Die Oligarchie der Woken – eine Gefahr für Demokratie und Gesellschaft?
Der Journalist Harald Martenstein war lange Jahre Kolumnist beim „Tagesspiegel“, bis die Zeitung eine seiner Kolumnen für nicht tragbar hielt und löschte. Der Autor verließ daraufhin das Blatt und wechselte zur „Welt“, wo er zusätzlich als Gesprächspartner in bewegten Bildern von „Welt-TV“ zu sehen ist.
Zunächst also ein internes mediales Drama mit Happy End, wie es zuletzt öfter vorkam. Kollege Jan Fleischhauer ging den Weg vom „Spiegel“ zum „Focus“ und Ralf Schuler von der „Bild“ zu Julian Reichelts neuem YouTube-Imperium.
Martensteins Meinung wird bei der „Welt“ mehr geschätzt, als zuletzt beim „Tagesspiegel“, so auch zum Thema „Wokeness“. Ein kurzer Ausschnitt aus einem etwa sechs Minuten langen Martenstein-Kommentar vom 20. November 2022 ergatterte bisher über 1,5 Millionen Aufrufe, Tendenz steigend.
Was interessiert so viele Zuschauer daran? Martenstein warnt vor einer Durchdringung der Gesellschaft mit der woken Ideologie, er warnt vor der Wokeness, vor dem Wokeismus:
„Die Woken aber sitzen zum Teil in der Regierung. Sie haben Organisationen, die üppig mit Staatsgeldern finanziert werden. Sie sind also der Macht schon recht nahe gekommen. Und das macht sie gefährlich. Wenn Leute, die Widerspruch nicht dulden möchten und die diejenigen, die anders drauf sind als sie, pauschal in so eine illegitime Ecke schieben, also letzten Endes Opposition zu etwas Illegitimen machen. Wenn die in der Nähe der Macht sind, dann ist das gefährlich.“
Spannend dürfte die Frage sein, ob es aktuell mehr Menschen gibt, die sich haltungstechnisch dem Wokeismus zuordnen, oder solche, welche den Begriff als eine die Gesellschaft durchdringende Ideologie verwenden und ablehnen.
Autor Niklas Brauer schreibt für „Achse des Guten“ über die monopolistische Internet-Enzyklopädie: „Wikipedia: Die woke Transformation von Wissen“.
Ironie der Geschichte: Der Wikipedia-Artikel über Wokeismus bedient Brauers Vorwurf der Transformation noch. In einem Absatz über „Anti-Wokeness und Backlash“ heißt es dazu nämlich erklärend:
„Konservative und Rechte versuchen dabei, eine „moralische Panik“ über Wokeness“ zu erzeugen. Bemühungen gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Transphobie werden als „abartig, verrückt, gefährlich und als unmittelbare Bedrohung“ für die heimische Lebensweise dargestellt. In diesem Zusammenhang wird z. B. vor einem „woken Irrsinn“ gewarnt. Aktivisten werden als „woker Mob“ abgewertet oder als Teil einer abgehobenen „woken Elite“, die im Gegensatz zu „der Bevölkerung“ stehe.“
Harald Martenstein – hier in der Langversion seines Auftrittes bei „Welt-TV“ – bezieht sich mit seiner beißenden Kritik auf einen Artikel der Ex-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), die, wie Martenstein auch, ebenfalls Kolumnistin der „Welt“ ist.
Ex-Familienministerin eröffnet innerhalb der CDU eine Denkfabrik-21
Frau Schröder hatte vor drei Wochen gemeinsam mit weiteren Autoren einen Meinungsartikel veröffentlicht mit dem unmissverständlichen Titel „Das woke Deutschland bedroht unsere Freiheit“. Kristina Schröder tritt hier auch als Initiatorin einer jungen Denkfabrik 21 innerhalb der CDU auf, die neue Konzepte bürgerlicher Politik entwickeln will. Der Artikel will hier formgebend sein für die inhaltliche Ausrichtung des Thinktanks.
Die Woken sind für Schröder und ihre Mitstreiter „die Feinde der liberalen Demokratie“, schreibt sie und definiert für ihre Leser den Begriff „woke“: Woke bedeute „erwacht“ und sei eine Selbstbezeichnung von Linken, die sich im Besitz der moralischen Wahrheit glauben.
Für Schröder agiert die woke Linke auf Augenhöhe mit der radikalen Rechten: Beide ständen für eine identitäre Politik, „die nicht vom Individuum ausgeht, sondern von Gruppenzugehörigkeiten aufgrund ethnischer, sexueller, sozialer oder kultureller Merkmale.“
Hier die Opfergruppe, dort der völkische Ansatz, erzählt der Artikel in der „Welt“-Rubrik Debattenkultur weiter.
Ein Hauptanwurf von Schröder lautet, die woke Linke nähme eine Art Täter-Opfer-Umkehrung vor: „Diskriminierung von Opfergruppen in der Vergangenheit“ wolle man mittels einer „Diskriminierung von Angehörigen der vermeintlichen Tätergruppen“ bekämpfen.
Aus Sicht der Thinktank-21-Autoren diffamiert die woke Linke Kritik durch Moralisierung: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, ist „homophob, islamophob, transphob oder (wird) als rassistisch stigmatisiert.“
„taz“-Kolumnistin Anna Dushime beschwerte sich im Juli 2022 darüber, dass es seit einiger Zeit bei einigen links-liberalen Menschen Trend geworden sei, „sich medienwirksam von der sogenannten woken Bewegung abzuwenden.“
Dushime behauptet nun ihrerseits – wäre es nicht so abgedroschen, könnte man diese Vorgehensweise Whataboutism nennen – die Kritik am Wokeismus sei ein Geschäftsmodell der Rechten:
„Dass die Springer-Presse und alle von konservativ bis rechts auf die „Wokisten“ einschlagen, gehört ja schon länger zum guten Ton und ist sogar ein lukratives Geschäftsmodell geworden. Neu ist aber die Abkehr von einigen, die sich bislang sogar selbst zu den Woken zählten.“
Bevor Wokeness zum Gespött gefühlt aller geworden sei, hätte der Begriff für ein Bewusstsein für rassistische Diskriminierung gestanden, so die farbige „taz“-Kolumnistin weiter. Und gespielt unsicher fragt sie ihre Leser: „Klingt vielleicht ein bisschen nach Zeugen Jehovas, aber grundsätzlich ist es richtig, oder?
Ob nun zufällig oder bewusst, jedenfalls ohne sich auf Frau Dushime zu beziehen, greift Martenstein den Dushime-Vergleich im „Welt“-Video auf:
„Die Zeugen Jehovas sind total rational verglichen mit diesen Woken.“
Für die meisten Menschen stehe Wokeness, so Martenstein, zunächst für das Gendern, das falle vielen auf. Auch wären Mann und Frau bei den Woken nur noch ein soziales Konstrukt. Der Kolumnist kritisiert zudem, dass entlang einer woken Ideologie alle Menschen heller Hautfarbe automatisch per Geburt Rassisten sein sollen.
Von der „Welt“-Moderatorin auf weitere Beispiele angesprochen, nennt Martenstein die Schauspielerei, die abgeschafft werden soll. Er kommt darauf, weil er gehört hatte, dass man in Hollywood dazu übergegangen sei, Schwule nur noch von Schwulen und Behinderte nur noch von Behinderten spielen zu lassen.
DDU – streicht Merz bald „christlich“ gegen „divers“?
Besonderes Kennzeichen des Wokeismus ist für Harald Martenstein, dass Kritiker diffamiert und ihre Veranstaltungen verhindert werden, was jedenfalls auf ein gebrochenes Verhältnis zur Meinungsfreiheit verweise.
Martenstein vergleicht die woke Ideologie mit dem Rechtsradikalismus: Letzterer wäre „Gottseidank tabuisiert, Wokeness aber eher nicht.“
In einem weiteren Text-Beitrag gibt Martenstein der CDU den Ratschlag, nicht mit den woken Schmuddelkindern zu spielen, die würden nie beste Freunde der Partei werden:
„Sie wird von ihnen, solange sie sich nicht vollständig unterwirft, immer als Feind angesehen, delegitimiert und bekämpft werden.“
Martenstein traut Parteichef Friedrich Merz zu, so schreibt er, das Wort „christlich“ aus dem Parteinamen zu streichen und durch „divers“ ersetzen zu lassen. Hin zur DDU also?
Martenstein sieht die woke Ideologie „bereits in der Regierung“ sitzen.
„Sie dominiert zahlreiche Medien. Sie kann Kampagnen führen, Personen zu Unpersonen machen, Tabus errichten, sie sitzt an den Fördertöpfen, Geld ist kein Problem“ und die „Machtergreifung ist bereits in vollem Gang.“
Wem das alles immer noch zu schwammig erscheint, dem gibt der Autor noch ein weiteres Merkmal mit auf den Weg, wie jeder im Alltag Wokeismus erkennen kann:
„Das, was Demokratie im Kern ausmacht, ist das Prinzip ‚Gleiches Recht für alle‘. Diese friedensstiftende, vernünftige und menschenfreundliche Regel ist fast immer das Erste, was in einer Diktatur, egal welcher Couleur, abgeschafft wird. Sie wird auch von den Woken bekämpft.“
Wahnvorstellungen versus wokes deutsches Paradies
Der Autor glaubt zudem zu wissen, wie die Welt von morgen aussehen könnte:
„Die Gesellschaft verwandelt sich wieder in einen Ständestaat, gegliedert in Gruppen, mit und ohne Privilegien, in ein angebliches Gut und Böse.“
Abschließend soll hier noch einmal die „taz“-Kolumnistin Anna Dushime zu Wort kommen. Dushime ist deshalb erhellend, weil sie in ihrem heiligen Furor nach beiden Seiten auskeilt, während sie sich über Wokeismus in Deutschland auslässt:
„Es ist naheliegend, dass Konservative bis Rechte den Begriff sinnentleerten, mit Wahnvorstellungen füllen und als Vermarktungstool für ihre schlechten Bücher und noch schlechteren Debatten verwenden. Aber es hat was Eklig-Opportunistisches, wenn Menschen, die von der Aufklärung, die die sogenannte woke Bewegung nach Deutschland gebracht hat, profitiert haben, sich jetzt von ihr abwenden und darüber Kolumnen und Bücher schreiben.“
In Richtung der Kritiker wird zunächst erwartungsgemäß diffamiert. Aber obendrauf gibt’s noch eine Warnung an die linke Gemeinde: Der Wokeismus hat euch groß gemacht und eure Bücher diktiert. Wer sich jetzt abwendet, ist ein Verräter!
Kristina Schröder richtete in Berlin einen Kongress „Wokes Deutschland – Identitätspolitik als Bedrohung unserer Freiheit“ aus. Dort trat auch der Kabarettist Dieter Nuhr auf und beschrieb die Sache mit dem Wokeismus so: Eine „machtvolle kleine Elite“ versuche zu steuern, gegen „einen Großteil der Bevölkerung.“
Die Woken nahmen diese vermeintliche Steilvorlage gerne an und zack wurde gegenüber Schröder, Nuhr und anderen ein Antisemitismus-Vorwurf formuliert, also ein Versuch unternommen, die eigentliche Debatte um die Nähe der Woken zu Rechtsradikalen zu unterdrücken – eine Nähe, die laut Schröder auf der „Identitätspolitik als Bedrohung unserer Freiheit“ beruht.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion