Deutsche Glasbläser und das „Glasriket“ in den Wäldern Smålands
An der Herstellung von Glas beteiligt zu sein, ist eine eindrucksvolle Erfahrung. Sand wird bei 1.500 Grad geschmolzen und auf eine Arbeitstemperatur zwischen 1.050 °C und 1.200 °C abgekühlt. Dann ist die Masse weich und kann durch Gießen, Pressen und Blasen geformt werden. Der Glasbläser befestigt ein Stück an seiner Pfeife und bläst dann Luft in die Masse, die wie ein Ballon aufquillt.
Ganz neu ist diese Erfindung nicht. Das älteste Artefakt aus Glas wurde auf etwa 7.000 v. Chr. datiert und in Ägypten gefunden. Die Entwicklung der Glasherstellung nahm ihren Lauf, als vor über 2.000 Jahren in Syrien die Glasbläserpfeife erfunden wurde.
Glashütten zwischen dem kaiserlichen Rom und Murano
Im kaiserlichen Rom wurden mehrere Glashütten gegründet und die Massenproduktion von geblasenem Glas begann. Das Wissen verbreitete sich in den Kolonien des Römischen Reiches und die geschicktesten Handwerker gab es in dieser Zeit in Köln, Belgien und der Normandie.
Um das Jahr 1000 zogen Familien von Glasbläsern aus der Normandie nach Altare in Italien. Als Konstantinopel während der Kreuzzüge im frühen 13. Jahrhundert geplündert und später, Mitte des 15. Jahrhunderts, von den Türken erobert wurde, flohen viele geschickte Glasmacher nach Italien, vor allem nach Venedig, wo sie mit den Familien aus Altare die venezianische Glasherstellung entwickelten.
Im 13. Jahrhundert wurde die Glasherstellung in Venedig wegen der Brandgefahr auf die Nachbarinsel Murano verlegt. Künstler, die mit Glasbläsern gearbeitet haben, beschrieben es als exotisches Gefühl, auf die nahe gelegene Insel zu reisen – es ähnelt dem mystischen Gefühl, Glasbläsern in den schwedischen Glashütten zuzusehen.
Das „Glasriket“ in den Wäldern Smålands
Glasbläser stehen zeitig auf, auch in den Wäldern Smålands im „Glasriket“ – dem Glasreich im südöstlichen Teil der schwedischen Region Småland – ist das um vier Uhr morgens. Hier reicht die Tradition der Glasbläser weit zurück bis 1742, als die erste Glashütte eröffnet wurde. Und noch weiter.
Heute beherbergt das Glasreich rund ein Dutzend aktiver Glas- und einige kleinere Studiohütten – ein beliebtes Reiseziel für Kunsthandwerk- und Designliebhaber, das jährlich über eine halbe Million Besucher anzieht.
Glashistorikerin Gunnel Holmér erzählt im Kreismuseum Kalmar, wie das Glas tatsächlich nach Schweden kam. Denn geblasen wurde das erste Glas in Schweden während der Herrschaft von Gustav Vasa (1496–1560). Im Jahr 1556 hatte er zwei italienische Glasmacher ins Land geholt, möglicherweise war auch einer von ihnen Spanier.
„Zuvor hatten die Könige importiertes Glas verwendet. Bei Festen am Hof wurde viel Glas verwendet, denn es war üblich, aus seinem Glas zu trinken und es dann gegen die Wand zu werfen, sodass die Scherben durch den Raum flogen.“ Diesen Brauch dokumentierten Archäologen, sagt Holmér.
Zu dieser Zeit war Glas nur in der Oberschicht erhältlich. Es war ein Luxusartikel; die einfachen Leute benutzten Becher aus Holz, Keramik oder ähnlichen Materialien.
Glasmacher aus Deutschland
Die ersten Glashütten Schwedens wurden in der Region Mälar gebaut, im östlichen Teil von Svealand, dem heute bevölkerungsreichsten Teil Schwedens. Damals gab es keine Schweden, die Glas blasen konnten, also wurden Glasmacher aus Deutschland geholt.
Einige wenige Glasmacher kamen auch aus Italien. Doch sie waren höhere Löhne und einen höheren Lebensstandard gewohnt, als Schweden ihnen bieten konnte – in Venedig wurden Glasmacher wie Adelige behandelt.
Auf Bildern neuerer Zeit ist zu sehen, wie Glasbläser das heiße Glas bearbeiten. Gunnel Holmér sagt, dass in Schweden zwar heute die Schmelzöfen anders angeordnet sind, aber eine Werkstatt ansonsten den früheren sehr ähnlich ist.
Die meisten Glashütten wurden in den Wäldern gebaut; zum einen wegen der Brandgefahr, zum anderen, weil sie Brennstoff in Form von Holz benötigten.
Für die Gründung der Fabriken wurden meist Deutsche eingesetzt. Die Glashütten stützten sich auf qualifizierte Handwerker, die gut bezahlt wurden und eine eigene Wohnung hatten. Es wurde sogar ein Transport nach Stockholm organisiert, damit die katholischen Deutschen gemäß ihrer Religion zur Kommunion gehen konnten.
Wichtige Einnahmequelle
Qualifizierte schwedische Glasmeister waren schwer zu finden und die deutschen Meister lehrten das Handwerk nicht in dem gewünschten Tempo, wie die Herrscher eigentlich wünschten. Doch sobald die Schweden das Handwerk erlernt hatten, nahm die Anzahl der Glashütten schnell zu.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Schweden 77 neue Glashütten gegründet. Mehr als die Hälfte von ihnen befand sich im Süden und in der Mitte des Landes, mit einem deutlichen Schwerpunkt in Småland.
Auch heute befindet sich eine deutliche Mehrheit aller schwedischen Glashütten im südöstlichen Småland, weshalb das Gebiet auch „Glasriket“ – Glasreich – genannt wird.
„Wenn ich Glasriket sage, meine ich die Gemeinden Lessebo, Uppvidinge, Nybro und Emmaboda. Dort befindet sich das Zentrum vom Glasriket. Um die Jahrhundertwende gab es in der Gegend etwa 40 Glashütten. Seitdem ist ihre Zahl stark zurückgegangen. Aber die Gegend heißt immer noch Glasriket und in diesen Teil gingen die meisten ausländischen Glasarbeiter“, sagt Gunnel Holmér.
Als ihre Zahl zunahm, stieg auch der Bedarf an Arbeitskräften für einfachere Aufgaben. Dazu gehörten das Schließen der Formen oder das Tragen des heißen Glases zur Kühlung.
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert war der Bedarf an Arbeit unter der armen Bevölkerung groß und die Glasverarbeitung wurde zu einer wichtigen Einnahmequelle. 1964 ermittelte die Fabrikarbeitergewerkschaft den Anteil der Glasarbeiter mit ausländischem Hintergrund – die Glashütte Boda stand mit rund einem Viertel der Arbeiter aus dem Ausland an der Spitze der Liste.
Doch der Trend der deutschen Arbeitsmigration war zu Ende. Die Arbeitskräfte der schwedischen Glasindustrie wurden nun von Griechen dominiert. Ende der 1990er-Jahre arbeiteten Menschen aus etwa 13 verschiedenen Ländern in den Glashütten von Kosta.
„All diese Arbeitskräfte sorgten in ihren Heimatländern für Wohlstand. Wenn es niemanden gegeben hätte, der die Form gehalten oder das Glas zum Kühlofen getragen hätte, hätte das Geschäft nicht funktioniert. Alle Glieder der Kette werden gebraucht“, berichtet die Glashistorikerin.
Wie die Schweden die Glasindustrie in England unterstützten
Deutsche Handwerker haben Schweden geholfen, eine Glasindustrie aufzubauen. Mit ihrem Wissen gingen die Schweden anschließend in der Welt auf Wanderschaft. Einige davon führte später ihre Reise nach England, in die Stadt Great Torrington.
Dort hatten Leonard und Dorothy Elmhurst im Jahr 1925 ein vernachlässigtes Schloss gekauft, das Anwesen Dartington Hall. Leonard Elmhurst (1893–1974), ein New Yorker Agrarwissenschaftler und Philanthrop, entwickelte daraus zusammen mit seiner Frau Dorothy Whitney Straight Elmhurst (1887–1968), einer wohlhabenden Erbin und Philanthropin, ihr „Dartington Experiment“.
Sie wussten, dass junge Leute aus ländlichen Regionen abwanderten und in den Städten nach Arbeit suchten – und wollten etwas dagegen tun. Ihr innovatives Projekt begann mit Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Bildung. 1932 gründeten sie den Dartington Hall Trust, um ihre wohltätigen Aktivitäten zu formalisieren. Zu den frühen Initiativen gehörten die Dartington Hall School und die Dartington Tweed Mill.
Im Juni 1967 gründeten sie Dartington Glas – eine Glashütte nach schwedischem Vorbild. Heute trägt sie den Namen Dartington Crystal und ist weithin bekannt.
Die Elmhursts wussten nur wenig davon, wie eine Glashütte funktionierte. Vor Ort in England gab es keine Tradition der Glasherstellung. Sie ließen sich davon jedoch nicht abschrecken.
Frank Thrower, der bereits mit schwedischen Unternehmen wie Björkshult zusammengearbeitet hatte, wurde gebeten, beim Bau der Glashütte zu helfen. Er wurde als Geschäftsführer eingesetzt. Seine Designs schwedischer Art führten die englische Glashütte zu ihrem Erfolg.
Thrower nahm Kontakt zu dem schwedischen Handwerksmeister Eskil Wilhelmsson auf. Gemeinsam begannen sie, schwedische Handwerker zu suchen, die am Bau der Glashütte in Dartington interessiert waren.
Und alles mit Dolmetscher
Eskil Wilhelmsson war für die Arbeit in der englischen Glashütte zuständig, sprach aber kein Wort Englisch. Um seinen Auftrag zu erfüllen, brachte er seinen Angestellten Arne Linden mit, der als Dolmetscher fungierte.
Der Plan war, dass die schwedischen Glasbläser englische junge Männer ausbilden sollten. Die Engländer sollten dann Meister werden und das Handwerk von der einheimischen Bevölkerung übernommen werden.
Die Schweden nahmen ihre Aufgabe ernst. Eine Glashütte wurde gebaut und zehn Jahre später hatte die Glashütte ihren ersten englischen Meister.
„Dank der Schweden ist dies die einzige Glashütte in England, die noch aktiv ist. Hier ist die Situation genau umgekehrt. Was die Deutschen in Schweden gemacht haben, haben die Schweden in Dartington gemacht“, sagt Gunnel Holmér.
Und: „Es war, als ob ein Mini-Schweden nach England gezogen wäre.“ Der Empfang für die Schweden war ähnlich wie der, den sie den Deutschen bereitet hatten. Es war Ehrensache, dass kein schwedischer Glasarbeiter schlechter leben sollte als in Schweden. Spezielle schwedische Häuser mit geräumigen Küchen, großen Vorratskammern und doppelt verglasten Fenstern wurden gebaut.
Schwedische Holzschuhe und 14 Pubs
Der Kulturunterschied zwischen Schweden und England blieb relativ überschaubar. Die Schweden brachten ihre Kultur von Hyttsill, Luciafirande und den Träskor mit. Hyttsill ist ein traditionelles schwedisches Gericht, bei dem Hering in einer Glashütte zubereitet wird. Luciafirande bezieht sich auf die schwedische Tradition des Luciafestes, das am 13. Dezember gefeiert wird. Und Träskor sind die typisch schwedischen Holzschuhe, die vor allem in englischen Friseursalons beliebt wurden.
Doch die Schweden waren nicht an den freieren Zugang zu Alkohol gewöhnt. Die kleine Stadt Torrington hatte 14 Pubs und die Kultur – nur auf ein Pint und einen Plausch in einen Pub und dann nach Hause zu gehen – wurde von den Schweden nicht wirklich verstanden.
Aus Sorge um die Gesundheit seiner Angestellten und weil er befürchtete, dass sie bei den langen Kneipenbesuchen versackten, drehte Eskil Wilhelmsson jeden Abend seine Runden. Er nahm diejenigen mit nach Hause, die seiner Meinung nach genug hatten.
„Es war ein bisschen wie bei den Hüttenbesitzern von früher. Das war gut. Eskil wurde von seinen Arbeitern sehr geschätzt“, ergänzt Glashistorikerin Gunnel Holmér noch.
Heute ist Great Torrington bekannt für seine Glasfabrik Dartington Crystal, die Thrower mit aufgebaut hat. Es ist die einzige verbliebene Glasfabrik in Großbritannien. Sie bietet Besuchern die Möglichkeit, die Glasherstellung nach schwedischer Art zu beobachten – es wird immer noch komplett in Handarbeit gefertigt.
Der Artikel erschien zuerst in der schwedischen Epoch Times unter dem Titel „Glasets väg till Sverige“. (Deutsche Bearbeitung ks)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion