Boxen gegen die Perspektivlosigkeit

Daniel Magel bietet mit Hood Training kostenlose Kraft- und Boxstunden für Kinder und Jugendliche in Problemvierteln an. Er will den Kids so Strukturen und Selbstbewusstsein vermitteln.
Aytac Alsancak (r.), und Oguzhan Demir, beide Boxtrainer im sogenannten Hood Training, auf dem Quartiersplatz Leher Pausenhof im Stadtteil Lehe.
Aytac Alsancak (r.), und Oguzhan Demir, beide Boxtrainer im sogenannten Hood Training, auf dem Quartiersplatz Leher Pausenhof im Stadtteil Lehe.Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Epoch Times9. September 2023

Der „Leher Pausenhof“ im Bremerhavener Goethequartier an einem Sonntagnachmittag: Zwischen zwei Seecontainern hat Aytac Alsancak Matten ausgelegt – fertig ist der Freiluft-Boxring. 17 Kinder von 4 bis 13 Jahren warten schon ungeduldig darauf, dass das Boxtraining startet.

Der 21-jährige Alsancak gibt seit einem Jahr ehrenamtlich Boxunterricht in dem Brennpunktviertel; mittwochs in der Moschee, sonntags auf dem „Leher Pausenhof“. Er macht das im Rahmen der Initiative „Hood Training“.

„Hier ist immer Leben“, sagt „Hood Training“-Gründer Daniel Magel und lässt seinen Blick über den Platz mit Spielgeräten, großer Freifläche und spielenden Kindern schweifen. Der 40-Jährige will mit dem kostenlosen Boxtraining in Brennpunktvierteln den Kids feste Strukturen und eine Perspektive bieten. „Beim Boxtraining lernt man Respekt, Pünktlichkeit, Hilfsbereitschaft und Sauberkeit“, sagt Magel. Vieles davon sei für Heranwachsende in Problemvierteln keine Selbstverständlichkeit, oftmals gehörten sie zu den „Bildungsverlierern“. „Für sie ist es wichtig, etwas zu machen, bei dem sie sich behaupten können.“

Der Pädagoge rief vor 13 Jahren in Bremen „Hood Training“ ins Leben – gemeint ist damit das Trainieren im eigenen Kiez. Inzwischen ist die Initiative zu einem viel beachteten, aus Spenden- und Sponsorengeldern finanzierten Sozialunternehmen herangewachsen. Aktiv ist es in sozialen Brennpunkten vor allem in Bremen, aber auch in Berlin, Hamburg und München.

Mit zwölf Jahren kam Magel aus Kasachstan

Magel kennt das Leben in sozial benachteiligten Vierteln aus eigener Erfahrung. Mit zwölf Jahren kam er mit seiner Familie aus Kasachstan nach Deutschland. Die Familie zog ein Jahr später in eines der vielen Hochhäuser in Bremen-Tenever. Er hing viel ab mit „Jungs, die nicht so easy waren“. Alkohol, Drogen und Kriminalität standen auf der Tagesordnung. „Bis zum Abi hab ich viel Scheiße gebaut.“

Aber nicht nur: Noch während seiner Schulzeit bot er zusammen mit seinen Kumpels Kindern Boxtraining in der Hochhaussiedlung an. Eine Wohnungsgesellschaft stellte dafür leerstehende Räume kostenlos zur Verfügung. Nach dem Abitur trennten sich die Wege der Kumpels, das Sportangebot schlief ein. Nach seinem Studium der Sonderpädagogik auf Lehramt knüpfte Magel wieder da an, wo er aufgehört hatte, gründete „Hood Training“ und baute das erste Freiluft-Gym in Tenever auf.

„Macht die Schule fertig“

Wegen des Erfolgs folgten in anderen Stadtteilen weitere, ebenso in der Justizvollzugsanstalt, in der er einige Jahre als Sozialpädagoge arbeitete. Neben Box- und Kraftsporttraining bietet „Hood Training“ inzwischen auch Musik-Wettbewerbe, Schul-AGs, Videoprojekte, Hip-Hop-Workshops oder Graffiti-Lernferien an. Das Netzwerk, das Magel dafür aufgebaut hat, besteht aus Übungsleitern, Pädagogen, Grafikern und Künstlern. Ganz nebenbei lernten die Kinder Vorbilder kennen, die ihnen Mut machten und sagten: „Macht die Schule fertig“, sagt Magel.

An diesem Sonntag in Bremerhaven dreht sich alles ums Boxen. Trainer Alsancak ist gut damit beschäftigt, die quirligen 17 Kinder für ein geordnetes Training zu bändigen. „Das Angebot wird sehr gut angenommen“, sagt Chris Carstens von der „Quartiersmeisterei Lehe“, die für die Stadt die Angebote auf dem „Leher Pausenhof“ koordiniert.

Der Trainer als Vorbild

Alsancak ist jeden Sonntag da, um die Kinder zu trainieren. Selbst die Kleinsten sind ohne Eltern hier. „Ich habe sowas nicht gehabt“, sagt er. Mit einem Vorbild, so wie er eines ist für die Kinder, wäre womöglich einiges in seinem Leben anders gelaufen. Zwar habe er früh mit dem Boxen angefangen, habe sogar auf Meisterschaften gekämpft. Aber mit 15 Jahren habe er angefangen, „Unsinn zu machen“. „Ich war orientierungslos und hatte die falschen Freunde.“

Als er 18 war, stieß ihm jemand ein Messer in die Brust, knapp am Herz vorbei. Seine Religion und das Boxen hätten ihm Kraft gegeben, sein Leben zu ändern, sagt er. Die ehrenamtlichen Boxstunden für die Kids seien seine „Leidenschaft geworden“. „Die Kinder sind die Zukunft“, sagt Alsancak, der sein Geld als Leiharbeiter verdient.

Einer, der regelmäßig zum Training kommt, ist der 16-jährige Philip. Das Boxtraining mache ihm nicht nur Spaß, es helfe ihm auch im Alltag, sagt er: „Ich kann meine Emotionen besser kontrollieren.“ Mit 18 wolle er wie Alsancak Kinder trainieren.

Magel ist von Alsancaks Einsatz beeindruckt. „Er ist zuverlässig, pünktlich und ein stabiler Typ. Das ist das, was zählt“, sagt er. Im nächsten Jahr soll Alsancak bei „Hood Training“ eine Ausbildung zum Sozialassistenten beginnen. „Wir haben einiges vor mit ihm“, sagt Magel. Sonntags wird er weiterhin mit Kindern und Jugendlichen auf dem „Leher Pausenhof“ trainieren. Demnächst sollen um den Freiluft-Boxring richtige Ringseile dazukommen. (dpa)



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