Erfahrene Seeleute bezweifeln Sicherheit autonomer Schiffe
Die Aufgabenliste eines Seemannes ist lang: Vom Einholen der Segel bis zum Navigieren der Schiffe ist alles dabei. Was früher alles vom Menschen durchgeführt wurde, wird heute immer mehr durch Technik unterstützt oder gar ersetzt. Inzwischen geht es so weit, dass Schiffe völlig autonom in Gewässern unterwegs sind – beispielsweise in Norwegen die „Yara Birkeland“, ein 3.000 Tonnen schweres Frachtschiff. Die Meinungen von Seeleuten dazu ist geteilt.
„Brückenoffiziere verlassen sich auf automatisierte Systeme, die bereits an Bord vorhanden sind, wie etwa fortschrittliche Autopilotsysteme. Es herrscht jedoch große Skepsis, ja fast Misstrauen, dass eine zunehmende Automatisierung und selbstfahrende Schiffe einen positiven Beitrag zur Sicherheit leisten werden“, empfindet Asbjørn Lein Aalberg von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (kurz NTNU).
In seiner Doktorarbeit untersuchte Aalberg die Beziehung zwischen dem beruflichen Engagement von Seeoffizieren und ihrer Einstellung zu autonomen Schiffen. Dafür erstellte er 2023 eine Umfrage, an der über 8.000 norwegische Brückenoffiziere teilnahmen, jene Menschen, die Schiffe bis heute navigieren und lenken. Sie zeigte, dass erfahrene Seeleute nicht uneingeschränkt der Technologie vertrauen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
„Früher oder später muss die Gesellschaft akzeptieren, dass Verkehrsmittel wie Passagierfähren mit wenig oder gar keiner Besatzung an Bord eingesetzt werden“, so die Meinung von Aalberg.
Doch damit dies gelinge, muss die autonome Technik gut trainiert sein – denn sie kann nur so gut sein wie ihr Lehrer. „Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig zu verstehen, was hinter der Skepsis der Seeleute steckt. Wir brauchen ihr Engagement, ihre Bereitschaft und ihr Interesse, um sicherzustellen, dass die Technologie und die Systeme, die entwickelt werden, ihren Zweck erfüllen“, so der Forscher.
Um herauszufinden, warum Seeleute skeptisch gegenüber Autonomie sind, warf Aalberg einen genaueren Blick auf einen Teil der Antworten seiner Umfrage – nämlich jene der 1.789 norwegischen und 227 internationalen Kapitäne und Navigationsoffiziere. Hierbei waren alle Altersgruppen vertreten und die befragten Männer und Frauen hatten bis zu 26 Jahre Berufserfahrung.
Die Brückenoffiziere wurden unter anderem zu folgenden Themen befragt:
- ihre Gedanken und Gefühle bezüglich der Automatisierung von Arbeitsaufgaben
- ihr Vertrauen in die autonome Technologie
- ihr berufliches Engagement und ihren Stolz
- die eigene Managementarbeit im Bereich Sicherheit
- wie hoch ihr Pflichtbewusstsein ist
Der Grund, warum Offiziere die Nutzung von Autopiloten und Co akzeptieren, liege darin, dass sie selbst noch die Kontrolle haben. „Sie haben die Möglichkeit, die Systeme ein- oder auszuschalten, wann immer sie es für richtig halten“, fasst Aalberg zusammen.
Stolz oder berechtigte Vorsicht?
Laut Aalberg waren die kritischsten Offiziere zugleich jene, die sehr stolz auf ihre Arbeit sind und großes Pflichtgefühl gegenüber ihrem Beruf empfinden. Überraschend seien darunter vor allem junge Offiziere, die am wenigsten Vertrauen in Autonomie haben.
„Dieser Stolz kann zu zusätzlichem Misstrauen führen, wenn man mit radikalen Veränderungen konfrontiert wird. Wenn sie sich ihre künftige Karriere vorstellen, haben sie vielleicht das Gefühl, mehr zu verlieren zu haben“, deutet Aalberg die Umfrageergebnisse.
Die Tatsache, dass es derzeit noch nicht viele autonome Schiffe gibt, könnte die Skepsis unterstützen. Hinzu kommen erste Eindrücke und positive Stimmen von Akteuren, die relativ neu oder nicht Teil der maritimen Branche sind. Dies könne bei den Seeleuten Unsicherheit auslösen, sowohl was die Motive als auch die Absichten hinter der Autonomie betrifft, so Aalberg.
Wer soll in Notsituationen entscheiden?
Asbjørn Lein Aalberg hat außerdem 31 norwegische Seeleute an Bord hochautomatisierter norwegischer Passagierfähren zu ihrem Vertrauen in die installierten automatischen Systeme befragt.
Diese gaben unter anderem an, ein mangelndes Vertrauen in die Ausübung professioneller Diskretion im Verkehr sowie die Fähigkeit der Maschinen, echte „Seemannschaft“ zu demonstrieren, zu haben. Zudem glaubten die Befragten nicht, dass die Maschinen Notsituationen gut genug bewältigen können. Vielmehr seien Menschen am besten geeignet, um in komplizierten Situationen Entscheidungen zu treffen.
Alles in allem zeigt die Studie, dass Brückenoffiziere einen klaren Unterschied zwischen Automatisierung und Autonomie machen. Ob sich die Skepsis der Seeleute bestätigt oder widerlegt, könnten künftig nur selbst gemachte Erfahrungen zeigen.
„Wir wissen, dass Seeleute erst Vertrauen gewinnen können, wenn sie die fortschrittlichen Technologien selbst getestet haben. Es reicht nicht aus, wenn Befürworter oder sogar Kollegen positiv über die Systeme sprechen. Sie wollen sie selbst ausprobieren und sehen, ob die Automatisierung dieselben Entscheidungen trifft, die sie auch getroffen hätten“, so Aalberg.
Doch ob autonome Schiffe wirklich den Menschen ablösen, bleibt offen. Viele Forscher sind der Meinung, dass der Mensch auch künftig auf autonomen Schiffen eine entscheidende Rolle spielen wird.
Die Studie erschien am 14. Februar 2024 im Fachmagazin „Journal of Maritime Affairs“.
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