Erneute Entlassung eines kritischen SWR-Mitarbeiters
Thomas Moser will kein Mitläufer sein. Als freier Journalist und Autor fasst er immer wieder heiße Eisen an: die NSU-Affäre, den Terrorakt vom Berliner Breitscheidplatz, die Corona-Demos.
Nach 15 Jahren als gelegentlicher Literaturkritiker des SWR hat ihm der Sender Ende Juni 2024 den Stuhl vor die Tür gesetzt. Offiziell, weil man etwas Neues in Bezug auf Stil, Sound und Machart ausprobieren wolle. „Dazu gehört auch, dass wir uns von einigen Autor*innen verabschieden“, schrieb eine fest angestellte Kulturredakteurin ihrem langjährigen Mitarbeiter per E-Mail.
Moser vermutet ganz andere Beweggründe für seine Entlassung. Er gehört zu jenen sechs Mitarbeitern des SWR, die am 30. April 2024 an einer internen Onlinekonferenz mit sechs Rundfunk- und Verwaltungsräten des Senders teilgenommen hatten. Dabei sollte es um die Qualität der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖRR) während der Corona-Zeit gehen.
Anlass für die Videoschalte war damals ein gemeinsames Manifest von Journalisten, Künstlern und Wissenschaftlern für die Initiative Meinungsvielfalt.jetzt, das im April 2024 veröffentlicht worden war. Anfang Juli 2024 hatten sich über 130 Menschen angeschlossen, 33 davon anonym. Ihr Ziel: eine Erneuerung von ARD, ZDF und „Deutschlandradio“ – hin zu mehr Unabhängigkeit, Neutralität und Ausgewogenheit.
Moser selbst geht zwar in weiten Teilen mit dem Engagement für einen neuen ÖRR konform, seine Unterschrift hatte er allerdings nicht unter das Manifest gesetzt. Für das „Overton Magazin“ fasste er wenig später den Gesprächsverlauf der Videoschalte zusammen – bis kurz nach dem Punkt, an dem vier der sechs SWR-Räte den Dialog abbrachen. Offenbar war in der Runde nicht einmal Einigung darüber erzielt worden, ob der Gesprächsinhalt offen, anonymisiert oder überhaupt nicht publiziert werden sollte.
Moser: Wahre Entlassungsgründe werden „nie genannt“
Der schon früh arbeitgeberkritisch auftretende Moser sieht in seiner kommentierenden Abbildung des Gesprächsverlaufs jenen Tropfen, der das Fass in der SWR-Literaturredaktion zum Überlaufen gebracht haben könnte. Die offizielle Begründung für seinen Rauswurf betrachte er lediglich als „vorgeschoben und konstruiert“, erklärte der freie Journalist kürzlich in einem Interview mit dem „Overton Magazin“.
Immerhin habe er seit 35 Jahren für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk gearbeitet und dabei „alle denkbaren Formate bedient“. Von „großen anderen Herangehensweisen“ in seiner SWR-Stammredaktion habe er nichts bemerkt. Ein neuer Stil würde zudem „den Rauswurf von erfahrenen Mitarbeitern nicht rechtfertigen“.
Die „wahren Gründe“ aber würden ohnehin „nie genannt“, erklärte Moser auf eine schriftliche Nachfrage der Epoch Times. Genau das sei ja „Teil der Diskriminierung, gegen die man sich nur schwer wehren“ könne. Nun seien ihm als alleinerziehendem, halbtags arbeitendem Vater etwa zehn Prozent seines Einkommens weggebrochen.
Freie unter Festen: Hierarchie als Problem
Während der Corona-Zeit sei ihm etwas Ähnliches bereits bei seinem Ex-Auftraggeber WDR passiert. Auch dort sei er aus dem Autorenpool eines kritischen Magazins gekickt worden, nachdem er selbst immer wieder für längere Debatten über die Corona-Politik gesorgt hatte. Die offizielle Begründung der Redaktion habe damals gelautet, man wolle „diverser“ werden. Nach Mosers Dafürhalten bedeutet das beim WDR: mehr Frauen und mehr Migranten ins Programm.
Ein wichtiges Anliegen sei ihm selbst, „die Mechanismen und die Hierarchie zwischen Freien und Festen klarzumachen“, schrieb Moser: „Sie sind Teil des Problems.“ Im ÖRR-Redaktionsalltag sehe das so aus:
Die Freien werden ausgebeutet und sklavisch gehalten. Immer mehr redaktionelle Tätigkeiten werden auf die Freien abgewälzt, ohne dass sie einen Honorarausgleich dafür erhalten. Zugleich sind sie rechtlos, sie können nicht mitentscheiden und haben schon gar nichts zu kritisieren.“
Moser: „Asoziale und verantwortungslose Zustände“
Dass freie Mitarbeiter „willkürlich von heute auf morgen entlassen“ oder stillschweigend nicht mehr beschäftigt werden könnten, bezeichnete Moser als „asoziale und verantwortungslose Zustände“, welche „Angepasstheit und Kritiklosigkeit“ förderten. Repressalien habe er auch schon als freier Mitarbeiter beim „Freitag“ oder bei der taz erlebt. „Im Kontext NSU kam es zum Beispiel auch wiederholt vor, dass Veranstaltungen und Vorträge kurzfristig nach Einflussnahmen abgesagt wurden“, so Moser.
Er wisse auch um mehrere ähnlich gelagerte Fälle unter den „Manifest-Kollegen“, hatte Moser bereits gegenüber dem „Overton Magazin“ geschildert. Diese bekämen nun ebenfalls „weniger oder keine Aufträge mehr“. Manche würden auch „von Kollegen in den Häusern geschnitten“. Dass man über Nacht den Kontakt zu Freien ohne offizielles Kündigungsschreiben geräuschlos einstelle, sei typisch für das seit Jahrzehnten eingeübte „Sanktionsinstrumentarium“ in den ÖRR-Redaktionsstuben.
SWR weist Mutmaßungen zurück: „Üblicher Vorgang“
Der SWR wies Mosers Standpunkt zurück. Als Mitarbeiter habe er weder in einem festen noch in einem fest-freien Arbeitsverhältnis gestanden, schrieb eine SWR-Sprecherin auf Anfrage der Epoch Times. Wenn – wie im Falle der Bücherbesprechungen – „immer mal wieder neue Autorinnen und Autoren verpflichtet“ würden, so sei dies ein üblicher Vorgang. Erst recht, wenn „für ein bestimmtes Format eine neue, andere Anmutung erwünscht“ sei.
Kritische Meinungsäußerungen hätten nichts mit der Trennung zu tun, denn diese seien beim SWR mit seiner „lebhaften Streitkultur“ selbstverständlich erlaubt. „Arbeitsrechtliche Konsequenzen kann es – wie in jedem Beschäftigungsverhältnis – haben, wenn ein Beschäftigter nachweislich falsche Behauptungen verbreitet, die den Arbeitgeber diskreditieren und den Betriebsfrieden empfindlich stören“, erklärte die Sprecherin, ohne dies ausdrücklich auf Moser zu beziehen.
Sie verwies auch auf die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der gewählten öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA): Diese hätten der Darstellung des Manifests, nach der „in den Sendern nur vorgegebene Meinungen diskutiert und verbreitet würden und nur ‚Mainstream‘-Themen und -Berichterstattung stattfinden könnten“, als falsch zurückgewiesen.
Die Aufarbeitung der Corona-Pandemie sei im Übrigen „Teil alltäglicher Arbeitsprozesse geworden, auch in den Redaktionen im SWR“, erklärte die Sprecherin. Es sei zwar „in der medialen Auseinandersetzung mit dem Thema Corona nicht alles perfekt“ gewesen, doch daraus habe der Sender gelernt. „Das ist ein normaler Vorgang“, so die Sprecherin.
Offener Brief brachte 2021 Lawine ins Rollen
Treibende Kraft hinter dem Zusammenschluss kritischer Mitarbeiter des ÖRR war übrigens seinerzeit ebenfalls ein Ex-SWR-Redakteur, nämlich Ole Skambraks. Er war der erste ARD-Mitarbeiter, der seinen Unmut über die Corona-Berichterstattung mit Klarnamen öffentlich gemacht hatte: Anfang Oktober 2021 erschien sein offener Brief unter dem Titel „Ich kann nicht mehr“ beim „Multipolar-Magazin“. Skambraks gründete bald auch die Initiative Meinungsvielfalt.jetzt. Kurze Zeit nach seinem offenen Brief war Skambraks entlassen worden – wie nun auch Meinungsvielfalt-Befürworter Thomas Moser.
Für Moser ist inzwischen klar: Die Personalie Skambraks ist im SWR nicht vergessen. Sie stelle „im Gegenteil eine tiefe offene Wunde“ dar, betonte Moser in seinem jüngsten Gespräch mit dem „Overton Magazin“. Am Umgang mit Skambraks zeige sich beispielhaft „das ganze Fehlverhalten der Verantwortlichen im Sender, und dass dieses Fehlverhalten bis heute nicht zur Diskussion stehen darf. Denn wer Fehler einräumt, muss auch Konsequenzen ziehen und unter Umständen den Platz freimachen für andere“, so Moser.
Für Reform, Entflechtungen und neues Gebührenmodell
Gegenüber der Epoch Times bezog Moser auch Stellung zur Verquickung der öffentlich-rechtlichen Medien mit den Parteien beziehungsweise Landesregierungen, die seiner Beobachtung nach „tief in die Rundfunkräte und Verwaltungsräte“ reiche: „Das gehört entflochten“, meint der freie Journalist. Und weiter:
Die Rundfunkräte gehören ebenfalls reformiert. Sie bilden die tatsächlichen gesellschaftlichen Gruppen gar nicht mehr ab. Das ist ein Bereich, der tatsächlich die breite gesellschaftliche Ebene berührt. Diese Diskussion muss entstehen und dann bestünde auch eine Chance auf Erneuerung. Das hat aber noch nicht begonnen und insofern wäre es zu früh zu sagen, die ÖRR seien nicht reformierbar und auch zu früh, um die Flinte ins Korn zu werfen.“
Falls der ÖRR sich wirklich als nicht reformierbar zeigen sollte, bedeute das nicht, dass man diese „so ohne Weiteres“ abschaffen könne: „Für jede Option braucht man Mehrheiten oder relevante Minderheiten“, stellte Moser fest. Deshalb könne es auch sein, „dass sich das Drama noch Jahre fortsetzt“.
Während die Manifest-Unterzeichner gemeinsam die Haltung verträten, dass die Gebührenfinanzierung ihrer Häuser beibehalten werden sollten, favorisiere er „ein Modell ohne allgemeinen Zwangscharakter“: „Leute, die nicht mehr ÖRR schauen wollen, sollen auch nicht mehr dafür bezahlen müssen.“
Allerdings bekämen über „die Gebührenfrage“ seiner Einschätzung nach jene politischen Kräfte, die die ÖRR-Medien abschaffen wollten, „eine Trumpfkarte in die Hände“, gab Moser zu bedenken. Er selbst denke dabei an die AfD und die beiden Unionsparteien.
ÖRR-Sender: Meinungspluralismus garantiert
Die Epoch Times fragte auch beim ZDF, beim WDR, beim „Deutschlandradio“, beim rbb, beim NDR, beim SR und beim BR nach, was sich nach dem Erscheinen des Manifests intern geändert habe. Immerhin hatte jeweils mindestens einer ihrer Mitarbeiter das Manifest unterschrieben. Wir wollten wissen, ob man einen Diskurs darüber angestoßen habe. Ob auf die hausinternen Manifest-Unterzeichner reagiert worden sei. Und wie die Sender heute zur Qualität ihrer Corona-Berichterstattung stünden.
„Das ZDF begrüßt und fördert ausdrücklich Meinungspluralismus, sowohl im Programm, in der Gesellschaft als auch im Unternehmen“, schrieb eine Sprecherin, „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ZDF haben nicht nur bei internen Dialogveranstaltungen und in Redaktionskonferenzen jederzeit die Möglichkeit, sich kritisch zu äußern. Eine konstruktive Kultur des respektvollen Dialogs ist auch Bestandteil unserer Leitlinien und unseres Strategieprojekts ‚Ein ZDF für alle‘“. Die ZDF-Sprecherin nannte vier Sendungen, die sich seit März 2024 mit der Corona-Aufarbeitung befasst hätten. Zuletzt habe das Talkformat „Maybrit Illner“ am 27. Juni darüber berichtet.
Das „Deutschlandradio“ bestätigte, dass die Inhalte des Manifests „intern diskutiert“ worden seien. Eine „lebendige und konstruktive Diskussionskultur“ sei „gelebte Praxis“. Alle Mitarbeiter könnten dabei ihre Meinungen äußern. „Zu dieser Diskussionskultur gehört auch die selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen journalistischen Tun“, schrieb ein Sprecher, ohne auf Details einzugehen. Es habe jedenfalls „keine personellen Veränderungen oder Änderungen im Umfang der Beschäftigung [gegeben], die in einem Zusammenhang mit dem Schreiben“ stünden. Der Sprecher verwies allerdings ebenso wie der SWR auf die AGRA-Stellungnahme, die dem Manifest ja bereits „in aller Deutlichkeit widersprochen“ habe.
Bei der Berichterstattung während der COVID-19-Pandemie habe sich das „Deutschlandradio“ stets „an den Maßgaben des Deutschlandradio-Staatsvertrags“ und „am jeweils aktuellen wissenschaftlichen Diskussionsstand“ orientiert. Der Hörfunkrat habe die Berichterstattung regelmäßig bestätigt.
Manifest bei manchen Häusern Thema, bei anderen nicht
Beinahe dieselben Worte benutzte der BR: Eine „lebhafte Diskussionskultur“ intern wie extern sei „ausdrücklich erwünscht“. Auch der BR-Sprecher konterte mit dem Hinweis auf die Redakteursausschüsse des ÖRR. Nicht erst seit Corona würden die BR-Redaktionen „ihre journalistische Arbeit intern fortlaufend selbstkritisch diskutieren und evaluieren“. Es gälten die seit Jahrzehnten anerkannten journalistischen Standards.
Der WDR fasste sich ebenfalls kurz: „Gerade mit Blick auf die laufenden Reformprozesse nehmen wir Meinungsäußerungen wahr und stellen uns selbstverständlich auch kritischen Fragen – nach innen wie nach außen“, antwortete ein Sprecher. Das Manifest bilde „in Teilen eine Diskussion ab, die im WDR ebenso wie in den anderen ARD-Landesrundfunkanstalten schon seit vielen Jahren kontinuierlich geführt“ werde. Einen wortgleichen Kurztext schickte das Team Presse und Kommunikation des NDR.
Ähnlich äußerte sich ein Sprecher des rbb. Zum gegenwärtigen „Prozess der grundlegenden Reorganisation und Neuorientierung“ gehöre auch „die offene, interne Aussprache über fast alle Themen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Auf „eine pauschale Beurteilung ‚der‘ Corona-Berichterstattung“ habe man beim rbb allerdings bislang verzichtet. Wegen des Manifests habe es auch keine eigenen Gesprächsrunden gegeben. Beim rbb sei jedenfalls keine einzige Person „wegen des Manifests zur Rede gestellt oder gar gemaßregelt“ worden.
Auch der SR verneinte gegenüber der Epoch Times verbale Repressalien, Auftragskürzungen oder gar Entlassungen von Manifest-Unterzeichnern. Interne Diskussionen um die Anliegen aus dem Papier habe es aber nicht gegeben. Ein SR-Sprecher verwies auf das Leitbild des Saarbrücker Senders. „Die Pandemie war auch aus journalistischer Sicht ein Lernprozess, denn eine Blaupause für diese außergewöhnliche Lage gab es nicht“, räumte der Sprecher ein. „Die während dieser Zeit durchweg hohen Einschaltquoten und Zugriffszahlen auf die Angebote des SR zeigen uns, dass die Menschen im Saarland den SR als DAS Informationsmedium im Land wahrgenommen und dem Sender ein großes Vertrauen entgegengebracht haben“, zeigte sich der Sprecher zufrieden.
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