Fehler bei Missbrauchs-Ermittlung: Polizeichef greift durch
Der Skandal um verschwundene Beweismittel für einen massenhaften Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz in Lügde könnte weitere Konsequenzen haben.
„Sollten weitere organisatorische oder personelle Maßnahmen nötig sein, werde ich nicht zögern, diese ebenfalls zu ergreifen“, erklärte der zuständige Polizeichef und Landrat Axel Lehmann (SPD) am Freitag in Detmold. Zugleich bezweifelte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) den Sinn eines Untersuchungsausschusses zu den Behördenpannen.
Es sei unbestritten, dass gravierende Fehler gemacht worden seien, sagte Landrat Lehmann, der gleichzeitig die Kreispolizeibehörde Lippe leitet. Welche Fehler das im Einzelnen sind, werde in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt rückhaltlos aufgeklärt. „Bis dahin verbieten sich Schnellschüsse“, sagte Lehmann am Freitag in Detmold.
AfD will Untersuchungsausschuss
Auf dem Campingplatz in Lügde im Kreis Lippe an der Grenze von Nordrhein-Westfalen zu Niedersachsen sollen über Jahre mindestens 31 Kinder im Alter zwischen 4 und 13 Jahren missbraucht und gefilmt worden sein. Drei Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Der Fall ist mittlerweile auch zu einem Polizeiskandal geworden, weil sich herausstellte, dass Beweismittel verschwanden. Die AfD hatte am Freitag mit einem Untersuchungsausschuss gedroht, den sie alleine aber nicht durchsetzen kann.
Innenminister Reul sagte dazu im ZDF: „Wissen Sie, mich interessiert doch nicht, dass da jetzt Gremien rumtagen, jahrelang am besten, sondern wir brauchen jetzt ganz schnell die Aufklärung, so weit wie möglich.“ Es gehe nun unter anderem darum, die Straftäter schnell vor Gericht zu bringen. „Und ich will wissen, was in dieser Polizei falsch gelaufen ist“, sagte Reul am Freitag. Er halte nichts von Untersuchungsausschüssen – auch wenn das jeder selbst wissen müsse. Es sei auch Angelegenheit der Parlamente.
„Die eklatanten Fehlleistungen, die es bei der Polizei in Lippe gegeben hat, machen auch mich fassungslos und sie durften auf keinen Fall geschehen“, sagte Landrat Lehmann. „Hierfür entschuldige ich mich ausdrücklich bei allen Betroffenen des Verbrechens von Lügde.“
155 Datenträger verschwunden
Der Sonderermittler, der das Verschwinden von 155 Datenträgern in der Kreispolizeibehörde seit einigen Tagen untersucht, habe einen ersten Bericht vorgelegt, erklärte Lehmann. Auf dieser Basis und wegen eines inakzeptablen Informationsflusses zur Behördenleitung sei der Leiter der Direktion Kriminalität von seiner Aufgabe entbunden worden. Auch bei den Arbeitsabläufen gebe es erste Veränderungen. „So ist der Kreis der Zugangsberechtigten zu den Asservaten- und Sichtungsräumen deutlich reduziert worden“, erklärte der Landrat. Ohnehin sei schon seit November 2018 eine Arbeitsgruppe aktiv, um die Prozesse und Strukturen in der Direktion Kriminalität zu verbessern.
Nach erster Einschätzung von Reul dürften die Pannen der kompletten Aufarbeitung des Falls nicht im Weg stehen. „Ich glaube wir haben da genug Material, um die Straftäter wirklich auch ordentlich vor Gericht zu bringen“, sagte der CDU-Politiker. Auch Lehmann sieht keine Gefahr, dass der Verlust der CDs eine Verurteilung der Täter vereiteln könnte. Insgesamt lägen rund 15 Terabyte Daten vor. Davon seien maximal 0,7 Terabyte nicht mehr verfügbar. Diese Information sei wichtig, solle aber nicht den Verlust der Datenträger beschönigen. „Dieser ist und bleibt unverzeihlich.“
Die Staatsanwaltschaft Detmold geht davon aus, dass die Asservate aufgrund nachlässigen Umgangs nicht auffindbar seien. Ein Diebstahl sei aber nicht auszuschließen. Die verschwundenen Datenträger waren am 20. Dezember vergangenen Jahres zuletzt gesehen worden. Am 30. Januar wurde ihr Verschwinden bemerkt. Gewerkschaften wiesen auch auf einen Personalmangel bei der Polizei hin. Nach Angaben von Landrat Lehmann hat der Kreis Lippe die niedrigste Polizeidichte in ganz NRW.
Im Fall von Lügde sitzen Verdächtige aus NRW und Niedersachsen im Alter von 56, 33 und 48 Jahren wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Untersuchungshaft. Bislang sind 31 Opfer identifiziert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen Polizeibeamte und Mitarbeiter in Jugendämtern in Lippe und Hameln. Dabei geht es um die Frage, ob sie Hinweise missachtet haben. (dpa)
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