10. Oktober 2019)
Taschenbuch: 272 Seiten
ISBN-10: 3749499918
ISBN-13: 978-3749499915
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