Empfehlung von Faesers Bürgerrat: CORRECTIV soll bestimmen, was Fake News sind

Der Bürgerrat „Forum gegen Fakes“ hat das Ergebnis seiner Beratungen an Innenministerin Nancy Faeser übergeben: Die Forderungen reichen von der Bekämpfung von Desinformationen mittels Einsatz von KI bis hin zu einer zentralen Meldestelle, bei der Bürger Fake News melden können. Der Staat soll zudem überprüfen, ob eine strafrechtliche Verfolgung wegen Falschinformation möglich ist.
Der Internationale Faktencheck-Tag legt das Augenmerk auf die Reichweite und den Einfluss von Falsch-Informationen im Netz.
Wer entscheidet, was Fake News sind?Foto: Jens Kalaene/dpa
Von 20. September 2024

Nancy Faeser hat die Empfehlungen des „Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie“ entgegengenommen. Es ist eine Art „Bürgergutachten zum Umgang mit Desinformation“. Inhalt sind Vorschläge und Maßnahmen zur Bekämpfung von Fake News, die ein Bürgerrat seit Anfang 2024 erarbeitet hat.

Das Gutachten (hier verlinkt) enthält insgesamt 15 Empfehlungen sowie einen Katalog von 28 konkreten Maßnahmen, die von den 120 zufällig ausgewählten Mitgliedern des Bürgerrats entwickelt wurden. Zudem waren 424.000 weitere Personen mittels Onlinebefragungen beteiligt. Die Aufgabenstellung lautete wie folgt: „Fakes und Manipulation von Informationen: Was sollten wir tun, um uns und unsere Demokratie zu schützen?“

Bürgerrat wünscht sich Fake-News-Ranking von CORRECTIV

Neben Maßnahmen wie einer Aktionswoche oder einem Aufklärungsquiz zum Thema oder verpflichtenden Medienkompetenzkursen gibt es einige besonders hervorstechende Vorschläge:

So soll ein Desinformationsranking eingeführt werden, das, so steht es wörtlich im Gutachten, „von einem gemeinwohlorientierten, unabhängigen Medienhaus/Kollektiv (beispielsweise Correctiv)“ aus kontinuierlich gesammelten Daten erstellt werde. Dieses Ranking soll rechtzeitig (2 Wochen) vor stattfindenden Wahlen medienübergreifend veröffentlicht werden. Im Ranking sollen öffentliche politische Aussagen ausgewertet werden.“

Durch diese Maßnahme soll ein demokratischer Prozess ermöglicht und gestärkt werden, der nicht von Desinformation beeinflusst ist. Denn, so schreibt „Forum gegen Fakes“, insbesondere während Wahlkampfphasen zeige sich der Trend, dass ausgehend von politischen Akteuren bewusst Desinformation verbreitet werde. „Diese werden viel zu häufig von der Öffentlichkeit kritiklos aufgenommen und beeinflussen folglich deren politische Meinung, wodurch die Demokratie geschwächt wird.“

Zentrale Meldestelle für Bürger

Unter den Vorschlägen befindet sich ebenfalls die Schaffung eines freiwilligen Siegels für qualitativen Journalismus. Dieses soll das Vertrauen in die Medien stärken und gegen Desinformation wirken. Ein vorgeschlagenes, mögliches Kriterium für das Siegel soll unter anderem „bekanntes Verbreiten von Desinformation“ sein.

Auch die „Schaffung einer zentralen Stelle zu Desinformation“ steht auf der Forderungsliste des „Forum gegen Fakes“. Die Stelle könnte in der gemeinsamen Geschäftsstelle der unabhängigen Medienanstalten angesiedelt sein, so der Vorschlag, und solle „Anlaufstelle für Bürgerinnen/Bürger & Journalistinnen/Journalisten zur Meldung und Beratung zu Desinformation sein“. Die Institution darf nicht zur Überwachung ausgenutzt werden, fügt das Forum an, müsse aber mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Eine ebenfalls geforderte Stabsstelle Desinformation vom BMI könnte laut dem Forum bei der „Anlaufstelle zu Desinformation“ angesiedelt sein.

Fünf Minuten Bedenkzeit vor dem Posten

Auch für die Nutzung von Social Media gibt es Vorschläge. So sollen die großen Plattformen jedem User einmal pro Monat zwangsweise einen Beitrag zur Aufklärung über Desinformation vorspielen, der nicht einfach weggeklickt werden kann.

Außerdem soll es vor dem Posten eine „angemessene Bedenkzeit“ von zwei bis 5 Minuten für alle Inhalte auf Social-Media-Plattformen geben. Innerhalb dieser Bedenkzeit soll eine KI den Inhalt auf mögliche Desinformation überprüfen, „beispielsweise im Hinblick auf Schlagwörter, welche auf sensible Themen (wie Wahlbeeinflussung, Migration) hinweisen“.

Besteht ein Verdacht auf Desinformation, soll ein Warnhinweis erscheinen, welcher darauf aufmerksam macht, dass der Inhalt nicht unbedenklich ist, so der Wunsch des Bürgerrats. Sollte sich der Verfasser dennoch fürs Posten entscheiden, soll der Inhalt zurückgehalten und durch die Plattform final geprüft werden. Wenn diese den Beitrag als Desinformation einstuft, wird der Post nicht veröffentlicht.

Als Begründung für diese Maßnahmen gibt der Bürgerrat an, dass es allgemein noch zu wenig gesetzliche Regelungen im Bereich Social Media gebe, um negative Auswirkungen wie die Verbreitung von Desinformation einzudämmen. Dies wird nicht als Beschränkung der Meinungsfreiheit gewertet. Vielmehr seien die Vorschläge ein Hilfsmittel, um schädliche Desinformation zu vermeiden und damit die Demokratie zu schützen.

Alles für die Meinungsfreiheit: Bürgerrat empfiehlt Straftatbestand Desinformation

Final will der Bürgerrat von der Bundesregierung, dass sie prüfen soll, ob auf Grundlage der Definition von Desinformation eine strafrechtliche Verfolgung oder anderweitige Sanktionierung möglich ist. Das heißt, Desinformation sollte Straftatbestand werden. Die Begründung des Bürgerrates für dieses Ansinnen:

Uns ist wichtig, dass die Meinungsfreiheit gewahrt wird. Trotzdem soll vor der Erstellung und Verbreitung von Desinformation abgeschreckt und das Unrechtsbewusstsein der Täterinnen und Täter erhöht werden.“

 

Bertelsmann und Ampelregierung: „Gefahr für Demokratie“

„Forum gegen Fakes“ wurde von der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und anderen Initiativen ins Leben gerufen. Bertelsmann liefert auch die untermauernde Studie dazu: „Wie gefährlich Desinformation ist: 81 Prozent der Menschen, die wir für unsere Studie ‚Verunsicherte Öffentlichkeit‘ befragten, sehen Desinformation als eine Gefahr für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Seit Anfang 2024 haben die 120 Teilnehmer des Bürgerrats „Forum gegen Fakes“ neun volle Arbeitstage in Berlin und vor dem Bildschirm zu Hause verbracht, um dem Innenministerium Impulse zu geben. Nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen entscheidet der Bundestag, wie er mit den Ergebnissen umgeht. Der Bürgerrat selbst hat nichts zu entscheiden.

Simulierte Bürgerbeteiligung oder lebendige Demokratie?

2023 wurde der erste Bürgerrat auf den Weg gebracht. Das Thema war damals Ernährung. Die Regierung wollte damit „unsere parlamentarische Demokratie stärken und mehr Teilhabe ermöglichen“, wie sich die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) laut „t-online“ ausdrückte. Bis 2025 sollen für Bürgerräte bis 6 Millionen Euro Steuergelder ausgegeben werden.

Der Ansatz wird kontrovers diskutiert. In der Union gibt es die Befürchtung, dass Bürgerräte „die Bedeutung von Parlamenten unterminiert“, wie die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte. Auch der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor warnte, legitime Bemühungen um mehr Bürgerbeteiligung dürften „nicht zu einer fortschreitenden Erosion des Konzepts der repräsentativen Demokratie führen“.

Eine spannende Debatte zum Thema Bürgerräte oder Volksentscheide haben vor Kurzem der Philosoph Andreas Urs Sommer und der Journalist Timo Rieg geführt. Das Magazin „der Freitag“ fasst Teile des Gesprächs zusammen. Für den in der Schweiz geborenen Sommer sind Bürgerräte nicht der richtige Weg, die Demokratie zu stärken:

Bei aleatorischen Varianten [Zufallsauswahl] haben wir wieder einen sehr eingeschränkten Entscheiderkreis und damit das gleiche Problem wie bei der repräsentativen Demokratie. Die Beratung wäre abgeladen bei den ‚Happy Few‘, die ausgelost sind, die intensive Zeit miteinander verbringen und dann besser informiert sind als ich. Der demokratische Prozess wäre wieder delegiert, und ich bin in meiner Mündigkeit nicht ernst genommen. Ich bezweifle auch das Argument der Ressourcensparsamkeit. Wir sollten das Politische nicht nur in der Entscheidung sehen, sondern vor allen Dingen im Prozess der Entscheidungsfindung. Im schweizerischen Kontext habe ich oft beobachtet, dass Leute zu Beginn einer Abstimmungskampagne eine andere Position vertreten haben als dann am Tag der Entscheidung. Dieser lange Deliberationsprozess erscheint mir sehr wichtig. Warum sollten wir darauf verzichten und ihn den ‚Happy Few‘ überlassen?“

Timo Rieg argumentiert hingegen, dass Bürgerräte durchaus sinnvoll sein können, „um über Themen entscheiden [zu] lassen, die viel zu klein, zu komplex oder sonst irgendwie ungeeignet für eine Volksabstimmung sind. Fragen, zu denen die meisten Menschen keine Meinung haben, für die sie sich auch gar nicht interessieren, irgendein Unterkapitel im Denkmalschutz oder eine Detailänderung im Steuerrecht.“

Bester Schutz vor Desinformation: Meinungs- und Pressefreiheit

Für die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ)  sind „noch fragwürdiger als die pseudorepräsentativen Bürgerräte […] die inhaltlichen Vorschläge“. Diese liefen beim aktuellen Bürgerrat „Forum gegen Fakes“ in vielen Fällen auf Zensur hinaus, „obwohl Artikel fünf des Grundgesetzes eine solche ausdrücklich ausschliesst“.

„Welt“-Autor Frédéric Schwilden kommentiert die Ergebnisse des „Forum gegen Fakes“ als „zutiefst autoritäre Fantasien von Menschen, die glauben, sich auf der höchsten menschlichen Erleuchtungsstufe zu befinden“. Hinzu komme, dass CORRECTIV, das auch mit Staatsgeldern finanziert werde, vom Bürgerrat als gemeinwohlorientiertes und unabhängiges Medienhaus bezeichnet werde. Schwildens Fazit:

Der beste Schutz vor Desinformation ist: Freiheit. Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit.“



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