„Einer, der nicht nach Utopia wollte“
Der deutsche Philosoph Dr. Jan Bentz, Mitherausgeber der neu erschienenen Festschrift „Einer, der nicht nach Utopia wollte: Thomas Molnar zum 100. Geburtstag“ spricht über die Schwierigkeiten und Gefahren, die entstehen, wenn die Politik utopische Zukunftspunkte definiert und die Gesellschaft darauf zuarbeiten lässt.
Herr Bentz, was hat Sie dazu bewogen, sich mit dem unbekannten Philosophen Thomas Molnar zu beschäftigen?
Über Molnar wurde gesagt, dass er unbekannt und ungehört ist, allerdings war er für mich eine Entdeckung, und ich wollte diese und die Freude darüber mit einem breiteren Publikum teilen. Molnar war ein konservativer ungarischer Philosoph.
Was er über die europäischen politischen Ereignisse schreibt, lässt sich eigentlich auf den ganzen europäischen Kontinent anwenden. Er hat über 40 Bücher geschrieben. Ihn zeichnen auch sein auf Deutsch übersetztes Werk „Kampf und Untergang der Intellektuellen“ und seine Kritik an der Utopie aus.
Was soll der Titel „Einer, der nicht nach Utopia wollte“ aussagen?
Utopie wird als ein Idealzustand der Gesellschaft gehandhabt. Dann ist es natürlich erst mal verwunderlich, warum jemand nicht in die Utopie hinein will. Worauf der Titel hinweisen soll, ist, dass Molnar der Utopie gegenüber kritisch gesinnt war, wobei das Buch ein viel breiteres Spektrum hat.
Molnar wollte nicht nach Utopia – das erschließt sich aus seiner Kritik daran, dass in der Politik die Utopie zur Methode umgewandelt wird. Der gesellschaftliche Idealzustand als politisches Instrument kann gefährlich werden, da er immer eine Definition beinhaltet, wie die politische Realität zu sein hat, und natürlich auch die Realität des einzelnen Menschen. Das birgt sehr viele Gefahren, denn es stellt sich die Frage, wer darüber entscheiden darf. Wer darf definieren, wie die Realität zu sein hat?
Leben wir derzeit in einer Utopie?
Wir leben in einer Zeit, in der die Utopie von Politikern angepriesen wird. Das kann man im täglichen Leben, wenn man die Nachrichten liest, relativ schnell feststellen.
Es gibt immer wieder einen Zukunftspunkt, der mehr oder weniger willkürlich gesetzt wird und auf den es hinzuarbeiten gilt. Zum Beispiel Agenda 2030, die Energiewende oder die Abschaffung der Atomkraft.
Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Realität der Bürger und der ganzen Gesellschaft. Denn in der Zuarbeitung auf diesen Zukunftspunkt hin wird sehr viel auf der Strecke gelassen. Es wird sehr viel zerstört, was eigentlich hätte bestehen bleiben müssen.
Hier ist ein extremes Beispiel, das ich in meinem Beitrag im Buch erwähnt habe: Eco Utopia, also dass es ein Land geben soll, das komplett CO₂-frei ist, beziehungsweise das sich komplett aus erneuerbaren Energien speisen kann. Jetzt mal unabhängig von den wirtschaftlichen Implikationen, die das birgt, stellt sich die Frage nach dem Geldfluss. Also wenn wir alle nur erneuerbare Energien fördern, wo fließen dann die Gelder de facto hin? Die Gelder fließen in die Windkraft, in die Wasserkraft.
Damit werden zum Beispiel Windkrafträder subventioniert, die teilweise überhaupt keine nachhaltige Energie liefern können. Gerade jetzt sehen wir die Probleme, zum Beispiel die Überspannung des Stromnetzes, die Nicht-Speicherfähigkeit dieser Energien und so weiter. Atomkraft wird völlig ignoriert und es werden auch keine Gelder mehr in die Forschung, zum Beispiel in eine bessere Absicherung von Atomkraftwerken investiert.
Das bedeutet, mit der Definition eines Zukunftspunktes wird aus dem Nichts einfach eine Realität geschaffen, die dem Denken eines Politikers oder einer politischen Strömung entspringt, was aber bereits heute und morgen direkte Konsequenzen nach sich zieht, mit denen Sie vielleicht gar nicht einverstanden sind.
Der Wähler oder der Bürger wird dann vertröstet mit dem Spruch: „In der Zukunft wird es besser werden. Dann wird der Punkt erreicht sein, wo wir wirklich keinen CO₂-Ausstoß haben, wo alle Energie erneuerbar ist.“
Aber wir leben heute noch nicht in diesem Moment. Das heißt, man lebt immer in einer Diskrepanz zwischen jetziger Realität und zukünftiger Utopie. Das ist die Gefahr, die sich birgt, und auch, wer diesen utopischen Punkt in der Zukunft definieren darf.
Welcher Weg hat uns hier hierhergeführt?
Da gibt es viele Faktoren. Ein Faktor, den Molnar aufgreift, ist die Klasse der Intellektuellen oder der Experten. Molnar beschreibt, dass der Aufgang der Intellektuellen vor allem im 19. Jahrhundert mit ihrer Fähigkeit verbunden war, soziale Veränderung einzuführen.
Er argumentiert, dass seit der Französischen Revolution diese Intellektuellen eine gesellschaftliche Revolution umgesetzt haben. Erst durch die französische Aufklärung, die dann ja auch in anderen Ländern wie in Deutschland einen Ableger hatte. Und so haben sich die Intellektuellen etabliert. Darunter darf man nicht Akademiker oder Philosophen verstehen, sondern eine Klasse von Denkern, die einen sozialen Wandel schaffen wollen.
Molnar sieht den Niedergang dieser Intellektuellen darin begründet, dass sie sich mit Kräften des sozialen Wandels verbündet haben, die destruktiv waren. Er nennt ganz klar den Nationalismus, Sozialismus, Kommunismus und den Nationalsozialismus. Und das war eigentlich der Untergang, der die Klasse der Intellektuellen zu Fall gebracht hat.
Allerdings existiert natürlich die Klasse der Intellektuellen weiter. Und was mich sehr beeindruckt und gleichzeitig verwundert, ist, dass heute diese Prinzipien der sozialen Revolution, die eigentlich dem Marxismus zugeschrieben werden, nicht von einfachen Arbeitern umgesetzt werden, wie man sich das vielleicht romantisch von den Marxisten vorstellt.
Vielmehr werden diese marxistischen Revolutionen von oben umgesetzt, das bedeutet von den reichsten der Gesellschaft und von den reichsten des ganzen Globus. Diese Eliten sind sozusagen die neuen Intellektuellen. Sie arbeiten mit schönen Theorien und utopischen Träumen, die sehr schön scheinen, aber keinen Inhalt haben.
Und wie sind wir dort hingekommen?
Ich denke, ein Faktor, gerade in Deutschland, liegt in der Frankfurter Schule und dem Marsch durch die Institutionen, den sie angestrebt hat und jetzt praktisch erfolgreich abgeschlossen hat, sodass wir nun von oben herab marxistische Ideologie indoktriniert bekommen. Das ist eine Ursache. Ich bin mir sicher, dass es nicht die einzige ist, aber eine, die ich mit Molnar gut argumentieren kann und die man nachweisen kann.
Wo sehen Sie diese sozialistischen Einflüsse?
Auf globalistischer Ebene gibt es viele, zum Beispiel der Einheitslohn oder Grundlohn, dann die Gleichmacherei von Menschen, die ideologisch geprägt ist. Dazu zählt die Umsetzung der Genderideologie, die ein Menschenbild von einer winzigen Gruppe auf eine riesengroße oktroyiert, das heißt sozialisiert und sozialistisch umsetzt.
Ebenfalls gab es in der ganzen Gesundheitsfrage während der Coronasituation viele Bestrebungen, die einem Sozialismus glichen, also Kontrollen und Bestrafungen für Nichtbeachtung der Regeln, die aber völlig irrsinnig waren. Es gab Strafen, wenn man nicht mit einer Maske am Strand saß, wo sich jeder normale Mensch an den Kopf fasst.
Worauf ich den Schwerpunkt lege, ist dieser Kulturmarxismus, dass der Sozialismus vor allen Dingen in der Kultur der Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Destruktive Kunst ist vorherrschend. Es gibt den Dekonstruktivismus in der Architektur, das völlige Fehlen von guten Inszenierungen, von Opern und so weiter. Es wird alles nur auf den geringsten gemeinsamen Nenner reduziert. Im Grunde ist das ein sozialistisches Anstreben.
Ist die Kritik aktuell, dass sich viele Intellektuelle zum Sozialismus hingezogen fühlen?
Deswegen haben wir dieses Buch herausgegeben. Mit meinem Kollegen Jochen Prinz denken wir, dass diese Kritik auf brisanteste Weise aktuell ist. Denn alles, was Molnar schreibt, lässt sich eins zu eins auf die heutige Zeit anwenden.
Ein weiteres Buch von ihm, relativ kurz, mit nur 121 Seiten, kann ich empfehlen. Es heißt „Die Linke beim Wort genommen“. In diesem Buch zeigt er, wie die kulturelle Herrschaft der Linken entstanden ist. Man liest es und jede Seite beschreibt eigentlich das Jahr 2022, was ziemlich beeindruckend ist, denn es hat an Aktualität nichts verloren. Deswegen kann ich Molnar den Lesern durchaus ans Herz legen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 59, vom 27. August 2022.
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