Todesstöße in Nürnberg: Eltern fassungslos über Anklageschrift nach Gleis-Tod ihrer Söhne
Mehr als nur eine Rangelei? Dass drei 16-Jährige im Januar am Bahnhof Nürnberg Frankenstation auf ein Gleis gestoßen und zwei von ihnen von einem heranfahrenden Zug getötet wurden, steht außer Frage.
Doch was für die Eltern der getöteten Jungs nach einem eindeutigen Angriff aussieht, ist für die Staatsanwaltschaft Körperverletzung mit Todesfolge.
Der Vater des getöteten Frederik sagte laut „nordbayern“:
Körperverletzung mit Todesfolge klingt verharmlosend. Das hört sich nach einer Prügelei an, an deren Ende die Opfer versehentlich ins Gleisbett fallen.“
(Vater von Frederik)
Auch der Vater von Lucas ist enttäuscht von der Darstellung der Tat in der Anklage der Staatsanwaltschaft und fügt hinzu:
Der Tod unserer Kinder ist keine Folge unglücklicher Umstände. Sie wurden gestoßen.“
(Vater von Lucas)
Die beiden Väter machten deutlich, dass die beiden Jungs und ihre Freunde „aggressiv angegangen“ wurden. Frederik und Luca hätten versucht, zu schlichten. Ein Angriff sei keine Schlägerei, so die Väter.
Migrationshintergrund unbedeutend
Dass zwei 17-jährige deutsche Staatsbürger mit türkischem und griechischem Migrationshintergrund die Täter sein sollen, spielt für die Väter keine Rolle. Sie wehren sich dagegen, dass das Verbrechen an ihren Söhnen von Populisten missbraucht wird, schreibt „nordbayern“.
Wir treten für eine multikulturelle Gesellschaft ein, daran wollen wir keinen Zweifel lassen.“
(Vater von Frederik)
Denn ihre Söhne waren leidenschaftliche Fußballspieler, die seit Kindesbeinen beim Turn- und Sportverein Heroldsberg spielten. Und dort trainieren „neben Deutschen auch Sportler anderer Nationalitäten, miteinander, und friedlich“, sagte Frederiks Vater.
Von Anklageschrift aus Medien erfahren
Vielmehr ist es die Formulierung in der Anklageschrift, die die Väter umtreibt, und die Tatsache, dass sie erst aus der Presse von der Anklageschrift erfahren haben.
Letzteres bedauerte auch Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke, Sprecherin der Behörde. Selbst wenn die Väter als (noch nicht zugelassene) Nebenkläger keinen rechtlichen Anspruch auf eine Vorabinformation gehabt hätten, so hätte dies aus moralischer Sicht nicht passieren dürfen.
Allerdings ging die Staatsanwaltschaft davon aus, dass einer der Anwälte von dem Leiter der Jugendabteilung informiert worden sei.
Tötungsabsicht nicht erkennbar
Ob die jugendlichen, in U-Haft sitzenden Schubser tatsächlich den Tod ihrer Kontrahenten ins Auge gefasst hatten, scheint zumindest laut Anklageschrift für die Staatsanwaltschaft nicht nachweisbar. Sie geht in ihrer Begründung derzeit davon aus, dass die nächste S-Bahn erst in gut zehn Minuten fahren solle. Die Anwälte halten dagegen:
Wer jemanden in ein Gleisbett stößt, nimmt den möglichen Tod billigend in Kauf – selbst wenn gar kein Zug einfährt. Luca und Frederik hätten schließlich auch unglücklich fallen und mit dem Kopf gegen das Gleis stürzen können.“
Schließlich wüssten auch 17-Jährige, dass an einem Bahnsteig auch außerplanmäßig Züge durchfahren könnten, ergänzen die Väter.
Auf dem Bahnsteig warteten zur Tatzeit laut Polizeiangaben rund 150 vor allem junge Menschen. Sie kamen laut „Merkur“ von einer naheliegenden Diskothek.
Pietätlose Medien
Gegenüber „Nordbayern“ schildern die Väter die Tage nach dem Unglück. Das 8.500-Seelen-Städtchen Heroldsberg wurden von Journalisten und Fernsehteams belagert. Die Einwohner wurden „ohne Distanz und Pietät“ gefilmt, befragt und fotografiert. Zudem standen die Familien vor der Herausforderung, eine Beerdigung zu organisieren, zu der mehrere Hundert Angehörige, Freunde und Weggefährten kamen und von den Jugendlichen Abschied nahmen.
Zur Krönung der Geschmacklosigkeit kursierte auch noch ein Handy-Video im Internet, das am Gleis aufgenommen wurde. Insoweit schritt die Schule ein und bat Eltern in einem Schreiben, die eigenen Kinder zu sensibilisieren und Videos sowie Fotos vom Tatort zu löschen.
Eine juristische Einordnung des Sachverhalts wollen sich die Väter trotz aller Umstände nicht anmaßen. Die Beweisaufnahme bleibt abzuwarten. Zunächst muss die Jugendkammer I des Landgerichts Nürnberg-Fürth entscheiden, ob sie die Anklage zulässt. Sollte die Anklageschrift und die Familien als Nebenkläger zugelassen werden, so wird es zumindest im Gerichtssaal keinen Presserummel geben. Denn aufgrund des Jugendschutzes würde eine Hauptverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Das Strafmaß bei Körperverletzung mit Todesfolge reicht von drei bis zehn Jahren. Da es sich um Jugendliche handelt, beträgt auch die Höchststrafe für Totschlag lediglich zehn Jahre. (sua)