Demokratie als Zauberwort: Philosoph Jürgen Habermas wird am Dienstag 95 Jahre alt
Er gilt als wichtigster deutscher Philosoph der Gegenwart und genießt weltweite Anerkennung. Bekannt ist Jürgen Habermas aber nicht zuletzt als streitbarer Intellektueller, der sich seit inzwischen rund sieben Jahrzehnten immer wieder in politische Debatten einschaltet.
„Öffentliches Engagement“ sei „die wichtigere Aufgabe der Philosophie“, stellte Habermas einmal klar. Am Dienstag wird der Philosoph und Soziologe 95 Jahre alt.
Verhandlungen in Ukraine, Israels Gegenattacke gerechtfertigt
Aus dem bayerischen Starnberg, wo er seit Jahrzehnten lebt, meldet sich Habermas bis heute regelmäßig zu Wort. Im Zusammenhang mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine fanden zwei Beiträge in der „Süddeutschen Zeitung“ Gehör, in denen der emeritierte Frankfurter Professor für eine rechtzeitige Verhandlungslösung plädierte.
Im vergangenen Jahr nannte er die israelische Gegenattacke nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas vom Oktober in einem offenen Brief „prinzipiell gerechtfertigt“.
Bekannt wurde Habermas 1962 mit seiner Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, in der er sich mit der frühbürgerlichen Gesellschaft auseinandersetzte. Großen Anklang fanden seine Thesen bei der antiautoritären 68er-Studentenbewegung, zu deren radikalen Vertretern er jedoch bald auf Distanz ging.
1986 löste Habermas den sogenannten Historikerstreit mit aus. Er verteidigte damals die historische Singularität des Holocausts gegen Relativierungsversuche rechtskonservativer Historiker.
Lähmende Nachkriegsgesellschaft
Geboren wurde Habermas 1929 als Bürgersohn in Düsseldorf, er wuchs in Gummersbach auf. 1949 begann der knapp 20-Jährige sein Philosophiestudium in Göttingen. Die von ihm als autoritär bis lähmend empfundene Nachkriegsgesellschaft ließ ihn früh von einem demokratischen Neuanfang träumen. „Für mich war Demokratie das Zauberwort“, sagte er mit Blick auf seine Studienzeit in einer 2014 beim Suhrkamp-Verlag erschienenen Biografie.
Damit verbunden war seine geistige Hinwendung zum demokratischen Verfassungsstaat der Westmächte, die für sein Denken stets ein Orientierungspunkt blieb. Noch im Zuge des Historikerstreits schrieb er 1986 in der Wochenzeitung „Die Zeit“:
Die vorbehaltlose Öffnung der Bundesrepublik gegenüber der politischen Kultur des Westens ist die große intellektuelle Leistung unserer Nachkriegszeit.“
1956 wurde Habermas Forschungsassistent bei den Vertretern der kritischen Theorie in Frankfurt am Main, Max Horkheimer und Theodor Adorno. Nach einer Professur in Heidelberg übernahm er 1964 Horkheimers Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt.
1981 legte er sein Hauptwerk „Theorie des kommunikativen Handelns“ vor. Nach einem Wechsel an das Starnberger Max-Planck-Institut lehrte er ab 1983 wieder als Philosophieprofessor in Frankfurt, wo er 1994 emeritiert wurde.
Kritik an den „politischen Eliten“ der EU
Neben zeitgeschichtlichen Ereignissen wie dem Kosovo-Krieg oder der Migrationskrise 2015 war es immer wieder auch der Zustand Europas, der Habermas zu Kommentaren, Zwischenrufen oder Mahnungen anregte.
Mit Blick auf die Europäische Union kritisierte er wiederholt deren „politische Eliten“ und sprach sich für eine stärkere Einbeziehung der Bevölkerung in den europäischen Einigungsprozess aus. Zudem setzte er sich früh für eine europäische Verfassung ein und unterstrich die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
Was einen Intellektuellen ausmacht, beschrieb Habermas einmal selbst. Der Intellektuelle brauche einen „avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen“, betonte er in seiner Dankesrede zur Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises 2006. „Er muss sich zu einem Zeitpunkt über kritische Entwicklungen aufregen können, wenn Andere noch beim business as usual sind.“
Habermas ist seit 1955 mit Ute Wesselhoeft verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Seine Tochter, die Historikern Rebekka Habermas, starb 2023 nach schwerer Krankheit. (afp/red)
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