Rätsel: Millionärsfrau seit fünf Jahren verschwunden
In dieser Jahreszeit wird es in Norwegen wieder dunkel und ungemütlich. Die Bäume verlieren ihre Blätter, die Tage werden kürzer und kälter. Unter ähnlichen Bedingungen verschwand am 31. Oktober 2018 die Ehefrau eines norwegischen Multimillionärs urplötzlich aus dem Haus ihrer Familie in Lørenskog bei Oslo – seitdem fehlt von Anne-Elisabeth Hagen jegliche Spur.
Fünf Jahre ist das Verschwinden der Millionärsgattin an diesem Dienstag her. In dieser Zeit hat die Polizei viele Tausend Hinweise erhalten. Weiterhin ist jedoch völlig unklar, was an diesem Halloween-Tag vor einem halben Jahrzehnt genau geschehen ist.
Fest steht, dass Anne-Elisabeth Hagen an dem Tag im Laufe des Vormittags verschwunden ist. Die Polizei ermittelte zunächst im Geheimen, ging dann aber zehn Wochen später mit dem Fall an die Öffentlichkeit. Dabei berichteten die Ermittler davon, dass die 68-Jährige vermutlich entführt worden sei. Im Haus wurde demnach ein Schreiben mit einer Lösegeldforderung in Millionenhöhe gefunden, zu zahlen in einer Kryptowährung.
Erste Wendung: Die geänderte Haupthypothese
Doch auch nach Monaten blieb jegliches Lebenszeichen der Frau aus – bei Entführungen ist das höchst ungewöhnlich. Die Polizei änderte schließlich ihre Haupthypothese dahingehend, dass die Entführung nur vorgetäuscht worden sei und es sich vermutlich um einen Tötungsfall handle. Die Angehörigen gaben die Hoffnung trotzdem nicht auf, dass die Frau noch leben könnte. „Die Familie hofft, weiß aber nicht, ob Anne-Elisabeth weiter am Leben ist“, resümierte der Familienanwalt Svein Holden zum ersten Jahrestag des Verschwindens.
Seitdem wirft der Fall Hagen in Norwegen mehr Fragen auf, als er Antworten liefert. Kriminalfälle wie dieser sind normalerweise Material für Skandinavien-Krimis oder TV-Serien – tatsächlich hat Netflix bereits eine Mini-Serie zu dem Fall veröffentlicht. Aber in der Realität? Da gilt das skandinavische Land mit all seinen Fjorden und Wäldern als friedliches Naturidyll. Der wohl dramatischste Vermisstenfall der norwegischen Geschichte passt in dieses Idyll nur schwerlich hinein.
Zweite Wendung: Die Festnahme
Eine überraschende Wendung erhielt der Fall im Frühjahr 2020. Anderthalb Jahre nach dem Verschwinden nahm die Polizei plötzlich den steinreichen Ehemann Tom Hagen fest – und zwar unter Tatverdacht. Ihm werde vorgeworfen, seine langjährige Frau getötet zu haben oder anderweitig an der Tat beteiligt gewesen zu sein, gab die Polizei damals auf einer Pressekonferenz bekannt – ein Vorwurf, den Hagen über Anwalt Holden zurückwies. Der Multimillionär kam kurz darauf in Untersuchungshaft, wurde aber nach einigen Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Vorwürfe gegen ihn blieben jedoch bestehen.
Der Investor Tom Hagen zählte damals und zählt auch heute noch zu den reichsten Menschen Norwegens. Das norwegische Wirtschaftsmagazin „Kapital“ listet den heute 73-Jährigen mit einem Vermögen von rund 2,6 Milliarden Kronen (220 Millionen Euro) auf Rang 166 seiner aktuellen Rangliste der 400 reichsten Menschen des Landes. Damit steht er sogar noch vor dem wohl bekanntesten Norweger auf der Liste, dem Fußballstar Erling Haaland auf Platz 239. Reich geworden ist Hagen vor allem mit Stromverkauf und Immobilien. Dennoch lebten er und seine Familie relativ zurückgezogen und bescheiden.
Zum zweiten Jahrestag des Verschwindens äußerte sich Tom Hagen erstmals öffentlich zu dem Fall: In einem Interview des norwegischen Rundfunksenders NRK berichtete er von zwei schwierigen Jahren, großer Leere ohne seine Lisbeth und davon, sie jeden Tag zu vermissen. Eine Beteiligung an der Tat dementierte er, stattdessen sprach er von einer guten Ehe. „Aber wir hatten wie alle anderen Unebenheiten auf dem Weg. Da gibt es nichts zu verbergen“, sagte er. Die Hagens waren zum Zeitpunkt des Verschwindens seit 49 Jahren verheiratet.
Frischer Blick auf umfassendes Ermittlungsmaterial
Ob Tom Hagen weiterhin der Hauptverdächtige in dem Fall ist, will der zuständige Polizeibezirk Øst nicht kommentieren. Die Haupthypothese, dass Anne-Elisabeth Hagen getötet worden sei, bestehe weiter, teilte der stellvertretende Polizeichef Lars Reinholdt-Østbye auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Aber auch mit anderen Hypothesen werde weiterhin gearbeitet, darunter auch Freiheitsberaubung.
Zu den Akten wird der Fall Hagen somit auch fünf Jahre danach nicht gelegt. „Die Ermittlungen halten immer noch an“, beteuerte Reinholdt-Østbye. Auch fünf Jahre nach dem Verschwinden von Anne-Elisabeth Hagen seien weiterhin relevante Ermittlungsschritte zu unternehmen. Dabei gehe es unter anderem auch darum, mit frischem Blick auf das umfassende Material zu blicken. „Das ist eine anspruchsvolle Arbeit, die Zeit braucht“, sagt er. (dpa/dl)
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