Beihilfe zu Mord in 5232 Fällen: Zwei Jahre Jugendhaft auf Bewährung für Ex-SS-Wachmann in Hamburger Stutthof-Prozess

In einem der voraussichtlich letzten Prozesse wegen der Massenverbrechen in den Vernichtungslagern der Nazizeit hat das Hamburger Landgericht den früheren SS-Wachmann Bruno D. zu zwei Jahren Jugendhaft auf Bewährung verurteilt.
Titelbild
Der 93-jährige ehemalige SS-Sicherheitsbeamter aus dem Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, sitzt neben seinem Anwalt Stefan Waterkamp (R) und einem Arzt (L) im Landgericht Hamburg am 23.7.2020.Foto: Daniel Bockwoldt - Pool/Getty Images
Epoch Times23. Juli 2020

Die Richter sahen es am Donnerstag als erwiesen an, dass der 93-Jährige in den Jahren 1944 und 1945 als Jugendlicher achteinhalb Monate zur Mannschaft des Konzentrationslagers Stutthof gehörte. Demnach machte er sich durch seinen Dienst der Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen schuldig.

Zudem verurteilte das Gericht den Angeklagten in einem Fall wegen versuchten Mordes an einem Gefangenen. D. habe der Lagerleitung „jeden Tag“ bei der Umsetzung des Massenmordes Hilfe geleistet und sich noch vor Gericht darauf berufen, nur Befehlen gefolgt und wenig mitbekommen zu haben, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring. Das sei widerlegt. „Sie sehen sich weiter nur als Beobachter – dabei waren sie Gehilfe dieser menschengemachten Hölle.“ Ein Befehl „befreite und befreit sie nicht von Schuld“.

Auch habe der Angeklagte nach fester Überzeugung des Gerichts um dem „Massenmord durch lebensfeindliche Bedingungen“ in dem Lager gewusst. Dies gelte ebenso für die in einer Gaskammer und einer Genickschussanlage verübten Morde. Jedem in Stutthof sei all dies bewusst gewesen. „So sehr konnten sie damals gar nicht wegsehen“.

Der Angeklagte sei kein glühender Nationalsozialist gewesen, habe sich jedoch wie Millionen anderer Deutsche damals „in den Sog der Entmenschlichung“ hineinziehen lassen, sagte die Richterin in ihrer teilweise beißenden Urteilsbegründung. Konfrontiert mit dem „entsetzlichen Unrecht“ des Vernichtungslagers Stutthof habe er sich angepasst und nicht versucht, sich dem Dienst zu entziehen.

Die Entscheidung für eine Bewährungsstrafe habe das Gericht nach „langem Ringen“ getroffen, ergänzte die Richterin. So müsse unter anderem berücksichtigt werden, dass der Angeklagte damals erst 17 bis 18 Jahre alt gewesen und im NS-Unrechtsstaat aufgewachsen sei.

Hunderttausend Menschen in Stutthofer Lager gefangen

Im Lager Stutthof nahe Danzig hatte die SS im Zweiten Weltkrieg mehr als hunderttausend Menschen unter erbärmlichsten Bedingungen gefangen gehalten, darunter viele Juden. Etwa 65.000 Menschen starben. Stutthof war berüchtigt für die absichtlich völlig unzureichende Versorgung. Die meisten der Gefangenen starben an Krankheiten und Entkräftung.

Das Verfahren habe Einblicke in eine „unvorstellbar dunkle Zeit“ gegeben, sagte Meier-Göring. Respekt zollte sie den Überlebenden, von denen etliche als Nebenkläger am Verfahren teilnahmen. Ihre Aussagen hätten es ermöglicht, „das Ungeheuerliche“ von Stutthof zu erfassen. „Wir haben ihnen zugehört, und wir haben verstanden.“

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte im Prozess gegen D. drei Jahre Jugendhaft gefordert, die Verteidigung einen Freispruch. D. entschuldigte sich vor Gericht für die Verbrechen in Stutthof. Zugleich betonte er, in das Lager abkommandiert worden zu sein.

In Deutschland hatte es in den vergangenen Jahren noch einmal mehrere Anklagen sowie Prozesse gegen ehemaligen Angehörige der Mannschaften von Konzentrations- und Vernichtungslagern gegeben. Zwei frühere SS-Männer aus Auschwitz wurden 2015 und 2016 von den Landgerichten Lüneburg und Detmold jeweils zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Beide starben aber vor Rechtskraft des Urteils oder vor Strafantritt.

Revision möglich

Auch das Urteil gegen D. ist nicht rechtskräftig, eine Revision ist möglich. Verteidiger Stefan Waterkamp ließ zunächst offen, ob er diesen Weg für seinen Mandanten beschreiten werde. Er habe das noch nicht mit ihm besprechen können, sagte der Anwalt nach der Verkündung. Das Urteil habe ihn jedoch „nicht überrascht“.

Vertreter der Nebenklage begrüßten den Schuldspruch als wichtiges „Signal“, äußerten teils aber auch Kritik an der Strafaussetzung zur Bewährung. „Ich glaube nicht, dass das bei den Nebenklägern auf Zufriedenheit stößt“, sagte Anwalt Christoph Rückel. Am Ende sei ein Schuldspruch für sie aber „viel wichtiger als die Höhe der Strafe“. Die Nebenkläger seien nicht auf „Rache“ aus. (afp/sua)



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