Die Beherrschung eines Handwerks formt auch uns selbst

Woher kommt die Zufriedenheit, etwas mit den eigenen Händen erschaffen zu haben? Kann es sein, dass das Abhandenkommen dieses Gefühls, auch wenn es viel Mühe und Anstrengung kostet, das ist, was den „modernen Menschen“ oft rastlos sein lässt? Ein Essay über den Sinn und den Wert, traditionelle Gewerke und Fertigkeiten zu erlernen.
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Mit eigener Hände Kraft.Foto: Tatiana Buzmakova/ iStock
Von 21. August 2024

Laut Socrates liegt die Wurzel des Menschseins in der Fähigkeit und der Aufgabe, „sich um Dinge zu kümmern.“ Eine Möglichkeit, dies umzusetzen, sind das traditionelle Handwerk und alte Kulturtechniken – sei es Holzbearbeitung, Tierhaltung, Weben, Brotbacken, Töpfern, Buchbinden oder auch die Kunst eine Herrenfliege zu binden.

All diese Tätigkeiten verlangen von uns, dass wir hingebungsvoll mit der Materie und den Gegenständen arbeiten. Nur so können wir ihre Vollkommenheit entdecken, sie in ihrer Schönheit zur Geltung bringen und erleben, wie sie uns dadurch umfassend nützen.

Wir „kümmern“ uns um die Materialien in dem Sinne, dass wir das Beste aus ihnen herausholen, das in ihnen schlummert und bringen gleichzeitig damit das Beste in uns zum Vorschein.

Der Werkende im Dienst seines Werks

Am ehesten wird dies bei der Tierhaltung deutlich. Hier kümmern wir uns um anderes Leben, erhalten es gesund.

Aber auch ein Stück Holz hat das Potenzial, an Schönheit und Bedeutung zu gewinnen. Mit einem geschulten Auge, künstlerischer Intuition und einer ruhigen Hand kann der Tischlermeister dieses Potenzial zur Entfaltung bringen.

Der Philosophieprofessor und Selbstversorger John Cuddeback drückt es folgendermaßen aus: „Ein Handwerker zu sein […] greift eine der großen Fragen des Lebens auf: Möchte ich meinen Verstand nützen, um mich um Dinge zu kümmern, die auf einer bestimmten objektiven Realität beruhen? […] Wir entdecken manche schönen Dinge und erkennen, dass wir, um sie zum Leuchten zu bringen, mit der ihnen innewohnenden Wahrheit arbeiten müssen. Indem wir das tun, bringt es auch zum Vorschein, wer wir wirklich sind. Auf diese Weise können wir letztlich auch anderen Menschen dienen.“

Cuddeback unterstreicht, dass die wichtigste Art „uns um andere zu kümmern“, darin besteht, dass wir den Bedürfnissen der anderen dienen. Dies ist ein weiterer Zweck traditionellen Handwerks. Der Tischler stellt einen Stuhl her, der das körperliche Bedürfnis – einen Platz zum Sitzen – und das ästhetische Bedürfnis nach Gestaltung und Schönheit eines Menschen befriedigt.

Der Bäcker füllt die Mägen der Hungrigen und schafft zugleich ein kunstvolles Produkt. Auch der Viehzüchter ernährt und kleidet die Menschen. Traditionelle Handwerkskunst verwandelt die verwendeten Materialien, und obendrein den Handwerker und den Adressaten.

Es ist nicht schwer zu erkennen, wie traditionelles Handwerk uns ermöglicht, anderen zu dienen und unsere Materialien zu veredeln. Doch zu verstehen, wie das Arbeiten in einem Handwerk den Schaffenden selbst vervollkommnet, erfordert eine tiefere Reflexion.

Das Handwerk formt den Handwerker

Zunächst einmal verbindet uns das Ausüben traditionellen Handwerks uns mit unserem Erbe und bringt uns zurück zu unseren Wurzeln. Man bedenke, dass Menschen schon Töpferwaren herstellten, bevor die Große Pyramide von Gizeh errichtet wurde.

Die Grundnatur vieler traditioneller Gewerke hat sich über Jahrhunderte – ja, sogar Jahrtausende – kaum verändert, weil die Grundbeschaffenheit des Materials gleich geblieben ist.

Holz zu schnitzen oder einen Korb zu flechten, im Wesentlichen mit denselben Werkzeugen, die unsere Vorfahren verwendeten, verbindet uns mit ihren Erfahrungen und mit den unveränderlichen Aspekten des menschlichen Lebens.

Traditionelles Handwerk offenbart eine Wahrheit über uns selbst: Es liegt in unserer Natur, dass wir Menschen Macher, Handwerker, Erfinder und Künstler sind. Wir gestalten die Welt um uns herum. Außerdem war das Handwerk, das für viele von uns heutzutage Hobby ist, für unsere Vorfahren einst überlebenswichtig.

Indem wir es ausüben, werden wir an ihre harte Arbeit erinnert und wie fragil ihre Existenz war – und in Wirklichkeit auch unsere eigene ist, auch wenn gut gefüllte Supermärkte und elektrische Beleuchtung diese Tatsache angenehm weit weg aus unserer Gedankenwelt drängen.

Mit den Händen zu arbeiten, bereichert uns körperlich und geistig. Handwerk erdet uns fest in der Realität, erinnert uns an unsere Grenzen und bringt uns etwas über die Natur der uns umgebenden Welt bei.

Der französische Bildhauer und Schriftsteller Henri Charlier stellte fest: „Mit jedem Schlag […] stößt der Hammer auf eine Natur der Dinge, die auf erstaunliche Weise die Intelligenz formt, nicht nur in Bezug auf die praktische Seite, sondern auch in Bezug auf die Betrachtung der Natur und den Geist der Dinge.“

Ein Handwerksmeister verfügt durch seine Arbeit über eine gewisse Weisheit, ein gewisses tiefes intuitives Wissen über die Funktionsweise der Welt, das über sein individuelles handwerkliches Können hinausgeht. Es kann sogar, auf gesunde Art und Weise, seine Betrachtung abstrakter oder philosophischer Wahrheiten prägen.

Ein gutes Handwerk verbessert die Geschicklichkeit, die Hand-Augen-Koordination und dergleichen. Ein Freund erzählte mir, dass die historische Vorstellung von einem Werkzeug darin bestand, dass es eine Erweiterung des Körpers ist, nicht ein Ersatz für ihn.

Vielleicht ist das der Grund, warum wir eine so tiefe Befriedigung verspüren, wenn wir etwas mit den eigenen Händen schaffen. Es ist eine Erweiterung von mir selbst. Eine Forelle mit einem selbst gemachten Köder zu fangen ist reizvoller, als einen Fisch mit einem gekauften Köder zu angeln.

Gut Ding braucht Weile

Ein Teil der Zufriedenheit, die mit dem Handwerk einhergeht, dürfte mit der Zeit und Ausdauer zu tun haben, die wir dafür aufbringen müssen. Handwerk lehrt uns Geduld und Demut. Materialien widersetzen sich unseren Bemühungen. Dinge zerbrechen. Wir machen Fehler. Wir fangen von vorne an.

In Wahrheit können wir unsere Welt nur Stück für Stück formen, mit beständiger, andauernder Anstrengung, im Schweiße unseres Angesichts.

Handwerkliches Können geht Hand in Hand mit der Kunst des langsamen Lebens – es gibt keine „Abkürzungen“. Das Tempo dieser Arbeit erinnert uns daran, langsamer zu werden, uns zu konzentrieren, den Moment zu schätzen und zu erkennen, dass die meisten lohnenswerten Dinge Zeit brauchen und nicht sofort passieren.

Cuddeback reflektiert diese Wahrheit in Bezug auf die Gartenarbeit und lässt sich dabei von dem antiken Philosophen Xenephon inspirieren: „Die Erde, so Xenophon, ‚tut den Menschen einen Gefallen, je nachdem, wie gut sie ihr dienen‘. […] Es ist, als ob die Erde dazu bestimmt ist, aus uns eine gute Haltung herauszulocken. Genau die Haltung, die für uns Erfüllung sein wird. Die Erde erfordert ausdauerndes Bemühen und die Bereitschaft, zu beobachten und zu lernen, sich neu auszurichten und neu zu beginnen. Es verlangt von uns eine Haltung der Fürsorge […]. Eine solche Haltung wird immer belohnt. Alles zu seiner Zeit.“

Letztlich kann eine handwerkliche Arbeit ein künstlerischer Ausdruck sein, da man einer Idee eine Form gibt und etwas mit persönlicher Bedeutung und individueller Schönheit schafft. Es ist nicht nur nützlich. Es ist ein zutiefst menschlicher und humanisierender Akt.

Ein Schwein kann vielleicht mit jeder Art von Unterstand auskommen. Ein Mensch braucht etwas, das seiner Natur entspricht. Da er ein Verständnis von Wahrheit, Schönheit und Güte hat, braucht er ein ästhetisches Zuhause.

Massenproduzierten Gegenständen fehlt diese persönliche Note, die Bedeutung und die Individualität, die ein handgefertigter Gegenstand besitzt. Manchmal sind es gerade die Unvollkommenheiten eines handgefertigten Objekts, die ihm Charakter verleihen.

Ein fabrikgefertigtes Produkt kann das niemals haben. Ein in Massenproduktion hergestelltes Kanu ist überall gleich, unabhängig von Zeit und Ort, während ein von Hand gefertigtes Kanu nicht kopiert werden kann. Dies spiegelt die einzigartige Natur jeder menschlichen Person und jeder Kultur auf der Welt besser wider. Denn keine von ihnen ist austauschbar.

Natürlich geht es bei der Förderung traditioneller Hobbys nicht darum, die Uhr zurückzudrehen oder so zu tun, als würden wir in einer anderen Zeit leben. Es gibt schnellere Wege, um Dinge zu erreichen, auf die das traditionelle Handwerk abzielt, und wir brauchen diese schnelleren Methoden oft.

Doch das traditionelle Handwerk bietet uns viel mehr, und es wurde noch nicht vollständig von effizienteren Methoden abgelöst. Ein Grund dafür ist, dass es bei der Handwerkskunst nicht um Effizienz geht.

Unzählige Generationen haben ihren Verstand und ihre körperliche Kraft in den Dienst der Herstellung schöner und langlebiger Produkte gestellt. Und sie verstanden, dass die Vorteile der Handwerkskunst nicht nur utilitaristischer Natur sind.

Es ist spannend zu entdecken, wie traditionelle Gewerke und überlieferte Fähigkeiten sich in der heutigen Welt darstellen und welche Rolle sie spielen. Was müsste angepasst werden, um das Leben im 21. Jahrhundert zu bereichern?

Handwerk kann und muss sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln, obwohl ich vermute, dass die besten Handwerker immer ihren Wurzeln treu bleiben. Diese zu entdecken und zu erlernen, trägt den Schatz in die Zukunft.



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